Silvesterparty mit Ton Steine Scherben

■ Silvester-Tradition am Bremer Sielwall-Eck: Steine, Knaller, Schlagstöcke und Wasserwerfer

Den ersten Streetfight des Jahres 1991 konnten Bremer autonome Szene und Polizei kaum erwarten. Schon wenige Minuten nach Mitternacht standen sie sich in der Silvesternacht auf der Sielwallkreuzung gegenüber: knapp 300, meist mittel- bis volltrunkene, in Lederjacken und Dreieckstuch verpackte KämpferInnen der Szene gegen gut 200, ebenfalls mit Lederjacken, zusätzlich aber mit Schutzschilden und weißen Helmen gerüstete Polizisten. Die Begegnung dauerte bis 4:45 Uhr. Anschließend beseitigte das Amt für Stadtreinigung die Überreste.

Mit einem Stein fing alles an. Gegen 0:30 Uhr flog er durch die Schaufensterscheibe des Blumenladens an der Sielwall-Kreuzung und beendete damit den silvesterüblichen Teil des Abends mit Sekt, China-Böllern und „Prost Neujahr“. Fix war die Polizeimannschaft aus den Seitenstraßen zusammengezogen, um sich dem Hagel aus den von der Gegenseite ebenfalls sofort im Einkaufswagen bereitgestellten Pflastersteinen, Kanonenschlägen, Leuchtkugeln und mit Sand gefüllten Flaschen zu stellen. Nach kurzem Schlagabtausch setzte die Polizei zur Offensive an, unterstützt von zwei Wasserwerfern. Fix war die Kreuzung leergepustet.

Das Spiel aus Angriff, Gegenangriff, Flucht und Jagd wurde mehrmals wiederholt. Denn kaum hatten die Wasserwerfer den Sielwall durchquert und ihre Gegner in die Seitenstraßen getrieben, fuhren sie im großen Bogen zurück, um vom Dobben aus erneut auf die Kreuzung vorzustoßen. Auto- und Straßenbahnverkehr wurden ab 23:30 Uhr umgeleitet.

Die offizielle Bilanz am nächsten Morgen zählte 18 verletzte Polizisten, vier von ihnen mußten ambulant im Krankenhaus behandelt werden. Die 18 Festgenommenen waren ebenfalls mit am Neujahrsmorgen wieder frei, einige von ihnen jedoch mit dicken blauen Flecken. Denn die Verhafteten waren an der Wanne mit Schlagstock, Stiefeltritten und wüsten Beschimpfungen empfangen worden. An vier Polizei- und mehrere Privatautos gab es Glas- und Blechschaden.

Im Unterschied zur Silvesternacht 87/88, in der die Läden der Sielwallkreuzung zwei Stunden lang unbehelligt geplündert werden konnten, hatte die Polizei in diesem Jahr extra Verstärkung des Bundesgrenzschutzes angefordert. Offenbar zur Verwirrung der Auswärtigen waren schon vor dem Silvesterabend zwischen Goethetheater und Sielwall alle Straßenschilder schwarz übermalt worden, zum Tatort hatte der BGS dennoch gefunden. Auch viele Schaulustige sammelten sich auf dem Rückweg vom Marktplatz und ihren Silvesterpartys auf der Sielwallkreuzung. Lautstark untermalt wurde die Randale von Rio Reiser und „Ton Steine Scherben“. Auf einer Silvesterparty am Ostertorsteinweg direkt an der Kreuzung waren die Lautsprecher nach draußen gedreht worden, um die Streetfighter mit „Keine Macht für niemand“ anzuheizen. Den Partygästen standen dann bequeme Logenplätze zur Verfügung.

Gefallen fand auch die Firma „Richter Glasbau“ an der Randale. Noch in der Nacht stattete sie die eingeschlagenen Schaufenster mit provisorischen Scheiben aus und hinterließ überall ihre blauen Werbe-Aufkleber: „Glasbruch! Wir reparieren innerhalb von 24 Stunden und regulieren den Schaden direkt mit Ihrer Versicherung.“ Dirk Asendorpf