: Die schönsten Stellen aus der B-Kultur
■ Was sich über ein Jahr so zusammenschrieb, tiefgeschürft und hochgestapelt wurde — die Redaktion dankt ihren Autoren und Autorinnen
Während andere Blätter am Ende des Jahres ihren Käufern für die erwiesene Treue danken und sie mit allerlei bunten oder schmierigen Belanglosigkeiten in einen neuen Jahrgang rutschen lassen, widmen wir diese Berlin-Kultur-Seiten all jenen, die 1990 dafür sorgten, daß Sie liebe Leserin und Sie lieber Leser auch zu solchen werden konnten. Genießen Sie also mit uns noch einmal die leider viel zu schlecht bezahlten Kostbarkeiten aus der Feder unserer AutorInnen.
Die klassischen Themen
Elisabeth Eleonore Bauer
vermerkte am 25. Januar Grundsätzliches zum Wesen der Deutschen Oper:
»Dieses riesige Schwimmbad wurde ja auch gebaut nach den Maßstäben einer Opernästhetik, bei der es nichts zu verstehen gibt. Das heißt: nach der des 19. Jahrhunderts. Paisiellos Wortmusikwitze etwa wären in den ca. drei Quadratkilometern Bühnenraum der Bismarckstraße sowieso rettungslos verloren — dagegen ist es bei der Musik Verdis oder Wagners ziemlich wurscht, ob sie da nun gerade von ‘amore‚ oder ‘traditore‚ singen, ob es ‘des Messers Schneide zu schmecken‚ oder ‘der Minne Macht zu entsagen‚ gilt. Das aufrauschende Crescendo der großen Orchesterharfe, die geschwätzigen Leitmotive und die aufgeladene Harmonik sagen es ja deutlich genug: es geht hier um Liebe, Tod und Leben. Was irgendwie alles dasselbe ist — jedenfalls geht es immer aufs Ganze.« Und zwar so: »Wieder einmal gestaltete die Gattin des Generalintendanten die Hauptrolle, was ihr bei unproblematischer Mittellage und viel Parlando gut glückte. Verstehen konnte man sie freilich auch nicht. Der Generalintendant selbst sagte anschließend auf der Pemierenfeier, jetzt sei es aber endlich genug mit den slawischen Frauenschicksalen, weshalb Krämer demnächst wohl etwas anderes machen muß.‚«
Katrin Bettina Müller
erörterte an gleichem Ort anläßlich Bejarts Ring um den Ring am Vorabend des 9. März folgendes Problem:
»Reicht es für stundenlange Befriedigung, daß die Oberschenkelknochen von Bejarts gesamter Compagnie de Ballet mühelos in ihren Hüftgelenken kreisen? Dein Bein, das unbekannte Wesen. Was nützt der über den Kopf hinausgestreckte Fuß, wenn dadurch die Linie der Arabeske gebrochen wird und der Bewegungsfluß ständig zu Posen erstarrt. Eine Leistungsschau der Grätschen, der bis ins äußerste auseinandergezogenen Glieder, der sich selbst zerreißenden Körper, gymnastisch und artistisch. Bejarts Fähigkeit zur Integration neuer Tanztechniken scheint sich erschöpft zu haben, als er damals den geflexten Fuß, den Energiekick aus dem Solarplexus und den Hüftschwung des Rock'n'Roller als Gipfel des erotisierten Körpers in seine Ballettsprache aufnahm.«
Anselm Bühling
erschütterte am 21. September die Schaubühnen-Inszenierung von Aleksander Vvedenskijs Kuprijanov und Natascha:
»Was verlorengeht, die ganze Dimension der Äußerlichkeit und Oberflächlichkeit, kann durch das unentschlossen parodierende Beschwören von inneren Schleimhäuten und Psychomechanismen nicht kompensiert werden. Einige Albernheiten erlaubt die bis ins kleinste penibel festgelegte Inszenierungspartitur bloß kurz vor dem allseits vergeblich erwarteten Höhepunkt. Aber gleich darauf versackt das alles wieder vor der hier völlig unangebrachten existentiellen Tragik der gescheiterten Kopulation, und Ulrich Wesselmann bringt es fertig, den kürzesten, prägnantesten und wichtigsten Monolog des Stücks (‘Ich vergnüg' mich selbst. / So. Alles fertig. / Zieh dich an.‚) völlig untergehen zu lassen. Es gähnt der fast schon tote Wurm. Die Schaubühne gibt sich dem einsamen Genuß hin. Jeder streichelt bedeutungsvoll seine Katze.«
Andreas Becker
urteilte am 10. September anläßlich eines Gastspiels der Pixies im Tempodrom:
»Black Francis ist ein Schwätzer, und das weiß er auch. Deshalb sagt er auf der Bühne lieber gar nichts, was ihm einige dann als Arroganz anrechnen. Francis ist nicht mehr der naive Junge, der vor zwei Jahren im Loft den Putz von den Wänden schrie. Er ist der Halberwachsene, der seine Gitarre beiläufig wie eine Plastiktüte trägt. Der dem Volk einen Hit wie Here comes your man als schimmliges Brot verkauft. Der kleine Melodienriffs mit sich rumschleppt, die dann im Konzert, als Songs verdünnt, aus seiner Gitarre quellen, Songs, zu denen man nicht tanzen, sondern nur in sich hineinnicken kann — Kopf runter, Kopf wieder rauf. Der wie sein Publikum unter einem ständigen Überdruck steht, den er nicht zu kanalisieren weiß. Bis die Musik seinem Körper entweicht wie ein Dampfkessel.«
Claudia Wahjudi
gründelte anläßlich einer denkwürdigen Ausstellung: Zehn Jahre Einstürzende Neubauten im Künstlerhaus Bethanien, über Mythos und Minuten:
»Das Schöne an Musikern mit Kultstatus ist ja, daß sie so vermeintlich intim mit denen sind, die den Kult betreiben. Sie gründeten sich, als man begann, sich zu ‘sozialisieren‚, lernten und probierten aus, als man selber lernte und ausprobierte. Immer waren sie auf Knopfdruck da, gaben Kraft und Geschwindigkeit und bestätigten in konzentrierter Aussage die eigene Weltsicht. Dann wird so eine Band plötzlich zehn Jahre alt, und gerne würde man gratulieren, nicht zuletzt sich selbst, weil da noch etwas aus der eigenen Jugend überlebt hat. Aber, und da ist der Haken der Stars, es machte wenig Sinn, denn die Intimität ist ganz einerseits.«
R. Stoert
Hausschreiber cyberzyklischer Einführungen sowie Abführer der Aufklärung, wurde bei einem Konzert der legendären Cramps im Metropol am 14. März poetisch:
»In engster Lackhose, eingerissener Billiglederjacke und schwarzen Pumps, geriet Lux Interior schon nach kurzer Zeit gut ins Schwitzen, Feuchtigkeit perlte wie ein schmierig-glänzender Film über die Kleidung, später dampfte er buchstäblich kleine Wölkchen. Wild rollten die Augen, wild raufte er sich das Haar, wild machte er mit Mikrophon und Ständer herum. Es hatte etwas von einer Trash-Version katholischer Katharsis: ‘Sünde brennt in mir, verbrennt mich! Ja, ich bin ein schmieriges Tier, ein Hund, der sich in billigen Vergnügungen suhlt! Und davon will ich mehr! Mehr! Viel mehr!‚ Den Hund kann er wie kein anderer; er jault und heult, krümmt sich unter den treibenden Dämonen — und verschwendet sich bis zum letzten. Das Publikum ging schön mit, die Menge wogte, die heißen, schweißnassen Leiber aneinandergepreßt, gelegentlich überschwemmte der Modergeruch lang geschlossener Grüfte die vorherrschende Mischung aus billigem Rasierwasser und billigen Parfüms, ein unförmiger Körper in verwaschener Kleidung wurde freundlich über die Köpfe hinweg weitergereicht, bis er dann hinabtauchte, unterging im entfesselten Taumel des ‘Wir sind schlecht, wir haben Spaß daran!‚.«
Thomas Kuppinger
erlebte beim Seminar Aids und Medien am 24. November schwule Pornos:
»A Chance of a Lifetime ist ein Episodenfilm, bei dem die hiesige AL nach langen Diskussionen das hehre Drehbuch geschrieben haben könnte: 1. antirassistisch, ein Schwarzer muß mit einem Weißen; 2. antisexistisch, auf keinen Fall ein zu geiler Body, ein liebes, lustiges Fummelchen muß in die Hauptrolle; 3. antipatriarchalisch, Dominanz und allzu Männliches darf es im Bett nicht geben; 4. ganzheitlich, erst wird endlos geredet, gegessen...; 5. experimentell, neue Schmuseformen, Stellungen, Techniken; 6. sauber, es wird viel geduscht; 7. kulturell wertvoll — ach ja — und 8. aufklärerisch in pädagogischer Reinkultur. Auf dieser Beschlußlage entstand dann wohl ein Streifen, bei dem sich Wohlmeinende schlapp lachten, die Schwänze aber auch schlapp blieben — und nur die mitproduzierenden Staatsbeamten zufrieden waren, weil sie ja nun Gott sei Dank ein für allemal ihre Schmuddelpflicht getan hatten. Ein Schuß, der nicht in die Unterhose, sondern ganz nach hinten losging.«
S.A.F.T.
drang in der Reihe Jugendfreie Glimmerfilme in die Geheimnisse des »Gute-Laune-GAU« vor. Am 29. November traf er das HB-Männchen bei einer Erlebnispause:
»Abenteuermänner und Freizeitgruppen waren schon besetzt, blieb irgendwie noch der Lebensraum Schreibstube mit flotten modernen Lohnsklaven. ‘Offen für Estland‚ und ‘Hol dir das würzige Aroma der Ostgebiete‚ hätte es treffsicher für die ‘Reval‚-Jugend geheißen. Die neugestartete ‘HB‚-Offensive aber wollte nicht so recht mit dem topaktuellen ‘Maas-to-Memel‚-Trend gehen und entschied sich für den Risikobereich: ‘Gute-Laune-Splatter‚, in dem sich der ‘HB‚-Mann beweisen muß... Zwischen Büro und Bistro lauert auf ihn eine Welt voll tödlichem Witz und stechuhrfeindlicher Ablenkung. Originelle Situationen tun sich gefährlich um ihn auf, humorvoll aufspritzende Grotesken locken ihn auf Flirtminen, denen er gerade noch durch einen Sprung zu einem Stand knuspriger Baguettes entkommen kann. Einmal bewaffnet er sich sogar mit einer Schaufensterpuppe, um seinen Gegner mit einer tödlichen Waffe zu schlagen: dem unwillkürlichen Schmunzeln.«
kolt
wandte sich in nämlicher Reihe der »Marke der Überlebenden«, ‘Lord Extra‚, zu:
»Wenn man sich nach dem atomaren Overkill erst mal eine anzündet, um zu entspannen, dann wird es eine ‘Lord Extra‚ sein. ‘Lord‚ — die Marke der Überlebenden — und viele sind es ja nun nicht. Maximal fünf Menschen, debile Eloys, die in ständiger Furcht vor den unterirdisch hausenden vertierten Fleischfressern (Morlocks) leben, ahmen unwillkürlich die überlieferten Verhaltensweisen einer untergegangenen Klasse nach. Frei nach dem amerikanischen Bestseller Rituals of the Rich (deutsche Titel: Geld und seine enormen Vorteile) von Andrew Suppermost, der dem Fahrstuhl als Statussymbol damals noch ein eigenes Kapitel einräumte. Aber weder exzessives Fahrstuhlfahren noch Privatjet, Ferrari, Segeljacht oder die Deutsche Bundespost als hohle Fortbewegungspanzer der erstaunlich großporigen Herrenmenschen können darüber hinwegtäuschen, daß nicht viel los ist. Das ist ja gerade der Trick bei der Sache! ‘Lord Extra‚- Zigaretten gehen aus, wenn mehr als fünf Menschen versammelt sind. Insofern ist eine Schachtel ‘Lord Extra‚-Zigaretten zwanzigmal das kleinste Privileg seit Erfindung der Kontaktlinse (und vor Erfindung der Barmer). Nur wenn eine Zigarette jederzeit auch als Ferrarizündkerze einsetzbar ist, greift die BVG- Kundschaft zu, verschämt sicherlich, vielleicht ist man zu weit gegangen. Genau das ist aber die Tragödie unserer computergesteuerten Zigarette: Überschminkte Hausfrauen stellen sie bei ihren Tupperware-Parties dekorativ in Senfgläsern auf. ‘Lord‚ — nur eine Landadelzigarette, auf futuristischen Vordermann gebracht?«
Detlef Kuhlbrodt
durchpflügte mit seinen freundlichen Artikeln die Berliner Kulturlandschaft ein weiteres treues Jahr. Hier seine freundlichsten Stellen:
»Gleich am Bahnhof steht eine Bank, und neben der Bank steht eine Skulptur, die vormacht, was man zu zweit auf der Bank machen sollte, nämlich sich freundlich unterstützend festhalten.« (Ein Spaziergang durch Straußberg, 11. Juni)
»In der Kneipe schauen Fernseher dich freundlich an.« (Männer schauen Fußball, 23. Juni)
»Der freundliche Bär ist sozusagen das Flaggschiff des Verlags. ‘Bummi‚ ist seit 33 Jahren ein buntes und freundliches Bilderheft mit Beilage für Eltern«. (Kanzlerbär im Bummiland am 10. Dezember)
»In der freundlichen ‘Botschaft‚ oder in der sympathischen Samariterstraße, in vielen besetzten Häusern stellt man sich eine Art Paradies vor und denkt an eine Stadt, in der an allen Ecken und Enden Mainzer Straße ist.« (Hausbesetzungskunstaktion in Friedrichshain, 17. Dezember)
»In den Songs ging es um kleine Dinosaurier, um Honigbienen, um freundliche Insekten... Man ist gerührt von dem Lied, das den mit seiner Suizidgefährdung posierenden Oberschüler nicht zum affigen Helden macht, sondern wie ein schüchtern-freundliches Hallo am Krankenbett ist...« (Jonathan Richman im Loft, 15. September)
Der ganz nahe Osten
Christel Dormagen
schöpfte anläßlich der anhaltenden Öffnung der Grenzen und dauerhafter historischer Ereignisse beispielsweise aus dem vollen Leben:
»Man mag inzwischen schon gar nicht mehr zugeben, daß man in Berlin wohnt, weil alle Nichtberliner Pawlowschen Hunde der Welt ins Hecheln geraten: Wahnsinn! Wie es denn so sei, mitten im Ereignisstrudel drin! Westdeutsche TelefonvoyeurInnen hätten gern eine kleine verbale Videoshow, quasi einen Mitschnitt der Historie. Liegt man verträumt am fernen Kanarenstrand und verrät sich sprachlich, dann benötigt die expatriierte Neugier gar nicht mehr das Paßwort Berlin, da genügt schon: Mensch, da müsse ja jetzt was los sein bei uns in Deutschland! — Man kann aber doch nicht mit aufgewärmter Leidenschaft zum x-ten Mal die Geschichte mit der Mauer und den Löchermachern erzählen, auch wenn man die nun wirklich und wahrhaftig selber knapp hinter der Wohnungstür am Werke gesehen hat... Man solle doch nicht so verstockt tun, wo man schon das Privileg des Mittendrinseins habe. An was denn der/die andere so denke, fragt man, inzwischen längst verzagt. Na, halt an den Wahnsinn, der jetzt bei uns abgehe! Aha, der Wahnsinn also! — Die eingeschüchterte, wo doch akkreditierte Zeitzeugin fragt sich nun ernsthaft: Wie übt man die Tätigkeit des Zeitzeugin-Seins befriedigend und erfolgreich aus? Welcher Sinn ist dafür zuständig?«
Ralf Schuler
Unversehens aus den Mauern nach Paris geworfen, erörterte der Ex- Ostler und 'Neue-Zeit‘-Redakteur, inwieweit das Westreisen dem durchschnittlichen Ostler bekömmlich sei:
»Der gewöhnliche ‘Zoni‚ oder auch ‘Ossi‚ ist klein von Wuchs, nicht übermäßig kräftig und trägt unscheinbare Hütchen. Er hat solch drollige Namen — die wohl Steven Spielberg angeregt haben würden, eine Fortsetzung zu ET zu drehen, wenn der Stoff nur ein wenig mehr hergäbe für einen amerikanischen Streifen — er nennt sich also dergestalt putzig, weil man ihm 40 Jahre lang einhämmerte, er habe stolz zu sein auf seine Herkunft und heiße im übrigen Bürger der Deutschen Demokratischen Republik. Je nach Bedarf wird er daheim unter so liebevollen Bezeichnungen wie ‘Personalbestand‚ oder ‘VBE‚ (Vollbeschäftigteneinheit) geführt.« Jene Spezies hat in Paris bestimmte Schwierigkeiten: »Verhältnismäßig schnell begreife ich im Hotel, daß es sich bei dem eigenwilligen Wasserhahn um einen Zeitschalter handeln muß. Zwar komme ich zu diesem Schluß erst kurz vor dem Abdrehen des Etagenhahns und nach reichlicher Panik, aber es klappt dann doch. Schwieriger sieht es da schon bei einer Apparatur aus, bei der mir, nachdem ich Hahn und Seifenspender zur Hälfte zerlegt habe, ein Herr mit spielerischer Leichtigkeit erklärt, daß man nur ein Fußpedal zu treten habe... Während ich noch die Hände im Luftstrom trockne, kann ich nun meinerseits mit herablassender Lässigkeit einem weiteren Herrn die Anlage erklären. Ganz sind aber meine Zweifel nicht gewichen, ob ich denn in einem Café, das seine Toiletten vollständig mit Spiegeln ausgestattet hat, nun eine mit Wasser beflossene Raumkunst geschändet habe oder ob es sich dabei tatsächlich um eine Art Pissoir handelte...« Nicht zuletzt wegen dieser Problematik kommt der Autor zum Schluß: »Ja, man kann dem ‘Zoni‚, dem vormaligen, nicht raten, nach Paris zu fahren. Zu stark sind die Anfechtungen, zu schwach das Geldetui, er kennt sich nicht aus mit den Armaturen jenseits der nächtelang erstandenen aus der heimischen Baustoffversorgung... Und am Ende kommt er gar noch zu dem Schluß, daß es verdammt schade ist, wenn der ‘faulende und absterbende Imperialismus‚ demnächst schmählich untergeht...«
Rolf Lautenschläger
erlebte einen »tollen Tag«. »Als am letzten Samstag der Grenzübergang Brunnenstraße aufgemacht worden ist«, fing er am 9. April Metropolenstimmung auf:
»Mit einer Stimme, die man sonst nur aus Schießbuden und aus Stripläden kennt, macht Goldkuhle Hausfrauen auf seine Würste scharf: ‘Lecker, lecker, lecker, hier bei mir. So komm her, wir machen noch ein Tütchen voll. Hahaha. Na mit Würsten, was denn sonst. Nix was du denkst. Und achtgeben. Einmal Landsalami, komm mal her. Und rin in die Tüte. Und es bleibt bei 20 Mark. Eine leckere Bierwurst, kommt auch mit dazu. Und es bleibt bei 20 Mark. So, dann machen wir noch einen Knacker. Bleibt bei 20 Mark. Komm her. Schinkenplockwurst pack' ich mit drauf. Bleibt bei 20 Mark. Und der Avusring ist gratis dabei. Alles für 20 Mark. Los Luise.‚ Hier haben die Sozis Heimspiel. Vor einer Berlinsilhouette mit Ost- Fernsehturm und rosarotem SPD- Logo bläst die Combo gegen die ‘Blas-Mix-Berlin‚ aus Pankow auf der Ost-Straßenseite und deren Dynamit-Verstärker an, die aber mit Songs wie Adelheid, Adelheid, schenk mir einen Gartenzwerg sowieso nicht im Trend liegen... Zehn Uhr. Die Stimmung steigt ein wenig, als Bezirksbürgermeister Spiller und sein Ostkollege Fahl aus Mitte mit Händedruck den Übergang einweihen. Ab jetzt gehören der Wedding und Berlin-Mitte wieder zusammen. Das Urstromtal verschluckt wieder Märkischen Sand. Etwas dramatischer verkauft, klingt das so: ‘Liebe Weddingerinnen und Weddinger (...) die Brunnenstraße, bis zum 13. August 1961 eine der Hauptverkehrsverbindungsadern zwischen Wedding und Mitte, wird von der Mauer nicht mehr durchtrennt (...) nicht das Trennende wird markiert, sondern das Verbindende (...) keine Schranken der Abgrenzung (...) Zusammenwachsen Berlins (...) Chancen und Risiken (...) unser Wedding.‚ ‘Jawoll!‚ brüllen ein paar Ostler und stürmen die Buden, Läden und Bierstände. Jemand aus der Verwaltung muß Spiller hassen, denn die kleine Rednerbütt hinter der Spiller spricht, ist mit grabschmuckartigen Pflanzen dekoriert... Dann, unter Fanfaren, kommen Toni Sowieso, Oberbürgermeisterkandidat aus dem Osten, und Walter Momper dran. Für Momper ist das ein toller Tag, alles wächst schneller zusammen, als er denkt, sagt er. Das Wetter sei schön, so Momper. ‘Ich bin so froh und glücklich auch an solch einem Tag, daß wir das miterleben können.‚ Martiny ist sichtlich gerührt. Meisner klatscht wie verrückt, so emotional habe ich ihn noch nie erlebt. Weddinger und Mitter brüllen: ‘Bravo, bravo, bravo...‚«
Michaela Ott
enthüllte die Leiden der freischaffenden Autorin, als sie nach mehrstündiger Suche nach dem zu rezensierenden Kulturereignis zwischen den Grenzen und mannigfaltigen Stadtteilen, gequält von Taxifahrern und Telefonbüchern doch noch einen mehrzeiligen Artikel schrieb, um wenigstens das Geld für den Babysitter wieder hereinzukriegen. Aber eigentlich wollte sie »an diesem Sonntagabend nach Ost-Berlin gehen. Da kam mir dieses verlockende Angebot zu, für die taz einen Vortrag von Bazon Brock zu rezensieren, dessen Gewitztheit ja bekanntlich auf jede Hörerin überspringt. Davon konnte ich wohl was gebrauchen, als regelmäßige Schriftverfertigerin für die taz. Außerdem hatte Bazon vor Jahren einer meiner Freundinnen an den Hintern gegriffen, also fühlte ich mich mit ihm vertraut. Und was ein mir Nahestehender ausführt, konnte mir nicht gleichgültig sein.«
Dorothee Hackenberg
wandelte am 11. Oktober auf den Spuren der ost-west-übergreifenden Einkaufswagen-Stadtrauminstallation Im Freilauf der Käuflichkeit:
»Täglich verändert sich diese Stadt. Sie krümmt sich unter den Erschütterungen einer radikal umgetüteten Einkaufs- und Überlebenssituation. Die Verschiebung der Systeme in Ost und West bewirkt eine Verschiebung der Lebensbehältnisse... Über- und ineinandergeschachtelt oder durch den Fetisch der Deutschmark miteinander verkettet, symbolisieren die Reintu-Roller nicht zuletzt die Situation des Nahrungs- und Genußmittelsüchtigen in der modernen Schieberwelt. Der schiebende Mensch unterliegt als Regenerationsmaschine dem Gesetz der Serie, der Kettenreaktionen und Stapeleffekte. Kapitalismus als quasi naturwüchsiger Prozeß sprengt die Kategorien von Konsumenten und Totalverweigerern. Vor dem Gitter einer neuen Zeit liegt das Edelstahl einer befreiten Käuflichkeit...«
André Meier
würdigte am 14. Mai das erste gesamtdeutsche Fummelfeature der »Offline« im Haus der sowjetischen Wissenschaft und Kultur und ging dabei besonders auf die landeskundlichen Eigenheiten ein:
»Im relativ homogenen Feld der Angebote wurde jeder kleine Ausbruch begrüßt. Und so erntete die Hallenserin Linda Reichelt mit ihrer Landart- Kollektion auf Brunnenkressebasis mehr als nur Aufmerksamkeit. Die pflegeaufwendigen Körperwiesen der DDR-Designerin fordern von ihren Trägerinnen neben dem Mut zur Blattlaus auch jede Menge gärtnerisches Talent, um das Produkt über die Saison zu retten.«
Wohl fühlte sich der Überzeugungsostler auch beim Heimatabend mit der Kultkapelle »Pankow«: »So anrührend wie (Frontman) Herzberg konnte keiner die Texte von Frauke Klauke von der Bühne schreien, stammeln oder flüstern. ‘Gabi hat gefragt, und der Vater hat ja gesagt, Gabi darf zur Disco gehn.‚ Fast zehn Jahre lang sorgte Herzberg dafür, daß solche scheinbar erzbanalen Zeilen auch die erzittern ließen, die weder Vater noch Mutter fragen mußten und auch nicht ‘Gabi‚ hießen.«
Gabriele Riedle
hingegen nahm anläßlich eines Wahlhilfeprogramms der Berlin- Kultur vom 17. März an einem »kombinierten Rekonstruktionsseminar mit Dr. Dr. resoz. Sauerbruch, der übrigens noch ein Schüler von Werner Freiherr von Seelenbinder war und diesen sogar persönlich gekannt haben soll«, teil, unter dem Titel Frei dich freu. In der Stunde, »in der Sie sich freuen müssen«, seien die Zeiten vorbei, »da wir noch kontra- delektive Vorkommnisse haben durchgehen lassen«. Die Seminarteilnehmerin weiter: »Was hier immer noch in einem etwas gespreizten Staatsarztdeutsch als ‘Vorkommnisse‚ bezeichnet wird, entbehrt indessen nicht des traurigen, bzw. geradezu unerfreulichen Kerns; gemeint sind nämlich jene windigen und, allen Unkenrufen zum Trotz, nun wirklich vom CIA gesteuerten, Manöver des Einvolkers, wie sie zum Jahreswechsel ihren Höhepunkt fanden. Unter der Leitung des USA- Dirigenten Leonard Bernstein wurde Beethovens Ode an die Freude, dieses ebenso vorausschauende wie kühne Fanal gegen irgendwann abzufeiernde ‘40 Jahre Farb- und Freudlosigkeit‚ hinterrücks zur ‘Ode an die Freiheit‚ verfälscht...« Was wenig hilft: »Die mit dem Einvolker identischen Erstwähler wollen und wollen und wollen sich immer und immer noch nicht freuen.« Ausgerechnet »der SED (Sondererbauungsdienst) hat sich wiederum an die Spitze der maroden Demokratiebewegung gestellt«. Ein Auszug aus den Direktiven: »‘Lächeln‚ erfolgt durch gleichzeitiges Anspannen der oberen Wangenmuskulatur auf der rechten und auf der linken Seite. Die Augen, auch hier das rechte und das linke, können dabei leicht zusammengekniffen werden. Von simultanem Zähnefletschen ist indessen abzusehen!... Schon vor der Wahl sollte das um, also nicht an den Hals fallen geübt werden. Bei schüchternen Naturen genügen engere Familienangehörige als Schnellumklammerungspersonen ... egal welches Wahlergebnis: es wird sich immer gefreut!... Ab jetzt sind Sie an allem schuld, bzw. alles geschieht nur noch zu Ihrem besten, bzw. jetzt ist es sowieso egal, wer Sie tritt bzw. vertritt.«
Dorothee Wenner
recherchierte am 27. Oktober anläßlich der fortschreitenden Durchmischung von Ost und West die Zunahme von mittleren und schweren Verbrechen, die scheinbar motivationslos und mit ungewöhnlicher Härte an der Tagesordnung sind:
»Im Aldi beispielsweise sieht eine junge, liberale Westfrau, wie ein Ostvater seinem Sohn die Händchen so grob gegen die Lenkstange quetscht, daß der Kleine zu schreien beginnt. Das, so die erregte Westfrau, sei hier (= im Westen) nicht die Art, mit Kindern umzugehen. Er solle das bitte sofort lassen! Der Ostvater läßt sich durch die Rüge nicht weiter einschüchtern. Vielleicht, um sich später bei seinem kleinen Sohn entschuldigen zu können, klaut der Ostvater eine Tafel Schokolade. Was im Samstagsgedränge sicher nicht weiter aufgefallen wäre, hätten ihn nicht die Augen der erzürnten Westfrau verfolgt. ‘Aus Rache‚, wie sie dem Vater später ins Gesicht schrie, ‘weil ihr Ostler es sonst ja nicht kapiert!‚, denunzierte sie ihn. Eine wütende, ohnmächtige Verbindung mit dem Klassenfeind, wie sie vor einem Jahr nicht denkbar gewesen wäre.«
Drallinger
besuchte die erste deutsch-deutsche Leistungs- und Vergleichsschau der Hundedamen und entdeckte am 21. September aufsehenerregende Phänomene bei den DDR-Hundedamen:
»Während die Ostdobermänner ihre gestutzten Ohren und Minischwänze ebenso ungeniert zur Schau trugen wie ihre aus sehnigen Flanken ragenden stachligen Beine, bot das Gros der Ostpudeldamen eine Augenweide. Wer es sich leisten konnte, trug glattrasierte Hinterteile; luftige Brusthaare und Kopffrisuren waren etnzückend und, wenn auch nicht gewagt, immerhin auffallend frech. Welch ein Kontrast zu ihrem Erscheinungsbild auf den Gassistrecken der Republik. Die bei der Leistungs- und Vergleichsschau so leuchtenden Augen sind dort nämlich meist scheu zu Boden gerichtet. DDR-Pudeldamen halten dem Blick ihrer Herrchen nicht lange stand... Nein, diese Pudeldamen sind, Ausnahmen bestätigen die Regel, nicht aufregend, versprühen keinen Rammel-Appeal... Es ist die Ausdrucksleere ihrer Augen, es ist der lethargische Blick, der die Vorstellung verhindert, diese Wesen könnten nicht nur geduldig Gassi gehen und Gassi machen, sondern auch eine interessante Persönlichkeit darstellen, selbstbewußtes Tier sein oder die Rammelinitiative ergreifen... Die typische DDR-Pudeldame dürfte Ausstellungskataloge renommierter Tierschauen allein als pornographischen Schweinkram empfinden, würde sich von Zwingerrammeln angewidert abwenden und ausgewiesene Zucht- und Deckrüden verschmähen.«
Volker Heise
saß im heißesten Fischabteil der Reichsbahn anläßlich einer Reise nach Berlin. Von seinen denkwürdigen Erlebnissen mit Reinickendorfer Metzgersleuten und einem einarmigen fischeverzehrenden Rußlandkämpfer berichtete er am 12. Dezember:
»Zisch macht es in diesem Augenblick: die Bierdose zwischen die Knie geklemmt, riß der Einarmige sie mit der Hand auf, die überlebt hat; steht er richtig im Koordinatensystem der Windrichtungen, dann ist es diese Hand, die wir im Westen finden, verloren ist der Osten und Polen da, wo er Phantomschmerzen hat; das Land ist doch der Körper der Nation, darum zieht es ihn nach Leningrad, dahin, wo sein amputierter Teil sein muß, meine ganz persönliche Wiedervereinigung; Riese ist gebucht, Päckchen vorausgeschickt, wir haben auch gespendet, Rußlandhilfe... Weihnachten in Rußland, der Einarmige seufzt, löscht das Seufzen mit Bier, Erinnerung macht durstig, Fisch auch, Weihnachten, da hat's ihm den Arm abgeschlagen, so was nenn' ich mir ein Geschenk, kriegt man nicht alle Tage, höchstens zweimal im Leben. Als er nach der Operation aufgewacht ist, haben die Kameraden den letzten Weinbrand ihm gegeben, Prost Werner, Prost Kameraden, ja, der Werner gibt einen aus, heut einen Arm, morgen einen Fuß, sag der Mutter einen letzten Gruß, und dann weg mit der Extremität, ab in die Latrine, im Stehen hinterhergepinkelt und dabei über den Westerwald gepfiffen: so wollen wir alle beerdigt sein.«
Aus den Niederungen des Gewöhnlichen
Christel Ehlert-Weber
ging in eine Ausstellung für Hund und Mensch und lernte dabei C. und K. kennen. Ihre Nachrichten aus der realen Welt waren am 11. Dezember zu vermelden:
»C. lebt mit K. in einem eheähnlichen Verhältnis. Beide haben studiert und mittelmäßig karrieriert. Eines Tages — es war nach einem Kurzurlaub auf La Palma, der ‘Insel der Mütter‚, bemerkten sie die Inkompatibilität von einem späten Wunschkind mit ihrem eigenen fortgeschrittenen Alter. C. und K. sind zusammen fast so alt wie das Jahrhundert. Sie lösten das Problem durch den käuflichen Erwerb eines Adoptivkinds aus Südostasien. Warum sich in der Folge das rechte Elternglück nicht einstellen wollte, ist für eine Erörterung an dieser Stelle belanglos. Interessant ist nur die Auflösung der semiödipalen Trinagulation: C. und K. tauschten das Kind mit einem Golden Retriever, ‘Eskimo‚. Der Golden Retriever ist ein Entenapportierhund mittlerer Größe mit seidigem, eben goldfarbenem Fell und einem überproportional breiten Kopf. Gemessen daran, daß das Tier im Fachgeschäft etwa 2.000 DM inklusive Mehrwertsteuer kostet, haben C. und K. einen finanziell unlukrativen Tausch gemacht, als sie den Hund nahmen und ihr südostasiatisches Adoptivkind gaben. ‘Doch das mußt du anders sehen‚, erklärte mir K. damals in seiner nüchternen Art. ‘Die laufenden Kosten für Eskimo sind sehr viel geringer, und er verbraucht weniger. Zwar hält er nicht so lange, aber selbst wenn wir ihn alle zehn Jahre erneuern müssen, bleibt unterm Strich immer noch ein relatives Plus. Ein Plus, das wir jetzt in unsere Kunstsammlung stecken können...‚«
Herr Thömmes
machte sich anläßlich eines Theaterbesuchs bei der Schwaben-Offensive Gedanken über seine Landsleute:
»Schwer ist es nicht, sie zu identifizieren. Zwar sehen sie aus wie ganz normale Menschen, nur wenn einer den Mund aufmacht... ‘Barrikada baua‚, ‘Schdoiner, mir brauchad mehr Schdoiner‚, ‘baß auf, daß d' net nahhaglsch‚ — die süddeutschen Straßenkämpfer sind unüberhörbar. Darunter leiden sie...«
Thomas Winkler
gab sich zum Katholikentag ungebrochen seinem »blanken Neid auf den Katholizismus« hin und bekannte am 25. Mai:
»So trieb ich mich in meiner Jugendzeit gerne und eigentlich ja illegalerweise in heiligen Stätten der anderen Konfession herum, tauchte meine Finger in Weihrauchschälchen der Konkurrenz, strich sanft über die brüchig gewordenen und von Holzwürmern zerfressenen Bänke und huschte auch schon mal in einen Beichtstuhl, um der Intimität zwischen Sünder und Beichtvater nachspüren zu können, die uns Evangelen, die die Massenbeichte (‘Vater, wir haben gesündigt, vergib uns!‚ — ‘Ist okay Leute, ich habe heute einen guten Tag, abgehakt!‚) kennen, ungerchterwerise gestrichen wurde. Keine Strafen, keine Rosenkränze, keine Madonnenanbetung, keine kleinen Kerzen für kleine Sünden und keine große Kerze für den außerehelichen Geschlechtsakt. Statt dessen diese ständige Vergebung. Wie soll ein junger Mensch da noch Halt finden.«
Olga O'Groschen
bedankte sich am 23. März anläßlich einer Bezirksausstellung zur Neuköllner Nachkriegszeit für die mutige Aufklärungsinitiative, denn »wir wissen noch viel zuwenig über die historische Entwicklung dieses Berliner Kleinods. Wir stehen, ehrlich gesagt, vor einem Rätsel, wie es zu diesem extra schlampigen und enorm verwarzten Bezirksprofil kommen konnte. Die wenigen Zeitzeugen ... sind kaum mehr vernehmungsfähig. Viele genießen den Lebensabend mit einer täglichen Drei- Liter-Bombe Rotwein, schlurfen gebeugt über die Sonnenallee und lassen sich in kleinen ranzigen Frisörsalons die Dauerwelle richten. Ihre Lebensrückblicke bekommen allenfalls Pudel und Wellensittich zu Hause zu hören.«
Sophia Ferdinand
schrieb am 12. Mai eine Leib- und Magengeschichte, in der sie nicht nur der Frage nachging: »Was ist ein Broiler?«:
»Er reißt sich kein Bein für Sie aus, hat eine kluge Dame beobachtet. Aber ich will ein Bein von ihm haben. Das stelle ich mir dann in den Kleiderschrank und kann ja manchmal damit spielen. Ich finde, die Selbstlosigkeit eines Menschen zeigt sich erst dann, ob er/sie wirklich bereit ist, sich ein Bein rauszureißen und dann als Einbein weiterzuleben. Und der Egoismus der Menschheit zeigt sich daran, daß die meisten ja noch als Zweibeiner herumlaufen. Nur beim Hähnchenessen ist es anders: Da darf man mal die Sau rauslassen und das Bein rausreißen. Aber auch das muß man selbst tun, das Huhn reißt sich nicht das Bein raus, um es dem Esser/ der Esserin zu geben. So wie auch Andreas die Hand aus der Jackentasche ziehen mußte, damit er mich endlich umarmt...«
Hans-Hermann Kotte
ging anläßlich des 40. KaDeWe-Geburtstages den Enthüllungen eines 'Tempo‘-Redakteurs nach, der »sich Anfang Februar als tailliertes, kurzärmliges Button-down-Oberhemd (Größe 42) in die Herrenkonfektion des renommierten Kaufhauses KaDeWe geschmuggelt hatte. Hier seine Erfahrungen im O-Ton: »Hätte ich doch eine Zellophanhülle gehabt. Aber nein, sie wurde mir ja von den KaDeWe-Substituten heruntergerissen. Die fanden das zu prol. Dann die Kunden, diese Grabschfinger, eklige schwere Goldketten, Siegelringe, Tätowierungen — und: Reichtum schützt vor Handschweiß nicht. Dann Hoffnung: Ich werde runtergepreist. Endlich raus hier. Doch nein, als ich auch nach der Werbewoche noch grauschleierig in der Sonderkoje liege, werde ich doch nur verlegt. Und zwar zu Wertheim am Ku'damm. Kauf mich einer, bitte! Es darf auch ein Schlachter aus Unterföhring sein oder ein Schaffner aus Husum... Wertheim... Aufatmen, als mich ein schwäbischer Student in die Umkleidekabine schleppt. Doch wieder Fehlanzeige. Transport zu Bilka in die Hauptstraße. Ich werde noch mal aufgebügelt, was Wirkung bei den multikulturellen Unterschichten zeigt. Doch das führt nicht zum ersehnten Rutsch über den Tresen... Bei zwei Verkäuferinnen schnappe ich auf, daß ich nun ins ‘Centrum-Kaufhaus‚ am Ostberliner Hauptbahnhof kommen soll. Gott gib mir Kraft und Hoffmanns Stärke. ‘... Wie die Redaktionsleitung der taz weiter mitteilte, sei der Fall inzwischen den Verbraucherzentralen in Ost und West zu Ohren gebracht worden. Sie hätten mit müdem Gähnen reagiert... Das Moskauer Kaufhaus GUM habe auf Anfrage mitgeteilt, daß schon Peter der Große mißliebige und unverkäufliche Pelzkragen nach Wladiwostok verbannt habe.«
Hermann der Molusker
schrieb anläßlich der taz-Serie Wie und warum wohnen die Wahrheit über das Obermieten:
»Immer dieses larmoyante, selbstmitleidige Getue der Untermieter, die ja eigentlich Mitmieter sind, genauso wie MitarbeiterInnen, MitbürgerInnen, MitesserInnen. Nie habe ich eine(n) unter- oder ausgedrückt oder -gebeutet. So wahr ich Obermieter, oder besser, Hauptmieter oder Oberhaupt (und Oberhemd und überhaupt d. Red.) bin. In Wahrheit ist alles natürlich völlig umgekehrt.«
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