Im Osten riecht die Luft öfter mal brenzlig

■ Kripo: Ost-Berlin ist Eldorado der Brandstifter/ In Bezirken mit Bruchbuden qualmt's am meisten/ 1991 Welle von Brandversicherungsbetrügereien?

Berlin. Die Brandermittler der Berliner Kripo stöhnen momentan über »fast zuviel Arbeit«. Daß die Feuer- Kriminalisten kaum mehr aus den Schuhen kommen, hat eine besondere Bewandnis. Seit die beiden Stadthälften vereinigt sind, müssen sie nämlich auch in Ost-Berlin ausnahmslos bei jedem Brand anrücken, sofern eine fahrlässige oder vorsätzliche Brandstiftung nicht ausgeschlossen werden kann. Und gerade in den östlichen Stadtbezirken ist die Zahl der Vorsatztaten im Vergleich zu West-Berlin überproportional angestiegen. Der Leiter des jetzt für einen Teil der Ostbezirke mitzuständigen 2. Brandkommissariats, Werner Breitfeld: »Es gibt einen Zuwachs der Brandkriminalität von fast 90 Prozent. Das ist ein krimineller Schub, der ist erstaunlich.«

Der habe aber nichts mit der neuen Freiheit zu tun, so der Kriminalhauptkommissar. Wahrscheinlich habe die berühmte Berliner Luft schon zu SED-Zeiten öfter brenzlig gerochen. Immerhin weiß man schon aus den in West-Berlin gesammelten Erfahrungen: »Da, wo die Wohnstruktur am schlechtesten ist, brennt's am meisten.« Das betrifft im Ostteil die Bezirke Pankow, Prenzlauer Berg, Teile von Weißensee, Lichtenberg sowie den Friedrichshain. Breitfeld: »Dort wohnen auch die meisten Täter. Brandstiftung ist ja auch ein Frustdelikt. Dann kommt der Alkohol hinzu.«

Aus einem besonderen Frusterlebnis heraus scheinen in Ost-Berlin neuerdings aber selbst ansonsten gesetzestreue »Normalbürger« zu Brandstiftern zu werden. Gepeinigt vom allgegenwärtigen Müllnotstand, wissen sich diese Zeitgenossen offenbar nicht anders zu helfen, als ihren Verpackungsabfall per Streichholz zu minimieren. So sehen die örtlichen Brandermittler im Osten einen direkten Zusammenhang zwischen der Lawine von Müllcontainerbränden und dem Zusammenbruch des SERO-Systems.

Wenn nur ein geringer Sachschaden entstand, ist bei solchen kleineren Feuern von der früheren Volkspolizei oft »nüscht jemacht worden«, wissen die Beamten in der Kripo-Brandinspektion an der Schöneberger Keithstraße. Da Menschen in Lebensgefahr geraten, wenn Unbekannte im Treppenhaus an einer Fußmatte oder einem Kinderwagen kokeln, können sie die fehlende Strafverfolgung nur mit Kopfschütteln registrieren. »Es gibt Bürger, bei denen es fünfzigmal gebrannt hat, aber keiner hat's zur Kenntnis genommen. Die staunen, daß wir jetzt erscheinen.«

Überhaupt habe es unter dem »realen« Sozialismus merkwürdigerweise offiziell kaum Brandstiftungen gegeben: »In West-Berlin haben wir im Jahr 1989 zusammen 2.323 Brandermittlungsverfahren eingeleitet, die entsprechende Brandursachenkommission im Osten hat im gleichen Zeitraum angeblich weniger als fünfzig Fälle von vorsätzlich gelegten Bränden bearbeitet — da stimmt was nicht.«

Anscheinend wurde die Statistik bewußt manipuliert. Die ideologische These, daß der Kriminalität im Sozialismus die sozialen Wurzeln entzogen seien, wäre ansonsten unhaltbar geworden.

West-Berlin jedenfalls konnte im Vergleich zu westdeutschen Großstädten in den letzten Jahren den Ruf festigen, »Hauptstadt der Brandstifter« zu sein. Zwischen Frohnau und Wannsee muß die Feuerwehr 18- bis 20mal täglich ausrücken, um Brände zu löschen. Nach vorsichtigen Schätzungen der Kripo-Spezialisten sind mindestens zwischen 30 und 40 Prozent dieser Brände vorsätzlich entfacht worden. Rund 2.000 Personen sind in einer »Brandtatverdächtigenkartei« erfaßt.

Aus den gesammelten Daten ergibt sich ein ziemlich genaues Bild der Feuertäter. Es sind überwiegend alleinstehende Männer ohne Arbeit mit Tendenzen zur Vereinsamung, Verwahrlosung und zum Alkoholismus. Ermittler Breitfeld nennt sie »Kinder«, »Stiefkinder« und »Fußkranke« unserer auf Leistung ausgelegten kapitalistischen Gesellschaft. Typisches Beispiel: der 45jährige Küchenhelfer Hans-Werner R., der vor gut einem Jahr ein Hotelgebäude am Kurfürstendamm einäscherte.

Bei der Aufklärung derartiger Brände werden die Beamten in der Schöneberger Brandinspektion inzwischen von 20 Fachkollegen aus dem Ostteil der Stadt unterstützt. Doch seien die Ostkollegen noch keine große Hilfe. »Vom Strafrecht angefangen bis zur Kriminologie müssen wir den Leuten quasi alles beibringen«, klagt Inspektionsleiter Horst Brandt.

Unterdessen sorgen sich die Kriminalisten, daß Brandstiftungen in den Ostbezirken künftig schon fast Volkssportcharakter annehmen könnten. Sie erwarten eine Welle von Brandbetrügereien, wenn mit dem 1. Januar dieses Jahres alle Versicherungsverträge auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ausgelaufen sind und sich jeder eine neue Versicherung suchen muß. Kriminalhauptkommissar Breitfeld: »Da wird eine Menge angeschoben — gerade in punkto PKW-Brände. Ich kann mir also denken, daß sich Ex-DDR- Bürger, die sich beim Autokauf übervorteilt fühlen, weil das ein Schrottauto war, auf diese Art schnellstens ihre Wagen beiseite bringen.« Breitfelds Prognose zufolge werden voraussichtlich auch Brandversicherungsbetrügereien in maroden, veralteten und unrentablen Ostbetrieben stark zunehmen. Thomas Knauf