Wie Berlin abgewickelt wird

■ Kleine taz-Übersicht: Welche östlichen Institutionen werden geschlossen oder unter anderer Trägerschaft weitergeführt?/ Etwa 6.500 Beschäftigte in der Magistrats- und in den Bezirksverwaltungen gehen in die Warteschleife, hinzu kommen rund 4.700 frühere Zentralstaatsbedienstete

Berlin. Das Wort Abwicklung hat große Chancen, zum einem zentralen Schlagwort der Jahre 1990 und 1991 zu werden. Allüberall in Berlin werden gegenwärtig die alten DDR- Institutionen abgewickelt und dabei teilweise durch neue Träger übernommen, teilweise auch restlos aufgelöst. Manche haben es gewiß verdient, andere nicht. Die Mitarbeiter werden auf die Warteschleife geschickt und beziehen für ein halbes Jahr nur noch 70 Prozent ihres Gehalts, hinterher wartet die Arbeitslosigkeit oder womöglich auch eine neue Stelle. Von insgesamt rund 112.000 Bediensteten in der Magistrats- und den Bezirksverwaltungen sind gegenwärtig rund 6.500 von Abwicklung betroffen, hinzu kommen noch rund 4.700 weitere, die vom DDR-Staat bezahlt wurden und nun beispielsweise im Bereich Wissenschaft und Forschung als überflüssig angesehen werden.

Für die Vollständigkeit der folgenden Angaben über die einzelnen abzuwickelnden Institutionen können wir keine Garantie geben, auch die jeweile Stellenanzahl ist nur eine grobe, da sie sich auf Stellenpläne von 1990 bezieht und in vielen Fällen durch Kündigungen oder Übertritte ins Rentenalter gemindert wurde.

Bereich Wissenschaft:

Schlagzeilen hat in letzter Zeit vor allem die Abwicklung eines Teils der Humboldt-Universität gemacht. Betroffen ist dabei alles, was mit Marxismus-Leninismus zu tun hatte, sowie die Fachbereiche Kriminalistik, Angewandte Informatik und Wissenschaftsforschung, Rechtswissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Geschichte, Philosophie, Erziehungswissenschaften und der Bauhof im Direktorat Technik. Rund 600 Lehrkräfte sind betroffen, allein bei der Kriminalistik, der Wissenschaftsforschung und im Bauhof sind es 294 Stellen. Auch die ehemalige Ingenieurhochschule Wartenberg, die der Humboldt-Uni als Fakultät für Land- und Kommunaltechnik mit 454 Stellen angegliedert wurde, soll zumindest umgewandelt werden. Inwieweit das Land Brandenburg zum Mit-Träger werden kann, ist noch nicht entschieden.

Vollständig abgewickelt wird außerdem die Hochschule für Ökonomie in Lichtenberg mit ihren 1.273 Stellen und die ihr angegliederte Fachschule für Betriebswirtschaft mit 80 Stellen.

Zwar nicht abgewickelt, aber abgetrennt, werden die Außenstellen der Schauspielschule in Rostock und der Musikhochschule in Schwerin und Rostock. Sie sollen wahrscheinlich in Landeshoheit von Mecklenburg-Vorpommern weitergeführt werden.

Dran glauben muß auch die Fachschule für Binnenhandel, Gaststätten und Hotelwesen mit 53 Mitarbeitern und die Fachschule für Museologen und Restauratoren mit 6 Mitarbeitern, die dem mittlerweile ebenfalls aufgelösten Museum für Deutsche Geschichte angegliedert war. Das gleiche Schicksal trifft die Fachschule für Werbung und Gestaltung mit 66 Stellen, die Fachschule für wissenschaftliche Information und wissenschaftliches Bibliothekswesen mit 26 Stellen, das Institut für Museumswesen mit 47 Stellen, das Institut für Sprachintensivausbildung mit 60 Stellen, das Sammlungszentrum Zentrales Sportmuseum mit 12 Stellen und das Zentralinstitut für Hochschulbildung mit 213 Stellen.

Bereich Schulen:

Auch im Schulbereich sollen zahlreiche Einrichtungen geschlossen werden. So wird zum Beispiel das Haus des Lehrers mit seinen 145 Stellen weitgehend abgewickelt. Nur bei der technischen Einrichtung und der Kongreßhalle, die der Senatsverwaltung für Wirtschaft zugeschlagen wird, bleiben 16 Stellen erhalten.

Ebenfalls fast vollständig abgewickelt und aufgelöst wird im Auftrag des Bundes und der Länder die Akademie der pädagogischen Wissenschaften mit ihrem guten Dutzend Einzelinstitute und ihren 500 bis 600 Mitarbeitern. Erhalten werden soll nur das Schulmuseum mit fünf Stellen, und auch bei der pädagogischen Zentralbibliothek gibt es Verhandlungen über eine Fortführung. Abgewickelt werden jedoch die Arbeitsstelle für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte und pägagogisches Kulturgut mit 17 Stellen, das Fachinformationszentrum Bildung mit ebenfalls 17 Stellen, das Forschungsinstitut für schulische Bildung und Unterricht mit 120 Stellen, das wissenschaftliche Zentrum Gesamtschulentwicklung mit 7 Stellen, das Institut für Unterrichtsmittel mit 60 Stellen, die Forschungsstelle Allgemeine Pädagogik und Wissenschaftsgeschichte mit 7 Stellen, das Institut für Lern- und Lehrforschung mit 22 Stellen, das Institut für Bildungsplanung, -ökonomie und -soziologie mit 33 Stellen, das Institut für Familien- und Sozialpädagogik mit 30 Stellen sowie die Ingenieurschule für Bauwesen mit 149 Stellen. Ähnliches blüht der Stiftung für berufsbegleitende Fortbildung mit 60 Mitarbeitern.

Unklar ist die Zukunft der Staatlichen Ballettschule und der Fachschule für Artistik. Wenn sich andere Bundesländer an der Finanzierung mitbeteiligen, sollen sie überführt, wenn nicht, sollen sie abgewickelt werden. Zur Zeit werden keine neuen Schüler mehr angenommen, aber eine begonnene Ausbildung kann dort, wie überhaupt an allen schulischen Einrichtungen, abgeschlossen werden.

Aufgelöst werden die Berufsschule für Polygrafie »Rudi Arndt« mit 200 Stellen sowie 25 Stellen des Instituts für Film, Bild und Ton. Das große Sport- und Erholungszentrum (SEZ) in der Leninallee wird zwar als Landeseinrichtung fortgeführt, von 768 Mitarbeitern haben aber nur 350 einen bis zum 31. Dezember 1991 befristeten Zeitvertrag bekommen. Ähnlich sieht es beim Sportforum SC Dynamo aus: Von 242 Belegschaftsmitgliedern erhielten nur 155 einen Zeitvertrag. Auch die 31 Beschäftigten im dortigen Sportmedizinischen Dienst werden nur noch bis 31.Dezember beschäftigt.

Tierpark Friedrichsfelde:

Furore machte schon im Dezember die Abwicklung des Tierparks. Der Zoo, der mittlerweile unter die Kompetenz des Finanzsenators fällt, soll zwar erhalten, aber in die Trägerschaft einer GmbH überführt werden. Von 450 Mitarbeitern haben inzwischen 235 einen Dauerarbeitsvertrag erhalten. Für die elf Mitarbeiter im Schloß Friedrichsfelde soll unter Federführung der Kulturverwaltung ein Konzept ausgearbeitet werden.

Bereich Kultur:

Kräftig ab- und umgewickelt wird auch der gesamte Kulturbereich. Fangen wir mit der Kulturdirektion Berlin an: Mit 68 Stellen soll sie zusammen mit der Gastspieldirektion (75 Stellen) und den Berliner Festtagen (13 Stellen) abgewickelt und in eine landeseigene Festspiel-GmbH umgewandelt werden.

Das Puppentheater mit 70 Mitarbeitern wird ebenfalls abgewickelt, aber als Spielstätte für freie Puppenspielgruppen und als landeseigene GmbH erhalten bleiben. Ähnliches ist mit dem Friedrichstadtpalast geplant: Unter der Maßgabe, als landeseigene GmbH fortgeführt zu werden, werden 600 Stellen abgewickelt. Das Diestel-Kabarett hingegen will sich unter privater Trägerschaft selbständig machen. 60 Stellen werden abgewickelt, und das Theater hat für die nächsten 18 Monate eine Anschubfinanzierung zugesichert bekommen. Die Bezirksfilmdirektion mit 270 Stellen wird ebenfalls abgewickelt. Ein Großteil der Kinos soll verpachtet werden. Die Bezirksmusikschule mit 40 Stellen soll zwar abgewickelt, aber nach dem Modell der westlichen Bezirksschulen unter bezirklicher Obhut weitergeführt werden.

Eine Teilabwicklung erfolgt im Berliner Haus für Kulturarbeit: 19 Stellen fallen weg, die Bereiche Künstlerförderung und Jugendbetreuung werden mit 9 Stellen von der Senatsverwaltung für Jugend übernommen. Für das Haus der jungen Talente wird gegenwärtig ein Konzept erarbeitet, das im Juni 1991 in Kraft treten soll. 50 Stellen werden abgewickelt, das Haus soll aber als Spielstätte erhalten bleiben.

Die Archenhold-Sternwarte mit ihrem Großplanetarium und ihren 85 Stellen soll abgewickelt und womöglich in freie Trägerschaft übernommen werden. Die Bezirkskulturakademie und ihre 12 Stellen, eine frühere Weiterbildungsstätte für Kulturkader, wird zwar abgewickelt, laufende Qualifizierungsmaßnahmen sollen dort jedoch noch abgeschlossen undoder auf andere Institutionen übertragen werden. Das Büro für architekturbezogene Kunst wird mit 48 Stellen abgewickelt. Weitere acht Stellen des Bereiches Kunst am Bau werden jedoch in die Hoheit des Bausenators überführt. Die Mitarbeiter der dazugehörenden Galerie Weißer Elefant am Alexanderplatz befinden sich ebenfalls schon in der Warteschleife, für sie wird noch ein Konzept überlegt.

Für den Kulturpark Treptow mit seinen 126 Stellen läuft derzeit unter Federführung der Kulturverwaltung eine Ausschreibung unter privaten Interessenten. Den Mitarbeitern wurden bis September 1991 befristete Arbeitsverträge angeboten.

Abgewickelt werden sollen auch einige Kulturinstitutionen, die Berlin und den »fünf neuen Bundesländern« gemeinsam unterstehen: das Büro für Kulturorganisation Berlin, das Büro für populäre Künste mit 3 Stellen, das Büro Schutz Kulturgut mit 18 Stellen, die Direktion für nationale und internationale Filmfestivals in der DDR und die Direktion für Theater und Orchester Berlin mit 82 Stellen.

Ebenfalls auf der Abwicklungsliste des Senats befindet sich das Staatliche Tanzensemble mit 145 Stellen sowie das Zentrum für Kinderliteratur mit 9 Stellen.

Bereich Frauen, Jugend und Familie:

Zahlreiche Einrichtungen werden überführt und weiterbetrieben. So auch die ehemals staatlichen und jetzt bezirklichen Kindertagesstätten.

Abgewickelt wird der ehemalige Pionierpalast Ernst Thälmann in Wuhlheide mit 381 Stellen und das Schulungs- und Erholungszentrum Prieros.

Bereich Gesundheit und Soziales:

Insgesamt 13 Krankenhäuser mit 14.414 Beschäftigten werden nicht abgewickelt, sondern in bezirkliche Hoheit überführt. Polikliniken, Ambulatorien, staatliche Arztpraxen, Betreuungs- und Beratungsstellen werden ebenfalls überführt. Diese insgesamt 836 Einrichtungen mit 17.003 Mitarbeitern sollen nach und nach den Strukturen des bundesdeutschen Rechts angepaßt werden.

Von 176 Stellen, die für die Betreuung in Flüchtlingsheimen oder bei der Unterbringung sowjetischer Juden vorgesehen waren, sind 52 überführt. Der Rest abgewickelt.

Im Medizinischen Betreuungszentrum werden von 184 Stellen 141 übernommen und 43 abgewickelt. Beim Veterinärwesen werden von 302 Stellen 183 überführt und der Rest abgewickelt. Im Investitionsbüro für Bauten des Gesundheits- und Sozialwesens werden von 66 Stellen 35 in die Senatsverwaltung für Bauen überführt und 31 abgewickelt. Die Bezirksstelle für Lungenkrankheiten und Tuberkulose wird mit 20 Stellen abgewickelt, desgleichen das Institut für Sozialhygiene mit 29 Stellen und das Bezirksinstitut für Blutspenden und Transfusionswesen mit 200 Stellen. 72 davon wurden schon abgewickelt, der Rest der Beschäftigten bekam Zeitverträge bis zum 30.September. Ein Trägerwechsel ist vorgesehen, möglicherweise auf die Deutsche Angestellten Krankenkasse. Die 165 Mitarbeiter der Aufbauleitung Gesundheit und Sozialeinrichtungen haben Zeitverträge bis 30. September erhalten, sie fallen also unter »perspektivische Abwicklung«. Ein anderer Träger wird noch gesucht. Das gleiche Schicksal betrifft die Bezirksstelle für ärztliches Begutachtungswesen. Die 14 Mitarbeiter bekamen Zeitverträge bis zum 31.Dezember. Die Baugruppe für medizinische Einrichtungen der Stadtbezirke wird mit 40 Stellen ebenso vollständig abgewickelt wie die Medizintechnik mit 13. Bei der Akademie für ärztliche Fortbildung, einer von Berlin und den »fünf neuen Bundesländer« gemeinsam übernommenen Einrichtung, werden 20 Stellen übernommen und der Rest abgewickelt. Die Arbeitsverträge der 52 Mitarbeiter der Bezirksapothekeninspektion Berlin gelten nur noch bis 28. Februar. Danach: Abwicklung.

Ungeklärt ist die Trägerschaft des Instituts für Gesundheitsbau mit 100 Stellen, des Verkehrsmedizinischen Dienstes mit rund 150 Mitarbeitern und des wissenschaftlich- technischen Zentrums für Arbeitsschutz mit 60 Mitarbeitern, eine Abwicklung steht jedoch wohl in allen Fällen an. Auch die 13 Mitarbeiter der Zentralstelle für materiell- technische Versorgung und die 14 Bediensteten der Zentrale des ehemaligen Grenzveterinärdienstes werden auf die Warteschleife geschickt. Ute Scheub