Nicht in Emotionen suhlen

■ „Ein Denkmal für Gudrun Ensslin“ — eine Textmontage für das Theater

Gudrun Ensslin hängt am Tropf. Später wird sie die beiden Geräte, mit deren Hilfe ihr die Grundversorgung zuteil wird, entfernen und nach vorne fallen in die kreuz und quer gespannten Schnüre, die ihr Gefängnis markieren. Die Schläuche, die mit Heftpflaster in ihrer Armbeuge befestigt sind, reißen. Die Flaschen mit der Nährlösung werden durch den plötzlichen Ruck entleert, bis der Boden unter Gudrun Ensslin naß ist. Das Entleeren macht ein seltsames Geräusch, in das sich Ensslins Staccatomonolog perfekt einfügt.

Zu diesem Zeitpunkt ist bereits eine Dreiviertelstunde vergangen, in der die Figur (der eigemauerten) Gudrun Ensslin vorgestellt wird auf einer spärlich bebilderten Bühne, die ständig grell beleuchtet wird. Der Raum ist eng, und das soll er auch sein, damit die Zuschauer sich fühlen „wie in einer Peep-Show“, sagt der Regisseur. Das Bühnenbild zu Ein Denkmal für Gudrun Ensslin, nach Texten von Christine Brückner und Ulrike Meinhof, paßt in zwei Plastiktüten und erinnert damit an die Zeit, als Freies Theater vor allem mobiles Theater war. Es erinnert an das Konstrukt vom „armen Theater“, während der Titel (im Brücknerschen Original heißt es: Kein Denkmal...) politisches Theater suggeriert. Damit haben sich die Ko-Produzenten, der münstersche Regisseur und Autor Dirk Spelsberg für „Drama Nova“ und die Schauspielerin Jutta Meyer vom „Theater im Pumpenhaus“, auf eine Gratwanderung begeben, die gut hineinpaßt in eine Zeit, in der die Frage nach dem Sinn und den Möglichkeiten eines solchen Theaters neu gestellt wird. Statt Politik auf der Bühne soll ein politisch grundierter Stoff bearbeitet werden.

Das haben vor den beiden Theaterleuten aus Münster schon einige andere versucht, und auch wer sich an von Trottas filmische Umsetzung der „bleiernen Zeit“ erinnert, weiß nur zu gut, wie schnell solch ein Unternehmen in platter Psychologisierung enden kann. Ähnelte von Trottas Charakterisierung der Hauptfigur fatal jenen Psychogrammen, die die Rasterfahnder der siebziger Jahre entworfen hatten (schwäbische Pfarrerstochter mit intellektuellem Background bricht aus klaustrophobischem Bildungsbürgeralltag aus, um zwanghaft zu handeln...), so vermittelt die münstersche Inszenierung einen distanzierten Blick auf das Geschehen.

Gezeigt wird die fortschreitende Auflösung einer Persönlichkeit, die, in die Enge getrieben, schließlich so viehisch reagiert, wie man es immer von ihr erwartet hat. Die schwäbische Pfarrerstochter läßt die Stationen bis zur Endstation im „Totentrakt“ (Meinhof) Revue passieren. Dabei ist die Chronologie des Erzählens gebrochen zugunsten einer zynisch wirkenden Pointierung. Die Person, die schließlich wie erwartet zu Boden geht, erzählt ihr Leben von jenen Stellen aus, an denen kollektive Utopien und Ziele verwandelt wurden in eine häßliche Karikatur des eigenen Lebens, das vorläufig im Untergrund endete. Jutta Meyer spricht die Worte der Ensslin-Figur in einer Art, die deutlich macht, wie sich Begriffe in Leerformeln verwandeln. Wenn hier von Erziehung und Elternhaus die Rede ist, dann immer in Zusammenhang mit der Erziehung zu einer ganz bestimmten, letztlich formelhaften Sprache. Monoton reihen sich dann die Sätze aneinander, bis auch der letzte begriffen hat, daß zum äußeren Gefängnis noch ein inneres kommt.

Das alles ist deutlich, manchmal überdeutlich, aber deswegen doch nicht banal. „Eine Tote sollte auferstehen. Die kann sich nicht in Emotionen suhlen“, erklärt Regisseur Spelsberg, warum auf dramaturgischen Zierat weitgehend verzichtet wurde. Ein „geistiges Labyrinth“, wie es hier gezeigt werden soll, ist besser wohl nicht darzustellen.

Kleine Nachbemerkung: In den beiden münsterschen Tageszeitungen darf Ein Denkmal für Gudrun Ensslin weder rezensiert noch angekündigt werden. Diese Order der beiden Chefredakteure bescherte der Theaterprovinz Münster nach langer Zeit wieder einen handfesten Skandal — und dem Theater am Pumpenhaus ein volles Haus. Um telefonische Reservierung wird gebeten. Christine Schrenk

Ein Denkmal für Gudrun Ensslin , nach Texten von Christine Brückner und Ulrike Meinhof. Mit Jutta Meyer. Theater am Pumpenhaus, Münster. Nächste Vorstellungen: 12., 13. und 18.Januar. Wiederaufnahme im Februar.