Inmitten der Moderne

Ausstellung in Bremen  ■ Von Jörg Stürzebecher/ Ursula Wenzel

Mit Willi Baumeister, Max Buchartz und Karl Peter Röhl gehörte Walter Dexel zu den ersten deutschen Konstruktivisten. Für den Kunstverein Jena organisierte er zwischen 1921 und 1928 wichtige Überblicks- und Einzelausstellungen der damaligen Avantgarden und stellte in diesem Zusammenhang auch die Arbeiten des bis 1925 in Weimar benachbarten Bauhauses vor, dessen in den fünfziger Jahren beginnende Mythologisierung er ebenso frühzeitig bekämpfte wie das Unsinnswort vom „Bauhausstil“.

Für die Kunst der zwanziger Jahre war Dexel ein Glücksfall, da er nicht nur selbst dem Konstruktivismus als Maler, Typograf und Leuchtreklamemann verpflichtet war, sondern die gleichgesinnten Kollegen auch ausstellen lassen konnte. Konkurrenz als Feindschaft war seine Sache ohnehin nicht. Im Gegenteil, nach Besuch der Ausstellung und Lektüre des Katalogs scheint es eher so gewesen zu sein, als habe Dexel sich auf den Feldern der Kunst und Kunstanwendung betätigt, an denen das Interesse der Kollegen eher gering war: Max Buchartz gab die Malerei zugunsten der Typografie und Formgestaltung auf, Schwitters organisierte den „Ring Neuer Werbegestalter“, schrieb, malte, klebte und merzbaute, auch Architektur und Bühnenbild wurden gerne zu öffentlichen Manifestationen der neuen Gestaltung genutzt.

Und Dexel? Zwar typografierte auch er veritabel und gewann gegen die anderen Protagonisten der neuen Typographie 1928 einen Wettbewerb, den die renommierte Zeitschrift des Deutschen Werkbundes, 'Die Form‘, für eine neue Titelblattgestaltung ausgeschrieben hatte, aber seine eigentliche und eigene Innovationsleistung für das konstruktive Gestalten lag in der Realisation von Reklamelampen und der Konzeption von Leuchtreklameordnungen, mit denen dem neuen technischen Werbemedium gleich von Anfang an angemessene Formen und Aussagen beigeordnet werden sollten. Dexel kam es auf die schnelle Information des Stadtbenutzers an, den es wohl interessierte, wo Bäckerei oder Apotheke zu finden seien, nicht aber, wie die Besitzer dieser Geschäfte hießen.

Der formale Einfluß des von Theo von Doesburg vermittelten „De Stijl“ ist offensichtlich, aber es handelt sich nicht um bloße Adaption von Bildern, sondern um Durchdringungen von Flächen und Körpern, die entsprechend ihren Funktionen nicht nur ausschließlich mit rechtwinkligen Formen gestaltet werden konnten, sondern auch Diagonalen und Bogenformen integrierten. Dexel zeigt sich bei diesen Arbeiten als Pragmatiker, der Form und Zweck von der Prinzipientreue nicht-angewandter Kunst zu trennen weiß.

In einem anderen Fall, der Gestaltung des gemeinsam mit seiner Frau Grete verfaßten Buches Das Wohnhaus von heute, stellt Dexel die typografische Gestaltung der Seiten hinter die propagandistische Absicht zurück: Hinter einem foto-typografischen Umschlag verbirgt sich eine konventionelle Fraktur-Satzanordnung, der Text fordert für den diffus unpolitisch seienden, modernen Menschen die helle, saubere und geordnete Wohnung.

Konzept und Organisation von Ausstellung und Katalog lagen bei Ruth Wöbkemeier. Ihr ist dafür zu danken, daß die Schau zum intellektuellen Abenteuer geworden ist. Dexels freie Arbeiten korrespondieren mit den angewandten, und wenn die Datierungen stimmen, liegt in Dexels Werk eine wechselseitige Beeinflussung der künstlerischen Aufgaben vor, führt die Beschäftigung mit der Typografie zur konkreten Figuration, jener berühmten „Köpfe- Serie“, in der Typen und Personen der frühen dreißiger Jahre aus geometrischen Elementarformen konstruiert wurden.

Die Ausstellung zeigt diese Entwicklungen und Korrespondenzen und lädt dazu ein, weitere Entdeckungen zu machen, etwa der Frage nachzugehen, inwieweit die „Köpfe“ eine Rücknahme gewonnener Positionen darstellen oder Vorläufer konstruierter und systematisierter Umwelt sind. Der Katalog (an der Museumskasse 40DM) bietet — auf leider zu dünnem Papier — auch denjenigen die Möglichkeit, sich mit Bild- und ausführlichem Textmaterial auseinanderzusetzen, die nicht nach Bremen oder einen der vier weiteren Ausstellungsorte kommen können.

Kunsthalle Bremen noch bis 13.1.; 3.2.-17.3.: Von-der-Heydt-Museum Wuppertal; 7.4.-2.6.: Bauhaus-Archiv Berlin; 16.6.-21.7.: Kunstverein Wolfsburg; 16.8.- 29.9.: Badischer Kunstverein Karlsruhe.