„Sie dürfen die Befehle nicht ausführen“

■ Der Kölner Major Helmuth Prieß, 51, ist Sprecher der Offiziersvereinigung „Darmstädter Signal“ Im „Signal“ befassen sich seit 1983 rund 200 Militärs mit der Abrüstung und der Demokratisierung der Armee. INTERVIEW

taz: Ist der Einsatz in der Türkei mit der Verfassung vereinbar?

Prieß: Ich halte den Einsatz in mehrfacher Hinsicht für bedrückend. Was die rechtliche Seite angeht hat sich die Bundesregierung ja wohl auf die Mehrheitsmeinung von Völkerrechtlern stützen können. Ich halte das dennoch für strittig. Der Nato-Vertrag sieht Konsultationen vor, wenn sich ein Vertragsmitglied bedroht fühlt. Für den Fall eines Angriffs sollen die Vertragspartner die erforderlichen Maßnahmen — bis hin zu militärischen Aktionen. Ich halte für sehr fraglich, ob die Türkei bedroht ist, von Angriff kann keine Rede sein. Deshalb hat dieser Bundeswehreinsatz unmittelbar wenig mit dem Nato-Vertrag zu tun, er ist in erster Linie ein Drohgebärde gegenüber Bagdad, ein indirekter Golf-Einsatz.

Welche Rolle spielt die Situation in der Türkei?

Ich halte es für sehr bedauerlich, daß die Bundesregierung es deutschen Soldaten zumutet, dort tätig sein zu müssen. Dieses Land ist höchstens eine Zweidrittel-Demokratie. Die Rechte der Opposition und die Pressefreiheit sind sehr stark eingeschränkt. Es gibt tausende politischer Häftlinge und Folter in Gefängnissen. Und in dem Bereich, in dem die deutschen Soldaten vermeintlichen militärischen Schutz bieten sollen, in Türkisch-Kurdistan, tendiert die Demokratie gegen Null. Dort wird deportiert, gefoltert, gemordet.

Sind die Soldaten informiert?

Über die konkrete Situation sind sie nicht ausreichend aufgeklärt. Sie wissen nicht, daß die türkische Armee seit Jahren die irakische Grenze überschreitet, um kurdische Widerstandskämpfer zu verfolgen. Das ist ein latente Kriegsgefahr. Wie soll da ein deutscher Pilot einschätzen, ob er an Verteidigungshandlungen teilnimmt?

Die Bundeswehr leistet Flankenschutz für die Verfolgung der Kurden?

Richtig. Unter den Tragflächen von Nato-Einheiten wird mit noch mehr Brachialgewalt versucht werden, die kurdische Frage zu lösen.

Sie meinen für den direkten Einsatz im Golfkrieg müßte nicht nur eine Verfassungsänderung her, sondern auch ein neuer Eid.

Ja. Momentan bräuchte es für deutsche Soldaten nicht mal eine Fahnenflucht. Sie könnten sich unter Berufung auf ihren Eid entziehen. Ohne neue rechtliche Vorrausetzungen dürften sie Befehle nicht ausführen. Wenn sie etwa auf einem Schiff wären, müßten sie spätestens im Suezkanal über Bord springen. Für mich kann ich klar sagen, daß ich meinen Eid auf den Schutz des deutschen Volkes geleistet habe. Nicht dafür, daß in Zukunft Bundeswehrsoldaten in jeder Ecke der Welt beliebig eingesetzt werden.

Erwarten Sie mehr Verweigerungen, wenn ein Krieg ausbricht?

Die Zahl der Verweigerer wird steigen. Interview:H.-H.Kotte