Streit um „Korczak“

■ Andrezj Wajdas jüngstem Film wurde in Frankreich die Filmförderung gestrichen Reaktionen in Polen

Das französische „Centre National de Cinématographie“ hat entschieden, die Verbreitung von Andrzej Wajdas jüngstem Film Korczak nicht zu subventionieren. An sich keine ungewöhnliche Entscheidung — nur jeder dritte Film wird gefördert, doch, so findet die 'Gazeta Wyborcza‘, „es geht um einen besonderen Film.“ Nicht nur sie vermutet hinter der Entscheidung politische Gründe, nachdem besonders ausländische Kritiker dem Film nach seiner Uraufführung in Cannes antisemitische Untertöne und Revisionismus vorgeworfen haben.

Wajdas jüngstes Werk, das in Polen in einer Vorpremiere beim jüdischen Kulturfestival in Krakau im Sommer bereits zu sehen war, hat in Polen bisher fast durchweg positive Kritiken erhalten. Der Film beschreibt das Wirken des jüdischen Arztes Janusz Korczak, der im Warschauer Ghetto auch den Krieg über ein Kinderheim leitete und trotz mehrfacher Angebote des Widerstandes, ihn zu retten, mit seinen Pfleglingen ins Vernichtungslager fuhr. Nur, daß er eben bei Andrzej Wajda nicht in der Gaskammer endet. Der an sich wenig sentimentale Film endet mit einer Schlußszene, in der der Wagen der Kinder während der Fahrt plötzlich von unsichtbarer Hand abgekoppelt wird und zurückbleibt. Die Kinder öffnen die Tür und laufen über eine nebelbedeckte Wiese der aufgehenden Sonne entgegen.

„Ekelhafter Onyrismus an der Grenze zum Revisionismus“ sei das, befand etwa 'Le Monde‘. Ein Kritiker der Zeitung stellte außerdem irritiert fest, daß Wajda den polnischen Antisemitismus nicht thematisiert habe. Was nur teilweise stimmt: entsprechende, wenn auch nicht unbedingt für Ausländer klar erkennbare Anspielungen finden sich gleich am Anfang. Daß Wajda mit der Schlußszene versucht habe, „das christliche Erlösungsmotiv auf die jüdischen Kinder“ anzuwenden, kritisierte dagegen auch der Warschauer jüdische Intellektuelle Konstanty Geberth in einem Zeitungskommentar. „Fassungslos“ zeigt sich die 'Gazeta Wyborcza‘ indessen angesichts des Vorwurfs des Antisemitismus, der bisher auch hauptsächlich in Frankreich erhoben worden sei: „Beim Filmfestival in Jerusalem wurde er positiv aufgenommen und läuft zur Zeit in Israel.“

In Polen hat die Kritik an Wajdas Film weitgehend Unverständnis ausgelöst: „Korczak kam auf die Welt und starb als Jude“, schrieb Tadeusz Sobolewski in der Tageszeitung 'Zycie Warszawy‘, „aber er war ein polnischer Schriftsteller und Philosoph.“ Die Legende von der Rettung Korczaks und seiner Kinder sei bereits 1943 in Warschau entstanden, sie sei kein Versuch der „Christianisierung jüdischen Leidens“, sondern einfach „Ausdruck und Symbol menschlicher Hoffnung“. Unterstützung erhalten solche Stimmen inzwischen auch von Marek Edelmann, Solidarność-Aktivist, Bürgerrechtler und Überlebender des Aufstandes des jüdischen Ghettos in Warschau 1943. Er warf den französischen Kritikern in einem Brief an 'Le Monde‘ „Unwille und einen politisch-chauvinistischen Ton“ vor.

Andrzej Wajda nahm zu der Auseinandersetzung in einem Interview für die Zeitschrift 'Globe‘ Stellung. Viele Juden, so seine Erklärung, hätten Polen gegenüber so viele Vorurteile, daß sie sicher seien, ein polnischer Film müsse antisemitisch sein, noch bevor sie ihn gesehen hätten. Gerade weil die Debatte über die Schlußszene aber so heftig und polemisch geworden ist, ist die Frage, ob Korczak überhaupt ein guter Film ist, weitgehend untergegangen. Die 'Polityka‘ findet ihn schlecht, weil er mit der Schlußszene der entscheidenden Frage ausweicht: Ist Korczak angesichts des Todes seiner Wahrheit treu geblieben? Welchen Sinn hatte sein Tod? Wajda, so die Zeitung, sei ausgewichen. Und in diesem Sinn begründete die Direktion von CNC auch ihre Entscheidung, keine Fördermittel zu vergeben: Der Film sei mittelmäßig, und sowohl der Regisseur als auch der Vertreiber seien auf finanzielle Unterstützung nicht angewiesen. Letztere sind anderer Ansicht und wollten den Film sogar zurückhalten. Inzwischen jedoch ist das letzte Wort in diesem Streit gesprochen: Der Film läuft seit Mittwoch in den französischen Kinos. Klaus Bachmann

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