Die unsanfte Metropole

■ Die Montagsexperten kommen zu Wort, heute: Enno Bohlmann HAUPTSTADTGANZNACKT—FOLGE2

Der säzzer hat recht: Als wir bei unseren einführenden Worten zur Metropolentauglichkeit Berlins das hiesige erschreckend niedrige, ja zutiefst provinzielle Kriminalitätsniveau monierten, verwies der säzzer ungehalten darauf, daß es »vor ungefähr 20 Jahren in der Gegend um die Bleibtreustraße Straßenkriminalität und als Hit auch eine richtige Original-Chicago-like-Straßenballerei!« gab. Diese Straßenballerei fand tatsächlich statt. Aber ein paar hundert Quadratmeter Straßenkriminalität und eine lausige Schießerei, die sich im Vergleich zu einem normalen Bronx-Wochenende ausnimmt wie G.Pfitzmann zu R. Mitchum, machen natürlich noch keine Metropole. Berlin ist verbrechensmäßig einfach nur Bezirksklasse.

Nach dem Krieg gab es hier zum Beispiel nie eine anständige Bandenkriminalität. Allein die Werner-Gladow-Bande schaffte seither die Anwartschaft auf die Oberklasse. Der achtköpfige, im Ostsektor ansässige Zusammenhang besorgte sich erstmal von drei Vopo- Streifen das nötige Schießgerät und legte gleich darauf mit Geschäftsüberfällen los, bei denen zwei Tote anfielen. Drei Bandenmitglieder wurden 1950 in Ost-Berlin unter den Vorwürfen kapitalistischen Gedankengutes und imperialistischer Tätigkeit mit dem Beil hingerichtet. Nach Werner Gladow kam nichts Erwähnenswertes mehr.

Bei Mordfällen sieht es genauso mager aus. Im internationalen Vergleich wirken die Berliner Ergebnisse geradezu beschämend. Nehmen wir die beiden Metropolen, mit denen sich Berlin am liebsten vergleicht: Paris und New York. Paris hat für jeden Tag im Jahr mindestens einen Mord zu bieten. New York kann sogar alle vier Stunden mit einem Mord aufwarten, was dann in der Jahresbilanz mit ingsgesamt 2.200 erfolgreich ausgeführten Anschlägen auf das Leben zu Buche schlägt. Und Berlin? Berlin hat es 1990 gerade mal auf 100 Tötungsdelikte gebracht, also ungefähr zwei pro Woche. 70 davon entfielen dabei auf den Westteil der Stadt. Hierin sind allerdings auch schon die Tötungsversuche (nicht erfolgreiche Tötungen) mit enthalten. Korrekt Hingemordete ergeben ungefähr eine Summe, wie sie New York allein an gemeuchelten U-Bahn-Gästen (26) und toten Taxifahrern (32) vorweisen kann.

Auf dem Gebiet des Mord-und-Totschlags besitzt Berlin also noch große Defizite, die nicht so schnell aufzuholen sein dürften. [Aber wenn die Deutschen mal richtig ausrasten wie im Zweiten Weltkrieg, dann sind's gleich 20 Millionen in läppischen zwei Jahren wie in Rußland — d.S.] Metropolentauglich sind wir diesbezüglich noch lange nicht, auch wenn die Straftatensteigerung von 20 Prozent im Vorjahr bei einigen zu Euphorie verleiten mag. Selbst die Bestie vom Prenzlauer Berg beziehungsweise der Sex-Riese von ebendort (drei Sexualmorde an Kindern) und der Hausflurmörder mit der schwarzen Augenklappe (drei Morde an älteren Damen, ebenfalls im Raum Prenzlauer Berg/Friedrichshain) sind vorerst nichts weiter als bescheidene Anfänge, die in Richtung Metropole weisen. Wie anders war es 1920 in der tatsächlichen Metropole Berlin, als der Wurststandbetreiber Walter Großmann am Stettiner Bahnhof wirkte, wo er 15 Frauen tötete und teilweise verarbeitet über den Ladentisch gehen ließ. Man komme jetzt bitte nicht mit dem Argument der »sanften Metropole« (Vollmer und andere). Entweder wir machen hier eine ordentliche Metropole oder wir lassen es gleich bleiben. Andererseits: vielleicht gibt es in der sanften Metropole ja auch sanften Mord und Totschlag?