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In letzter Minute

■ Die Golfkrise, Israel und die „besondere deutsche Verantwortung“ KOMMENTAR

Wie ich höre, haben am Wochenende in der Bundesrepublik große Demonstrationen gegen den Krieg stattgefunden. Das ist gut und richtig so. Wenn schon die deutsche Friedensbewegung nicht imstande war, die Aktivitäten der deutschen Rüstungsindustrie zu unterbinden, so möchte sie wenigstens den Einsatz der Produkte verhindern. Aber: Demonstrationen, Gesten und Deklarationen reichen nicht mehr aus. Bevor das Faß explodiert, möchte ich — aus sicherer Entfernung — einen Vorschlag machen, wie der drohende Krieg am Golf in letzter Minute vermieden werden könnte. Was jetzt not tut, ist folgendes:

Der Papst hört eine Weile damit auf, sich mit Pillen und Parisern zu beschäftigen und macht sich auf den Weg nach Bagdad. Er nimmt mehrere Flugzeugladungen seines Personals mit, das dann über den Irak verteilt wird. Unmöglich daß sich die Amerikaner dann noch trauen würden, den Irak anzugreifen. Angesichts der nie gesühnten Verbrechen der christlichen Kreuzfahrer an den Völkern des Orients wäre das ein kleines Zeichen der Wiedergutmachung. Zugleich macht sich eine gemischte deutsche Delegation auf den Weg nach Israel, eine Abordnung, die aus all den Damen und Herren besteht, die im Laufe der letzten Jahre nicht müde wurden, die „besondere deutsche Verantwortung für Israel und das jüdische Volk“ zu betonen. Ich nenne jetzt nur, stellvertretend für viele, ein paar Namen, die dazugehörigen Zitate bin ich gerne bereit, jederzeit nachzuliefern. Da wären: Herr Kohl und Herr Jenninger, Herr Vogel (SPD) und Herr Vogel (CDU), der ehemalige Botschafter der Bundesrepublik in Tel Aviv, Herr Hansen, der ehemalige Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herr Stavenhagen, Frau Renger und Herr Gerster, der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, der ehemalige Frankfurter Oberbürgermeister, Herr Brück, und der derzeitige hessische Ministerpräsident, Herr Wallmann, Herr Rau und Frau Süssmuth, Herr Rommel aus Stuttgart und Herr Diepgen aus Berlin. Angeführt werden müßte diese Delegation von Herrn Weizsäcker, ersatzweise von Herrn Brandt. Der Friedensnobelpreisträger bekäme damit endlich die Aufgabe, die seinem Niveau angemessen wäre. Die Bundesrepublik würde die Abwesenheit all dieser Damen und Herren ohne Schaden verkraften, Israel wäre vor einem irakischen Angriff sicher, der „besonderen deutschen Verantwortung“, die theoretisch und risikolos so oft beschworen wurde, wäre Genüge getan.

Dieser Aktion könnten sich natürlich auch deutsche Intellektuelle anschließen, vor allem jene, die immerzu vom „jüdischen Beitrag zur deutschen Kultur“ schwärmten. Einige könnten endlich alte Versprechen wahrmachen. Der Frankfurter Publizist Walter Boehlich zum Beispiel, der in einem Aufsatz zur Fassbinder-Affaire im Jahre 85 geschrieben hat, sollte es „noch einmal einen militanten Antisemitismus bei uns geben“, dann würden die besseren Deutschen aufstehen und den Juden zurufen: „Diesmal werden wir für euch kämpfen oder gemeinsam mit euch umkommen!“ Er meinte natürlich keinen Einsatz im fernen Nahen Osten, sondern „bei uns“, in der Äppelwoi-Stube gleich um die Ecke. Dennoch: Was „bei uns“ heißt, bestimmen diesmal wir, die Adressaten. Also Walter, komm zu uns und stell Dich den irakischen Raketen in den Weg, fang sie eigenhändig ab. Nimm Dich selbst beim Wort. Oder gib zu, daß es nicht so gemeint war. Henryk M. Broder

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