Spekulanten stehen in den Startlöchern

Für sie beginnt die spannendste Woche der jüngeren Börsengeschichte  ■ Von Dietmar Bartz

Das Erdbeben, das am Montag die Börse in Frankfurt erschütterte, hatte sein Epizentrum nicht am Golf, sondern in Litauen. 40 Punkte verlor der Deutsche Aktienindex (DAX) in der ersten halben Stunde des Handels, immerhin drei Prozent auf der nach oben unbegrenzten Prozentskala. Dafür schoß der Dollar am Morgen vor dem Auslaufen des Ultimatums auf 1,55 DM — „kriegsstark“ nennen dies die Nachrichtenagenturen.

Wie kommen nun die derzeitigen Ausschläge von Devisen-, Aktien- oder Rohstoffpreisen nach oben oder nach unten zustande? Formal gesehen, ist derzeit eine Frage besonders bedeutend: Wie krisenanfällig ist eine Währung oder ein Aktienmarkt?

Als sichere Anlage in unsicheren Zeiten galten lange Dollar und Gold. Mit dem Abbau der Ost-West-Spannungen allerdings wurde der Zustand der maroden US-Wirtschaft für den Dollarkurs wieder so entscheidend, wie er es für fast alle anderen Währungen auch ist. Doch in der unmittelbaren Vorkriegszeit ist ein sicherer Hafen gefragt, ist doch etwa die DM derzeit ebenfalls schwach — schließlich, der Vilnius- Effekt auf den DAX in Frankfurt zeigt es überdeutlich, gilt die BRD- Ökonomie als Frontstaat-Wirtschaft gegenüber der UdSSR.

Allerdings gibt es in puncto Dollarkurs zwei gewichtige Unterschiede zu früheren Zeiten: Zum einen hat die internationale Spekulantentruppe riesige Dollar-Bargeldmengen aufgekauft, um damit sofort in großem Maßstab Wertpapiere oder Öl kaufen zu können, sobald sich dieser Deal lohnt. Das „Engagement“ in Dollar kann also äußerst kurzfristig sein. Zum anderen rechnet ohnehin kaum ein Händler damit, daß der Dollar seinen Charakter als ausgesprochene Krisenwährung behält — eher über kurz als über lang wird er dank Rezession in den USA wieder in den Keller gehen. Das aber nehmen die Händler gleich vorweg und halten sich bei Dollarkäufen denn doch etwas zurück, so daß der Kurs des einstigen Weltgeldes erst gar nicht sonderlich stark steigt. In den 1,5476 DM, die am Montagmittag zu Börsenschluß für den Dollar hingelegt wurden, stecken höchstens zehn Pfennig aktuelle Spekulation. Der größere Teil davon ist die Golf- Stärke, der kleinere — siehe Vilnius — die DM-Schwäche. Der Goldkurs stieg in London um fünf auf 395 Dollar je Feinunze.

Nun werden Regierungen wie Fachleute rund um die Welt nicht müde zu behaupten, es werde keine Mengenkrise bei der Ölversorgung geben — den Behauptungen ist diesmal zu glauben. Selbst wenn eine Reihe saudischer Erdölfelder vorsichtshalber stillgelegt wird, reicht die Rest-Förderung immer noch aus — auch wenn das Barrel zu 159 Litern eine Zeit lang 50 Dollar kosten sollte. Zudem ist bereits detailliert bekanntgegeben worden, in welchen Staaten täglich welche Mengen aus der strategischen Erdölversorgung auf die Märkte gebracht werden.

Und im Wunderland der Spekulation, an der Warenterminbörse in New York, wird bereits eifrig daran gebastelt, Ober- und Untergrenzen für den Handel mit Rohöl festzulegen, um massive Preisausschläge zu verhindern. Auf etwas ähnliches bereiten sich auch die Aktienbroker der Wall Street vor: Fällt der Dow-Jones-Index zu stark, wird der Handel ausgesetzt, damit sich der Markt „abkühlt“.

Das alles hilft natürlich nur wenig gegen die widerlichsten Spekulationsinstrumente dieser Tage: Clevere Yuppies rund um die Welt bieten Beteiligungen an Fonds an, die mit dem Ausbruch der Kriegshandlungen eröffnet werden. Sie werden, abhängig vom Kriegsverlauf, aktiv gemanaged. Heißt etwa: Geht am Golf ein Ölfeld in Flammen auf, werden zusätzlich Ölaktien gekauft. Spätestens beim dritten versenkten Zerstörer sind Werftaktien dran. Ein kleines, aber feines Geschäft ist leider nicht möglich: Sarg-Aktien werden weltweit nirgendwo gehandelt.