Das Öl für den Ernstfall liegt im Salzstock unter Wiesen

Die strategische Ölreserve der Bundesrepublik ist noch nie benutzt worden/ Bei einem Totalausfall der Rohölimporte würden die Vorräte für 150 Tage ausreichen/ Mit der Reserve soll der Waffe Ölembargo die Spitze genommen werden/ Trotz Golfkrise herrscht Gelassenheit im Vorratslager  ■ Aus Wilhelmshaven Hannes Koch

„Die horten doch viel mehr, als sie sagen. Und während der nächsten Ölkrise verdienen sie sich eine goldene Nase“, meint ein Tankwart in Fedderwarden. Ein paar Kilometer weiter, westlich von Wilhemshaven, deutet nur wenig daraufhin, daß unter den friesischen Wiesen ein riesiges künstliches Ölfeld liegt. Nur ab und zu schauen ein paar Rohre aus der Erde, von Maschendraht umgeben. Hier liegt das Öl, das der deutschen Bevölkerung auch dann noch das Autofahren ermöglicht, wenn am Golf der Krieg tobt und kein Tanker mehr durchkommt.

Was im vorderen Orient mühsam zutage gefördert wird, wird bei Wilhelmshaven wieder unter die Erde gepreßt, in einen Salzstock unter den eingezäunten Wiesen. Die „Nordwest-Kavernen-Gesellschaft“ (NWKG) lagert hier mehr als 1.000 Meter unter der Erde in Hohlräumen einige Millionen Tonnen Rohöl und Benzin. „Weder Öl noch Benzin greifen den Salzstock an“, sagt Manfred Mertins, der als technischer Leiter der NWKG in einem Pavillon innerhalb der Umzäunung die Kavernen überwacht. Selbst durch Risse im Salz könne kein Öl austreten.

Die NWKG ist eine hundertprozentige Tochter des „Erdölbevorratungsverbandes“ (EBV), der 1978 als Reaktion auf die Ölkrise von 1973 gegründet wurde, um die Mineralölindustrie von den Kosten der Vorratshaltung zu entlasten. Der NWKG gehören alle unterirdischen Lagerstätten. Ingesamt lagert das Öl des EBV an 120 Orten der Bundesrepublik, ungefähr die Hälfte davon in den überirdischen Tanks der Ölindustrie.

Der Sinn der Ölseen sei, so Mertins Kollege Jan-Dirk Ohnesorg, Abteilungsleiter beim EBV, „zu zeigen, daß es eine Reserve gibt. Die Waffe der Ölländer, das Ölembargo, ist nicht mehr so scharf, wie sie früher einmal war.“ Gebraucht worden sind die Reserven, die bereits in den 60er Jahren angelegt wurden, noch nie; nicht einmal während der Ölkrise zu Beginn der 70er Jahre. Damals betrug nämlich der Lieferausfall infolge des Embargos nur knapp drei Prozent. Öl aus der Reserve darf jedoch erst verbraucht werden, wenn mindestens sieben Prozent der Importe ausfallen. In diesem Fall würde das Bundeswirtschaftsministerium eine Freigabeverordnung erlassen, in der die Zuteilungsprioritäten festgelegt werden, und Maßnahmen zur Energieeinsparung beschließen.

Wenn, was extrem unwahrscheinlich ist, sämtliche Öl- und Ölerzeugnisimporte ausfallen sollten, könnte der EBV die Bundesrepublik aus seinen Tanks 80 Tage lang versorgen. Der Verband verfügt über ungefähr 20 Millionen Tonnen Benzin, leichtes und schweres Heizöl sowie Rohöl. Ein paar Kilometer von dem Salzstock bei Wilhelmshaven entfernt liegt zusätzlich die staatseigene Rohölreserve der Bundesregierung unter der Erde: macht weitere 30 Tage Energieversorgung. Sonstige Vorräte der Mineralölindustrie eingerechnet, kann die Bundesrepublik 150 Tage ohne Importe auskommen.

Die Möglichkeit, daß die strategische Ölreserve in Krisenzeiten auf den Markt gebracht werden könnte, um die Preise künstlich niedrig zu halten, weist Jan-Dirk Ohnesorg weit von sich. Der Ölvorrat sei kein Instrument der Konjunkturpolitik. Die anscheinend gigantische Menge sei im übrigen auch viel zu klein, um nachhaltig und längerfristig „für eine Beruhigung bei den Preisen zu sorgen“. Allerdings: Warum sollte der EBV auch Interesse an niedrigen Ölpreisen haben, denn alle Ölkonzerne, die die bevorrateten Produkte importieren oder erzeugen, sind Pflichtmitglieder im Verband. Im Fall des totalen Importausfalls würden sie nach ihrem Beitragsanteil das Öl aus der Reserve zugeteilt bekommen. Den Vorsitzenden des EBV stellt im Augenblick die DEA-Mineralöl-Gesellschaft. Die Mitglieder würden von höheren Verkaufspreisen profitieren.

Der EBV selbst „ist nicht darauf aus, Gewinn zu machen und darf es auch nicht sein. Er ist eine Körperschaft öffentlichen Rechtes“, erklärt Jan-Dirk Ohnesorg. Es sei nicht das Verbandsinteresse, zu niedrigen Preisen zu kaufen und im Krisenfall durch höhere Preise, Profite zu erzielen. Trotzdem kann dieses Ergebnis eintreten, denn der EBV ist gesetzlich verpflichtet, zu den jeweils herrschenden Marktpreisen zu kaufen und zu verkaufen. Verkaufsgewinne werden dazu verwendet, so Ohnesorg, die Schulden des Verbandes zu tilgen und eventuell die Zwangsbeiträge der Konzerne zu senken. Im Jahr 1991 will der Verband etwa 730 Millionen Mark von seinen Mitgliedern einsammeln, um seine Ölreserven fit zu halten. Die Konzerne legen ihren Vorratsbeitrag auf den Benzinpreis um: macht pro Liter Sprit nach Angaben des EBV knapp einen Pfennig.

„Die Stimmung bei uns ist gelassen“, sagt Manfred Mertins. Besondere Maßnahmen hat die NWKG nicht ergriffen. „Wir haben das alles x-mal durchgespielt.“ Wenn Öl aus dem Salzstock gebraucht wird, wird Meerwasser aus dem Jadebusen in die Tiefe gepreßt und das Öl an die Oberfläche befördert. Durch eine Pipeline fließt es nach Wilhelmshaven und wird von dort an die Raffinerien der Mineralölkonzerne verteilt. Hannes Koch