Ein Leben als Signal für den Frieden

■ Künstler hält Mahnwache vor dem Dom / „Ich wollte mich schon verbrennen..."

Ludwig Schumacher hat gerade einen Tee gekocht, bittet mich herein in seinen Planwagen. „Ein Interview? Ich glaube, ich bin nicht in der richtigen Verfassung.“ Schumacher ist fassungslos: „Wie kann sich eine Demonstration mit so vielen Menschen einfach so auflösen?“ Er selbst kam mit seinem Wagen und den Tieren am Tag vor Ablauf des Ultimatums nach Bremen, um eine Mahnwache zu halten vor dem Dom. Er habe sogar mit dem Gedanken gespielt, sich mitsamt seinem Wagen zu verbrennen, um ein Signal gegen den drohenden Krieg zu setzen. „Aber inzwischen glaube ich, die Menschen hätten nur das Feuerchen gesehen und nicht begriffen, um was es geht.“

Ludwig Schumacher nippt an seinem Tee, zusammengekauert zwischen den Fotos und Tagebüchern seiner inzwischen elf Jahre dauernden Reise für den Frieden. Vor elf Jahren hat sich der heute 47jährige zu diesem Weg entschieden, der auch eine Reise nach Innen und zu den Verfolgten der Welt werden sollte. „Ich bin ein grenzenloser Illusionist“, sagt er. Auf die Kräfte, die in uns ruhen, habe er sich berufen, sie wecken und mit seiner Kunst wie im Gespräch mit den Menschen am Weg seiner Reise nach außen tragen wollen. Doch die Welt habe sich verändert, sei laut geworden und überhöre die Signale aus der Stille. In der Politik sei Mahatma Ghandi einen solch stillen Weg gegangen: „Aber auch ihn würde heute wohl niemand mehr hören“, meint Schumacher. Er hatte vor seinem Gang nach Bremen gehofft, dort auf Menschen zu treffen, die mit ihm im Protest ausharren, bis die Kriegsgefahr gebannt ist.

Ludwig Schumacher ist Künstler, Bildhauer, um genau zu sein: Mit Lehrzeit in einer Schnitzschule und Studium in München. Drei große Werke hat er sich für sein Leben vorgenommen: Die Vertreibung aus dem Paradies, die Abnahme Christi vom Kreuz (Erlösung) und die Schöpfung. Zwei der lebensgroßen Plastiken, die eine geschnitzt, die andere aus hauchdünnen Holzplättchen zusammmengesetzt, sind bereits fertig: Die Vertreibung aus dem Paradies entstand vor den Wachtürmen an der ehemaligen Zonengrenze und geriet zur „Europavertreibung“. Die Erlösung dagegen entstand am Rande eines Indianerreservates in Arizona: „Americapieta“ nennt Schumacher dieses Werk. Das letzte seiner Trilogie will der Künstler in Rußland schaffen: „Vielleicht muß ich diese Pläne aber bald ändern“, meint er, während er die Antragsformulare für die Visa zusammenpackt.

Während die Kinder draußen Pferd Maxi mit Streicheleinheiten eindecken, steckt eine alte Frau den Kopf durch die Luke. Fünf Mark hält sie ins Wageninnere „Für Karotten, für's Pferd“ drängt sie, „bitte!“. Sanft erklärt Schumacher ihr wie später auch anderen: „Dies ist eine Aktion. Eine Demonstration für den Frieden. Dafür nehme ich ganz bestimmt kein Geld an.“ Verständnislos wenden die Frauen den Blick ab ins Leere. „Sie verstehen es einfach nicht. Die meisten halten uns für Kampierer“, erkennt der Künstler. Manche wollen auch seine Zeichnungen kaufen, die vor dem Planwagen, auf Tuch genäht, auf rund zwei Quadratmetern von diesen elf Jahren Leben für den Frieden erzählen. „Unverkäuflich“ hören sie aus dem Wageninneren. Dort zeigt mir der Künstler Fotos seiner Arbeiten, aber auch von dem Sühnewinter, den er vor drei Jahren in Dachau verbrachte. Zum Abschied schenkt er mir ein Selbstporträt aus dieser Zeit. Mit den Barracken des ehemaligen KZs im Hintergrund. Birgitt Rambalski