Gespräche am Rande des Abgrunds

■ Wenige Stunden vor Ablauf des UN-Ultimatums tagten hinter verschlossenen Türen die fünf permanenten Mitglieder des Sicherheitsrates, um die von Frankreich, Tunesien und Jemen vorgelegten Vermittlungsvorschäge zur Beilegung des Golfkonflikts zu diskutieren. Die USA lehnten diese Vorschläge bisher ab.

Weniger als 24 Stunden vor dem von der UNO ultimativ verlangten Abzug der irakischen Truppen aus Kuwait versuchte der UNO-Sicherheitsrat in hektischen Beratungen zu verhindern, daß aus der Golfkrise ein Golfkrieg wird. Mehrere Vermittlungsvorschläge liegen dem Gremium vor, dessen fünf permanente Mitglieder seit gestern 15 Uhr MEZ hinter verschlossenen Türen tagten, um eine Plenarsitzung des Sicherheitsrats vorzubereiten.

Die US-Regierung lehnt diese Vermittlungsvorschläge Frankreichs, Jemens und Tunesiens allerdings ab, weil sie den Rückzug des Iraks mit dem Versprechen einer internationalen Nahost-Konferenz verbinden. Auch die britische Regierung, die über ein Veto-Recht im Sicherheitsrat verfügt, sprach sich mit der gleichen Begründung gegen den französischen Vorschlag aus. Außerdem komme er „zu spät“. Allerdings wurde am Nachmittag vom UNO-Korrespondenten der BBC berichtet, daß die ablehnende Haltung des britischen Delegierten ebenso am Umschwenken sei wie die des sowjetischen.

Die Regierungen der Bundesrepublik, Spaniens, Italiens und Belgiens sowie Jugoslawiens sprachen sich hingegen für die neue Friedensinitiative aus. Die Sowjetunion wollte sie unterstützten und sich für „eine gemeinsame Haltung“ zu diesem Vorstoß einsetzen.

Der am Montag vorgelegte französische Sechs-Punkte-Plan sieht vor, daß sich die irakischen Truppen schrittweise aus Kuwait zurückziehen und daß dort UNO-Truppen stationiert werden. Die Vereinten Nationen sollen außerdem dem Irak eine Nichtangriffsgarantie geben. Danach solle „zu angemessener Zeit“ eine Nahost-Konferenz einberufen werden.

Die französische Regierung erachtete am Dienstag die Zeit für eine Reise von Außenminister Dumas nach Bagdad aber noch nicht reif. Der irakische Botschafter in Paris sei schon am letzten Donnerstag über die Elemente des Plans informiert worden, ohne daß seine Regierung bisher reagiert habe. Frankreich fordert ein „klares Signal“ von der irakischen Regierung, daß diese bei Annahme des französischen Friedensplans „ohne weitere Frist einen Rückzug entsprechend dem darin festgelegten Terminkalender ankündigen“ werde.

Der Weltsicherheitsrat hatte nach seiner Montagssitzung, auf der Perez de Cuellar das Scheitern seiner Friedensmission in Bagdad erläuterte, beschlossen, am Dienstag erneut zusammenzukommen, um über den französischen Vorstoß zu beraten. Die 15 Mitglieder des Sicherheitsrates hätten einmütig den Wunsch nach einer friedlichen Lösung geäußert, eine Verlängerung des Ultimatums — Mittwoch 06.00 Uhr MEZ — schloß ein pessimistischer Perez de Cuellar aber aus.

Die irakische Regierung gab indes nicht den geringsten Hinweis, daß sie in letzter Minute noch einen Kurswechsel vollziehen werde. In Bagdad und anderen großen Städten des Irak demonstrierten Millionen Frauen und Männer aus allen Bevölkerungsschichten ihre Unterstützung für Saddam Hussein und ihre Bereitschaft, ihr Leben zu geben.

„Kuwait wird die 19. Provinz des Iraks bleiben, und der Reichtum Palästinas und der arabischen Nation wird den Dieben genommen und denen, die sich hinter den Harpunen der Ausländer verbergen“, hieß es am Dienstag auf der Titelseite der Bagdader Zeitung 'Al Thaurah‘. Kuwait sei zurückgekehrt und endgültig Teil des irakischen Landes, Volkes und seiner Geschichte geworden. Die „große Konfrontation“ werde eine „zwischen dem Guten und dem Bösen“.

US-Angriff „erst in Wochen“

Die israelische Armee ist am Dienstag in höchste Bereitschaft versetzt worden, da der Generalstab einen irakischen Überraschungsangriff „innerhalb der nächsten 24 Stunden“ erwarte. Israels Armee sei aber „auf alles vorbereitet“.

Nach Ansicht von US-Militärexperten könnte sich jedoch ein Angriff der US-Truppen auf den Irak aus strategischen Gründen noch um Wochen hinauszögern. In Washington sagte der Direktor des renommierten Zentrums für Strategische und Internationale Studien (CSIS), Bill Taylor, er erwarte keinen Angriff der USA auf den Irak innerhalb der nächsten Tage, sondern erst in den nächsten Wochen. Seiner Ansicht nach werden die US-Truppen versuchen, die irakischen Truppen so lange in Alarmbereitschaft zu halten, bis das Überraschungsmoment wieder an Gewicht gewinne.

Auch nach Ansicht des stellvertretenden Direktors des Instituts für Nationale Sicherheit an der Georgetown Universität, Loren Thompson, würden die US-Truppen nicht direkt nach Ablauf des UN-Ultimatums am 15. Januar angreifen, denn das sei genau der Zeitpunkt, zu dem die irakische Führung einen Angriff erwarte. Da die US-Militärführung zunächst einen Luftangriff auf strategisch wichtige Ziele des Irak führen wolle, werde sie seiner Meinung nach eine dunkle Nacht um Neumond abwarten, um die technische Überlegenheit voll auszunutzen. Die nächste Neumondnacht am Golf ist Ende dieser Woche, dann erst wieder Mitte Februar.

Die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO ist offenbar bereit, auf eine direkte Verknüpfung der Palästinafrage mit dem Kuwait-Problem zu verzichten, um einen Krieg um das Scheichtum zu verhindern. Der Pariser PLO-Vertreter Ibrahim Souss erklärte in der Nacht zum Dienstag, die Zeit sei „reif“ für eine französisch-palästinensische Friedensinitiative im Golfkonflikt. Frankreich solle dabei „langfristig“ die Einberufung einer internationalen Nahost-Konferenz garantieren, jedoch „ohne mechanische Verbindung“ zum irakischen Rückzug aus Kuwait.

„Wir sind am Rande des Abgrunds“, sagte Souss. Paris könne auch in den letzten Stunden vor Ablauf des UNO-Ultimatums noch versuchen, „ausreichende Garantien von den USA und Israel“ für eine Konferenz zu erhalten. Der irakische Präsident Saddam Hussein sei bereit, auch über Kuwait zu reden, „wenn die USA, die für eine neue internationale Ordnung kämpfen, ihrerseits bereit sind, dieses Recht in der ganzen Welt anzuwenden“. Stefan Schaaf