Falsche Wimpern

■ Mike Nichols Film „Grüße aus Hollywood“

Hollywood, das ist die Welt des schönen Scheins, die Welt der Stars und Sternchen, der großen Gefühle und der niederträchtigen Intrigen, ein Supermarkt der Eitelkeiten, die Hölle und der Himmel zugleich für alle, die sich dort zu Markte tragen. Das wissen wir nicht erst seit Kenneth Angers Skandalgeschichtensammlung Hollywood-Babylon. Schon immer lechzte das Publikum nach Enthüllungsstories über „seine“ Stars. Die Wahrheit, oder besser, daß, was man sich darunter vorstellt, das sind: glamouröser Lebensstil, handfeste Ehekräche, hohe Scheidungsraten und wüste Drogenexzesse. Und da Hollywood auch eine gut funktionierende Industrie zur Befriedigung von Konsumwünschen ist, darf von Zeit zu Zeit hinter die Kulissen geschaut werden. „Selbstkritik“ heißt das Zauberwort.

Carrie Fisher ist eine, die das Innere des Molochs kennt. Als Tochter des Hollywood-Traumpaars Debbie Reynolds (Singin'in the rain) und Eddie Fisher hat sie mit 20 Jahren bereits selbst eine steile Filmkarriere hinter sich. Während sie als Weltraumprinzessin Leia Organa im Krieg der Sterne durch fremde Galaxien raste, hielten Koks und Tabletten ihr die lästige Realität vom Leib. Eines Tages wacht sie mit ausgepumpten Magen in einer Drogenklinik auf. Diagnose: Überdosis. Mühsam schafft sie den Entzug, indem sie ihre Geschichte in einem Tagebuch abarbeitet. Clean und mit einem Bestseller in der Tasche will sie Hollywoods Scheinwelt endgültig den Rücken kehren. Doch so schnell entläßt die Traumfabrik ihre ArbeiterInnen nicht. Hollywoodregisseur Mike Nichols (Reifeprüfung, Wer hat Angst vor Virginia Woolf, Die Waffen der Frauen), weiß, was exzentrische Frauengeschichten wert sind. Darum will er Carrie Fishers Buch Postcards from the edge verfilmen. Und wer wäre da als Drehbuchautor besser geeignet als die Verfasserin selbst. Sie hat sich darauf eingelassen, hat ihre Lebensbeichte in eine Filmlüge umgeschrieben. Die Droge Hollywood war offensichtlich stärker als die Segnungen der Katharsis.

Was Meryl Streep und Shirley MacLaine in Grüße aus Hollywood spielen, ist mit Sicherheit nicht Carrie Fishers wahres Leben, sondern ein perfekt inszenierter Mutter- Tochter-Konflikt vor Hollywoods Traumkulisse. Ein Schauspielerfilm für Schauspieler, von Faßbinder-Kameramann Michael Ballhaus solide gefilmt. Große Stars wie Gene Hackman, Richard Dreyfuss, Dennis Quaid und Rob Reiner treten — ach wie bescheiden — in Nebenrollen auf, natürlich mit exzellenten Dialogen versorgt. Regisseur Nichols spielt mit dem Film-im-Film-Genre. Da geht im perfekten Wüstenpanorama plötzlich eine Tür auf, durch die der Regieassistent vor die Kulisse tritt. Oder Meryl Streep hängt hilfeschreiend an einer Hochhausfassade, und erst als sie in die Hände klatscht, ohne in die Tiefe zu fallen, wird man gewahr, daß sie „in Wirklichkeit“ bäuchlings auf der Studiodeko liegt.

Vor allem aber ist Grüße aus Hollywood ein Schaukampf der beiden Leading Ladies Streep und MacLaine: ein Machtkampf zwischen Frauen und eine Konfrontation zweier Schauspielergenerationen. Meryl Streep verkörpert Fishers Alter ego Suzanne Vale, die mühsam versucht, ihr Leben und ihre Drogensucht in den Griff zu bekommen. Von den echten Qualen des Entzugs erzählt aber nur ein einziger Alptraum, ganz in Weiß, clean: die ersehnten Tabletten sehen aus wie Smarties. Suzannes eigentliches Problem sind nämlich nicht die Drogen, sondern die egozentrische, alkoholsüchtige Mutter, von Shirley MacLaine wunderbar grell und affektiert dargestellt. Der alternde Musicalstar paralysiert die willensschwache Tochter mit vorgetäuschter Mutterliebe. Den beiden Schauspielerinnen liefert diese klassische Filmkonstellation die Möglichkeit für einige wortgewaltige Duelle.

Die Schlüsselszene im Krankenhaus: Shirley MacLaine hockt — nach einem Autounfall reichlich angeschlagen — im Krankenzimmer, ohne Perücke, ohne Augenbrauen und Wimpern. Hollywood ungeschminkt, signalisiert uns Regisseur Nichols. So ganz ohne Maske gesteht die Rabenmutter ihre Fehler ein, umarmt die Tochter — „I love you, alles wird gut“ — und Suzanne klebt ihr brav die falschen Wimpern wieder an. The Show must go on, Happy- end ist Pflicht nach zwei Minuten Seelenstrip.

„Hier hast du gerade deine Vergangenheit korrigiert“, sagt der väterliche Regisseur an anderer Stelle zu Suzanne, als sie im Studio eine verpatzte Filmszene nachsynchronisiert. So einfach geht das in Hollywood. Ute Thon

Mike Nichols: Grüße aus Hollywood, mit Meryl Streep, Shirley MacLaine, Dennis Quaid, Gene Hackman u.a., USA 1990, 118 min.