Klaus Kinkel kann jetzt sein Pseudonym ablegen

■ Der neue Justizminister ist zuallererst Staatsfunktionär/ In schwierigen Situationen wird der Drahtzieher im Hintergrund zum „Überzeugungstäter“/ War Kinkel als BND-Chef an Waffenlieferungen in den Irak beteiligt?

Berlin (taz) — Der alte Justizminister wird auch der neue sein. Der Unterschied besteht nur darin, daß Klaus Kinkel künftig nicht mehr unter dem Pseudonym Hans Engelhard antritt. Dieser Schritt allerdings ist für den promovierten Juristen wohl der entscheidende. Denn Kinkel hat nicht nur in den vergangenen acht Jahren als Staatssekretär „unter“ dem blassen FDP-Minister die Öffentlichkeit gemieden. Während seiner gesamten politischen Laufbahn hielt er sich stets im Hintergrund: als Mann, der im Apparat die Fäden zog, und als beamteter Aufpasser für seine Vorleute — erst Genscher, dann Engelhard.

Der 54jährige genießt bei den Liberalen, denen er nicht formal angehört, hohes Ansehen. In der Vergangenheit war er zuständig für schwierige Fälle. An ihnen entwickelte er seinen besonderen Ehrgeiz. Da wurde er zum Überzeugungstäter. „Realpolitiker“ scheint fast eine zu schwache Charakterisierung für einen Staatsdiener, der stets in den Ring geschickt wurde — oder sich selbst dort plazierte —, wo Parteipolitik in die zweite Reihe tritt: als erster Zivilist an der Spitze des Bundesnachrichtendienstes (1983-1987) während der Auseinandersetzung mit den Gefangenen der Rote Armee Fraktion in der Zuspitzung des letzten Hungerstreiks (1989) oder damals, als er — viel zu spät — versuchte, die Auslieferung des Asylbewerbers Cemal Altun an das türkische Militärregime zu verhindern. Altun sprang nach 13 Monaten Auslieferungshaft in den Tod. Er mochte einer mündlichen Absprache mit Kinkel nicht mehr vertrauen, die ihn (tatsächlich) in letzter Minute vor der Auslieferung und damit vor Folter und Tod in der Türkei bewahren sollte.

Es sollte nicht das einzige Mal bleiben, daß Kinkel einen Wimpernschlag zu spät kam. Als vor zwei Jahren die Gefangenen der RAF versuchten, mit ihrem zehnten Hungerstreik endlich die Zusammenlegung in größere Gruppen durchzusetzen, lag auch die Abkehr der noch aktiven Gruppe vom bewaffneten Kampf in der Luft. Kinkel nahm die Zügel in die Hand, besuchte Brigitte Mohnhaupt und andere Gefangene. Doch die Chance, die dieser Hungerstreik bot, erkannte er erst, als es zu spät war. Wochenlang tourte der Emissär der Regierung durch die Knäste — ohne akzeptable Kompromißangebote zu unterbreiten. Als die ersten Inhaftierten dem Hungertod nahe waren, zog Kinkel schließlich seine Kleingruppenlösung aus dem Hut. Doch die Zeit reichte nicht mehr, die eigentlich zuständigen Länderjustizminister auf eine einheitliche Position einzuschwören. Verbittert blieben die Gefangenen in den Haftanstalten zurück. Ein halbes Jahr später war Alfred Herrhausen tot.

1970 machte der damalige Innenminister Hans-Dietrich Genscher Kinkel zu seinem persönlichen Referenten und nahm ihn mit, als er ins Außenressort wechselte. Als Leiter des Planungsstabes wurde Kinkel Genschers „starker Mann“. Später, als Präsident des BND, war der Jurist an dem Versuch beteiligt, die Terroristenfahndung mit Geldern der Industrie zu effektivieren: Dazu wurde seinerzeit der windige Superagent Mauss angeheuert. Im Sommer 1990 berichtete ein irakischer Waffenhändler über Verwicklungen Kinkels in Waffengeschäfte mit dem Regime Saddam Husseins. In seiner Zeit als BND-Chef sei er an der Abwicklung von Rüstungsgeschäften und dem illegalen Export von Waffen in den Irak beteiligt gewesen, berichtete unter anderem die taz. Kinkel dementierte heftig.

Wenn liberal sein etwas zu tun hat mit einer staatskritischen Grundhaltung, die stets den Schutz des Individuums vor den Zumutungen des Apparats im Auge hat, dann ist Klaus Kinkel kein Liberaler. Er ist ein Staatsfunktionär. Mit den liberalen Aushängeschildern der FDP, Burkhard Hirsch und Gerhart Baum, hat Kinkel so manchen Strauß ausgefochten. Das paßt ins Bild. Ins Bild des aktuellen Zustands der FDP paßt die Niederlage Hirschs gegen Kinkel im Kampf um das Justizministerium. Gerd Rosenkranz