Husseins Entwaffnung

■ Professor Ulrich Albrecht, Friedensforscher an der FU Berlin, zur militärischen Situation INTERVIEW

taz: In Ihrem gestrigen Interview haben Sie uns gesagt: „Ein Chemiewaffenangriff auf Israel ist kaum noch möglich.“ Sprechen die Raketen auf Tel Aviv und Haifa nicht dagegen?

Ulrich Albrecht: Nein, durchaus nicht. Den Amerikanern und ihren Alliierten ist es am ersten Angriffstag gelungen, die schweren irakischen Raketen auszuschalten. Nur diese leichteren Kurzstreckenraketen aus der Sowjetunion sind in wenigen Exemplaren übrig geblieben — jedenfalls für einen Tag. Die Nutzlast dieser Raketen ist so gering, daß die transportierte Kampfstoffmenge für einen Chemiewaffenangriff nicht ausreicht. Die wesentliche Bedrohung Israels ist beseitigt.

Warum konnte die israelische Luftabwehr die Raketen nicht abfangen wie die Amerikaner in Dahran?

Die verschossene Rakete hat in der westlichen Aufklärung den Namen SS-1. Das ist ein sehr altes sowjetisches Modell mit eindeutig deutschen Großeltern. Das Modell wurde nämlich von deutschen Experten in der SU entwickelt und hat eine Reichweite von etwa 300 Kilometern wie die V-2. Das ist ein nicht sehr gut steuerbares, relativ langsam schiebendes Geschoß. Die Amerikaner haben mit dem sogenannten Patriot-System eine Flugabwehrwaffe in der Hand, die sowohl gegen schnell fliegende Jagdflugzeuge als auch gegen Raketen außerordentlich wirksam ist. Die Israelis verfügen über das System offensichtlich noch nicht.

Wie sind die Raketen auf israelische Städte denn nun einzuschätzen: als Angriff oder als Provokation?

Ich würde eher sagen, das war eine Demonstration. Damit konnte die irakische Führung den arabischen Massen zeigen, daß sie trotz des schweren Bombardements in der Lage waren, immerhin israelische Stadtziele zu erreichen. Die SS-1 hat eine Streubreite von ungefähr drei Kilometern, also Tel Aviv und Haifa sollten getroffen werden, irgendwo, ohne Punktziel.

Das wäre dann immer noch eine reale, wenn auch reduzierte Bedrohung für Israel. Zwingt solch eine Situation Israel aus Sicherheitsüberlegungen zum Gegenschlag? Nein, denn das Gegenmittel, das die Iraelis in der Hand haben, nämlich Luftangriffe mit amerikanischen Maschinen und amerikanischen Bomben, das setzen die Amerikaner schon ein. Und Hussein hat wohl auch keine Steigerungsmöglichkeiten mehr, eben weil seine Trägersysteme zerstört sind.

Die Sorge, das Kriegsgebiet würde sich nun auch noch ausweiten, hatte in der letzten Nacht noch eine etwas undeutliche Quelle: die Meldung, US-Flugzeuge hätten von einer türkischen Basis aus eingegriffen. Haben die Amerikaner selber da leichtfertig das Entstehen einer Nordfront in Kauf genommen?

Meine Vermutung ist, daß es sich hier um einen Einsatz zur elektronischen Kampfführung handelte. Das sind unbewaffnete Maschinen, etwa die Typen mit den Namen „Rabe“ und „Wildwiesel“. Dafür spricht auch, daß Tankflugzeuge im Verband mitgeführt wurden, man wollte eben möglichst lange in der Luft bleiben können. Diese Tankflugzeuge sprechen aber auch gegen einen direkten Kampfeinsatz, da tankt kein Mensch mittendrin auf, noch dazu in der Nacht. Es macht aber durchaus Sinn, die irakische Luftabwehr durch Störsignale vom Norden her zusätzlich niederzuhalten. Ich glaube, das ist eine sehr sorgfältig angelegte Eskalationsstufe. Vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag könnten die Irakis allenfalls eine Luftraumverletzung wegen elektronischer Störmanöver einklagen, denn es ist durchaus wahrscheinlich, daß sich die Amerikaner mit Rücksicht auf die türkische Position strikt an die Grenze gehalten haben. Derartige Manöver kennen wir von der früheren Praxis an der deutsch-deutschen Grenze, an der entlang die fliegenden Störsender immer auf und ab patrouillierten.

Nochmal zu Kuwait: Dort soll die US-Marine tätig gewesen sein. Deutet das auf Landungsvorbereitungen hin?

Nein, die US-Marine hat ihre eigene Luftwaffe, die von den dort versammelten Trägern aus operiert. Die haben mit Flugzeugen des Typs F/A-18 irakische Stellungen in Kuwait angegriffen, um ihnen die Möglichkeiten zu Bodenoperationen in diesem Bereich zu nehmen, damit von dort nicht die eigentliche Luftoffensive mit Basis in Saudi-Arabien gestört wird. Und wenn die Franzosen nur Ziele in Kuwait angegriffen haben, dann spiegelt sich in dieser Arbeitsteilung eine Bedingung wider, die die Franzosen gestellt haben: Ihr Einsatz soll ausschließlich mit dem Argument der Befreiung Kuwaits gerechtfertigt sein. Mit ihren „Jaguar“-Jagdbombern und lasergesteuerten Bomben haben die Franzosen offenbar solche militärischen Kernziele wie Munitionslager der irakischen Armee im Kuwait angegriffen und zerstört.

Können Sie uns etwas über die mutmaßliche Wirkung der Angriffe etwa auf Bagdad sagen?

Nun, da haben wahrscheinlich besonders die von den schweren B-52 abgeworfenen Bomben Mk.82 ihr Werk getan. Jede Bombe wiegt eine Tonne, die B-52 schleppt bis zu 51 Stück davon. Mit dieser Waffe ist kein Punktzielen möglich, da gibt es immer Fehlwürfe. Deswegen ist die Zerstörung des Präsidentenpalastes auch unbegreiflich, wo doch die dann später auf Israel abgeschossenen Raketen viel wichtigere Ziele waren. Interview: Georgia Tornow