piwik no script img

Jüdische Skepsis gegen die Friedensdemos

■ Berliner Juden sehen dem Golfkrieg mit ambivalenten Gefühlen zu/ Sorge, wieder besondere Gruppe zu sein

Berlin (taz) — Warum sollen die Menschen jüdischer Herkunft in Berlin eine andere Meinung zum Golfkrieg haben als Frau Württemberg oder Herr Bayer? Irina Stern, Schuhmachermeisterin und ehrenamtliche Mitarbeiterin beim jüdischen Wohlfahrtsfonds, reichen allmählich die ständigen Nachfragen. Sie hat keine »jüdische Meinung« und will auch keine haben. Diese spezielle Neugier sei das Problem der »Deutschen« — sie stockt, denn jetzt hat sie den Schnitt gezogen: Deutsche hier, Juden dort.

Das Verhältnis zueinander wird noch lange nicht selbstverständlich sein. Und jetzt sagt Irina Stern es auch: »Wenn es hart auf hart kommt, dann halten wir Juden natürlich zusammen.« Sie ist für den Golfkrieg, für einen israelischen Rückschlag, denn die »Souveränität Israels kann doch nicht durch amerikanische Bomber und anschließende Carepakete abgekauft werden«.

Für diesen Krieg ist auch Elisa Klapheck, Autorin. Auch in ihr sperrt sich alles, wenn andere sie zur »Berufsjüdin« machen. Denn dahinter stecke ein »völkischer, also blutiger« Ansatz. Diese Position habe sie sich »abgerungen«, sagt Klapheck, denn »ich muß für diesen Krieg sein, um einen schlimmeren Krieg zu verhindern«. Natürlich hat sie einen emotionalen Bezug zu Israel, aber die Zustimmung für die amerikanischen Bomben auf Bagdad sei aus der deutschen Geschichte abgeleitet. Wieviel muß man um des Friedens willen hinnehmen? lautet ihre Frage. Hätte nicht der Zweite Weltkrieg verhindert werden können, wenn die Westmächte schon 1938 bei der Besetzung des Sudetenlandes eingeschritten wären? Elisa Klapheck zählt sich zum »linksalternativen Spektrum«, aber die Demonstrationen jetzt findet sie »naiv«. Machtvolle Demonstrationen hätte sie sich beim Unterlaufen des Waffenembargos zugunsten Saddam Husseins gewünscht.

Als »heuchlerisch« empfindet auch der gelegentlich für die 'Jerusalem Post‘ arbeitende Student Ron Zibzin die immer »antiamerikanischer« werdenden Demonstrationen. Glaubwürdiger wären sie seiner Ansicht nach gewesen, wenn die gleichen Menschen auch gegen das jahrelange gegenseitige Abschlachten an der irakisch-iranischen Grenze protestiert hätten. Die Existenz Israels steht auf dem Spiel, sagt er, und da kann die Friedensbewegung nicht herumlavieren. Peinlich ist ihm zuzugeben, daß trotz aller Grauen ihn dieser ganze Krieg auch fasziniert. Ron Zibzin ist leidenschaftlicher Videospieler und überzeugt davon, daß War in the Gulf bald in Videotheken erhältlich ist. Angst um seine Familie in Jerusalem hat er nicht. Täglich telefoniert er mit seiner Mutter — »es geht ihnen gut«, sagt er. Doch seit gestern ist alles Forsche bei Ron Zibzin wie weggeblasen. Israel dürfe in diesen Krieg nicht eingreifen, auch wenn es »viel präzisere Waffen« als die Amerikaner auf den Flugplätzen stehen habe. »Wenn das passiert«, sagt er, »dann werden wir über 20 Jahre im Nahen Osten keinen Frieden finden.« Auf der anderen Seite aber — und er weiß, daß er diese Position formuliert, um israelisches Eingreifen rechtfertigen zu können —: Hätten die USA 1939 Krupp, Daimler, die IG-Farben und alle Nazihauptquartiere bombardiert, Millionen Juden lebten heute noch.

Aber es gibt auch andere Stimmen jüdischer Menschen in Berlin, die diesen Krieg in erster Linie als einen Kampf um das Öl begreifen. Auch auf die Gefahr hin, daß Hussein ständig mehr fordert, sagt Peter Kirchner, ehemaliger Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Ost-Berlin, der Kampf hätte nicht beginnen dürfen, denn »dieser Krieg ist Wahnsinn«.

Das Unbehagen, durch diesen Krieg plötzlich »zu einer besonderen Gruppe in Berlin zu werden«, haben viele Juden in Berlin. Die alte Angst, als »Juden« wieder erkennbar zu sein, ist wieder lebendig geworden. Zum ersten Mal seit der Shoa, sagt ein jüdischer Wissenschaftler, »habe ich das Gefühl, mein Gesicht verbergen zu müssen«. Seinen Namen möchte er nicht mehr in der Zeitung sehen. Für ihn ist bedrohlich, daß Israel vielleicht doch, trotz aller gegenteiliger Statements, die Atombombe einsetzt: »Werde ich da nicht, genau wie damals alle Deutschen, kollektiv für diese Barbarei verantwortlich gemacht?« Anita Kugler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen