„Wir trinken Bier aus Humpen“

■ taz-Gespräch mit Chris Alexander, der am Goethetheater Smetanas Komische Oper „Die verkaufte Braut“ in Szene setzt

Am 27.1.91 hat im Theater am Goetheplatz Smetanas Komische Oper „Die verkaufte Braut“ Premiere. Smetanas Publikumsrenner erzählt die Geschichte vom armen, aber sehr schlauen Hans, der seine innig geliebte Marie für 300 Gulden verkauft, Heiratsvermittler samt Eltern, Schwiegereltern Braut und Bruder reinlegt und so letzten Endes Braut, Gulden und Erbschaft abstaubt. Kein Wunschkonzert geht über den Sender ohne die ohrwurmigen Highlights der Oper, kein Opernspielplan kommt ohne sie aus. Regisseur Chris Alexander, bislang Shakespeare-Company, erzählt, warum er sie trotzdem inszeniert.

taz: „Operette inszeniere ich nicht“ und „Folklore stößt mich ab“, das war die jeweils erste, spontane Reaktion von Adolf Dreesen, bzw. Harry Kupfer auf die Zumutung, die „Verkaufte Braut“ inszenieren zu sollen. Wie ist Ihr Verhältnis zu dieser Oper?

der mann

mit rundem

schädel

Chris Alexander

Alexander: Also, ich kann nicht sagen, vorweg abgestoßen gewesen zu sein; und auch jetzt, nachdem wir fast fertig sind mit der Arbeit an der Inszenierung, finde ich es nach wie vor ein gutes Stück.

Das mit der Folklore ist schon ein Problem für mich. Wenn ich anfangen wollte, Folklore zu inszenieren, ich könnte das nicht. Als ich das Angebot für die Regie bekommen habe, war ich gezwungen, etwas anderes zu machen. Mit Maren Christensen, die das Bühnenbild macht, haben wir einen anderen Zugang gewählt. Die Oper handelt von einem Dorf; das muß nicht ein böhmisches, es könnte irgendwo sein, ein archetypisches Dorf. Daß es in einem solchen Dorf Hierarchien gibt, soziale Zwänge, und die Assoziationen, die dazu heute in uns ausgelöst werden, hat uns interessiert. Und das Stück ist so gut gebaut, daß man solche sozialen Mechanismen gut zeigen kann.

Und dann hat uns der Untertitel „Komische Oper“ interessiert, inwieweit trifft der zu? Mein Vergnügen an der Arbeit lag in der Entdeckung, wie doppelbödig alle Figuren sind. Sie haben alle eine Schatten-und eine Lichtseite. Hans, der Strahlende, läßt seine Braut, der er ewige Treue schwor, über seine Pläne im ungewissen, obwohl er merken muß, wie sie leidet. Er läßt sie im Regen stehen. Das ist zumindest sehr verwunderlich, und das muß auf der Bühne zu sehen sein. Und Marie, das absolute Opfer, die unter den gesellschaftlichen Zwängen leidet, gibt den Druck gleich weiter an den Wenzel, sie hintergeht ihn furchtbar, spiegelt vor, in ihn verliebt zu sein, und stürzt ihn in schwere emotionale Verwirrung.

Pikanterweise das musikalisch Schönste in der Oper.

Wenzel und Marie ist vom Allerschönsten. Ja, sehr merkwürdig. Man muß die Zuordnung von Smetana sehr aufmerksam verfolgen, warum ist die Musik in dieser Szene so wunderschön. Das mag

„Die verkaufte Braut", noch alltagskostümiertFoto: Jörg Landsberg

darin liegen, daß der Wenzel gerade auch für die Marie etwas so ungemein Anrührendes hat, daß ihr ihr doppeltes Spiel schwerfällt.

Kecal, der Heiratsvermittler, ist auch doppelbödig. Auf der einen Seite ein gerissener Geschäftsmann, einer der kaltblütig über junge Leichen hinweggeht. Auf der anderen Seite macht es einfach Spaß, ihm zuzusehen, wie er arbeitet wie ein Tier, um Erfolg zu haben.

Er verfolgt ja nicht eigene Interessen, er arbeitet für andere.

Für uns ist er schon ein professioneller Heiratsvermittler. Das hängt auch mit unserem Konzept zusammen. Wir wollten konzentriert eine Geschichte erzählen, eine Geschichte aus dem Leben des Heiratsvermittlers und des

Dorfes. Der Hinweis „Kirchweih“ aus der Partitur war uns zu ungenau, wir zeigen eine Hochzeit, von Kecal vermittelt. Es beginnt mit der Kirche, geht übers große Fressen und endet am Abend mit der Zirkusvorstellung. Diese Ehe, so entstanden, geht in die Hose, dabei macht Kecal das nächste Geschäft über Marie und Hansens Köpfe hinweg.

Der stotternde Wenzel gehört zur klassischen Personalausstattung der Komischen Oper: der Depp, dem sich alle überlegen fühlen können. Kann man den auf die Bühne stellen, ohne die Figur zu denunzieren?

Es gibt keinen schlechten Darsteller des Wenzel, hat mal einer gesagt. Ich finde, das stimmt nicht. Wenn er stottert, dann lachen alle. Ihn als Operettenfigur

rumlaufen zu lassen, würde mich nicht interessieren. Man muß versuchen darzustellen, was ihn zur komischen Figur gemacht hat.

Die eher fatale Wirkungsgeschichte der „Verkauften Braut“ beruht auch auf der poetisierenden Übersetzung von Kalbeck. Sie läßt uns in holden Frühlingszeiten schwelgen. Das Original spielt im Herbst. Welche Übersetzung benutzen Sie?

Wir haben Honolka genommen. Sie ist viel enger am Original und sie zeigt die dunklen Seiten der Charaktere. Leider bringt jede Übertragung aus der Originalsprache einen deutlichen Verlust. Im Tschechischen sitzt alles präzise, man spürt, wie exakt die Sätze funktionieren und gradezu explodieren. Das vermittelt keine deutsche Übertragung — leider.

In so mancher Inszenierung hat man den Eindruck, es werde in der „Verkauften Braut“ obwohl vom edlen Gerstensaft die Rede ist, aus Weingläsern getrunken. Was wird bei Ihnen getrunken?

Wir trinken Bier aus Humpen. Im 2. Akt gibt es ja diesen Wettbewerb von Geld, Liebe und Bier. Bier ist das richtige Getränk, das steht für diese Männergesellschaft. Nach dem Fressen wird im wahrsten Sinne des Wortes gesoffen.

Das Publikum kennt seine „Verkaufte Braut“ und will sie auch so, wie es sie kennt, sehen.

Ich kann nicht an eine Geschichte so herangehen, daß ich Erwartungshaltungen bedienen will. Ich verstehe mich als Geschichtenerzähler, und ich versuche, sie so plausibel und spannend wie irgend möglich zu erzählen. Und unterhaltsam soll sie sein, weil ich die Oper unterhaltsam finde und zwar auf intelligente Weise. Interview: Mario Nitsche