In Südasien wachsende Proteste

Auf dem Subkontinent leben fast 350 Millionen Moslems/ Regierungslinie: Bedingungsloser Rückzug des Iraks aus Kuwait/ Scharfe Kritik an der US-Politik jedoch auch bei Nichtmoslems  ■ Aus New Delhi Derek Brown

Anil, ein junger Hausangestellter in der indischen Hauptstadt, ist, gemessen am lokalen Standard, ein gebildeter Mann. Er kann lesen und etwas schreiben, und er ist begierig nach Nachrichten und Basarklatsch. Gefragt, was er von den Ereignissen am Golf hält, hat er die Antwort sofort parat: „Das ist ein Kampf zwischen Christen und Moslems“, sagt er.

Diese vereinfachte Sicht findet ihren Widerhall über die gesamte Weite des indischen Subkontinents. Selbst die weltläufigen Eliten Indiens neigen dazu, den Konflikt am Golf als ein Kräftemessen zwischen den Kulturen zu sehen, wenn nicht zwischen Christentum und Islam, dann zwischen dem Westen und der Dritten Welt. Es liegt auf der Hand, daß die leidenschaftlichsten Debatten unter den fast 350 Millionen Moslems der Region geführt werden. Wenn man nach den Parolen der winzigen Minderheit urteilen will, die auf die Straße gegangen ist, dann liegen ihre Sympathien fast ausschließlich bei Saddam Hussein.

In Pakistan und Bangladesh — beides Länder, in denen Moslems die Mehrheit stellen und die Soldaten in die multinationalen Streitkräfte am Golf entsandt haben — gibt es von seiten der Fundamentalisten und Oppositionsparteien heftige Proteste gegen die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten. Die Polizei in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad mußte eine von Studenten geführte Demonstration niederknüppeln. In Delhi explodierte eine kleine Bombe in einem Reisebüro, das auch Angebote amerikanischer Touristikunternehmen vermittelt. Zweihunderttausend indische Moslems hätten ihre Bereitschaft erklärt, sich Saddams heiligem Krieg anzuschließen, ließ der irakische Botschafter in Indien verlauten. Zwar wird diese Behauptung von nur wenigen Beobachtern ernst genommen, doch es ist bekannt, daß die Regierung von Bangladesch eingreifen mußte, um zu verhindern, daß die irakische Botschaft in Dakka Visa für Hunderte von Freiwilligen für Saddams Armee ausstellte. Die Antwort indischer Moslems, die im vergangenen Jahr Zielscheibe militanter hinduistischer Bewegungen waren, ist weitaus gedämpfter. Doch in Delhi haben moslemische Studenten, einschließlich jene arabischer Herkunft, kleine Demonstrationen zur Unterstützung Saddams durchgeführt. In allen drei Ländern sind die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt worden, vor allem bei Diplomaten und anderen Ausländern. Die USA haben angeordnet, daß nur der Kern des Botschaftspersonals in Pakistan verbleiben und alle anderen mit ihren Angehörigen das Land verlassen sollen. In Delhi, dieser traditionell so freundlichen und gastlichen Stadt, gab es nun Vorfälle, bei denen Ausländer in den Straßen belästigt und bedroht wurden.

Die Zeitungen geben gewissenhaft die Verlautbarungen beider Seiten wieder. Doch in den Kommentaren werden die Amerikaner und ihre Verbündeten scharf kritisiert. In der urdusprachigen Presse Nordindiens und Pakistans, die ihre Leserschaft überwiegend unter den Moslems hat, gab es schärfste Angriffe auf Israel und Aufrufe zu einer umfassenden Nahostlösung. Fundamentalistischere Kommentatoren haben auch die Präsenz nichtmoslemischer Truppen nahe den heiligsten islamischen Stätten Mekka und Medina verurteilt.

Die Empörung der Moslems über die von den Amerikanern angeführte Aktion wird in nicht geringem Maße von Hindus und anderen geteilt, die die Vereinigten Staaten als sich rücksichtslos durchsetzende Großmacht sehen, die versucht, ihren Willen einer ganzen Region aufzuzwingen. In Indien haben die Führer aller wichtigen politischen Gruppierungen, von den Kommunisten bis zur rechten Bharatta Janata Partei, zu einem Waffenstillstand und zu unverzüglichen Friedensverhandlungen unter Einschluß der Palästinafrage aufgerufen. Die offizielle Linie der Regierungen in allen drei Ländern ist die Forderung nach bedingungslosem Abzug der irakischen Besatzungstruppen aus Kuwait. Die öffentliche Meinung, wenn sie auch nicht unbedingt proirakisch ist, richtet sich jedoch stark gegen die Bombardierungen Iraks durch die multinationalen Streitkräfte am Golf.

Dies ist zum Teil auf die immensen Schäden zurückzuführen, die die fragilen Ökonomien der Region bereits zu verzeichnen haben. Die drei Länder haben Hunderte Millionen Dollar an Überweisungen der Arbeitsmigranten in den Golfstaaten verloren. Wertvolle Märkte sind verlorengegangen, und die wichtigsten Quellen der Versorgung mit Öl sind abgeschnitten. Die Auswirkungen machen sich bereits mit steigender Inflation, unterbrochenen Transportdiensten und einer generellen Verlangsamung der Geschäftsaktivitäten bemerkbar.