Die Bodenreform bleibt unangetastet

Bundesverfassungsgericht weist Begehren von über 8.000 Junkern und Industriellen nach Rückerstattung des zwischen 1945 und 1949 in der Ex-DDR enteigneten Grund und Bodens ab  ■ Aus Karlsruhe Erwin Single

„Die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage (1945 bis 1949) sind nicht mehr rückgängig zu machen.“ Mit dieser „Regelung offener Vermögensfragen“, später im Einigungsvertrag rechtlich verankert, hatten sich die Regierungen beider deutscher Staaten im Juni vergangenen Jahres darauf festgelegt, die „Bodenreform“ in der damaligen „sowjetischen Besatzungszone“ (SBZ) unangetastet zu lassen. Der Protest der Ex-Grundbesitzer blieb nicht aus: Reihenweise zogen die durch den „kommunistischen Raubzug“ (so Klägeranwalt Rüdiger Zuck) schmählich um ihr Eigentum gebrachten Junker, Gutsbesitzer, Schloßherren und Industrielle vor das Bundesverfassungsgericht. Das Ziel der über 8.000 Kläger: Auf juristischem Wege sollen die Eigentumsverhältnisse von 1945 wiederhergestellt werden. Gestern wurde in Karlsruhe verhandelt.

Die Klägerschaar sieht in jener kommunistischen Landnahme einen Willkür- und Unrechtsakt, den die Regierung nicht hätte hinnehmen und in der im Einigungsvertrag enthaltenen Grundgesetzänderung legalisieren dürfen. Die Betroffenen seien durch die Vereinigung ein weiteres Mal um ihr altes Vermögen und um ihren verfassungsmäßigen Anspruch auf Eigentumsgarantie und Gleichbehandlung gebracht worden, greifen die Beschwerdeführer das Vertragswerk an. Die Vertreter der Bundesregierung, die diese Rechtsgrundsätze nicht verletzt sehen, begründen die Vertragsregelung damit, sie sei feste Vorbedingung der DDR und Sowjets für die deutsche Einheit gewesen. Die Sowjetunion, so berichtete Außenstaatssekretär Kastrup, habe bei den Zwei-plus- vier-Verhandlungen unmißverständlich deutlich gemacht, daß Maßnahmen aus deren Besatzungszeit nicht mehr zur Disposition deutscher Behörden und Gerichte gestellt werden dürften. Von einer entsprechenden Klausel über die Unumkehrbarkeit der Eigentumsordung im Zwei-plus-vier-Vertrag rückte die Sowjetunion erst ab, nachdem diese im Einigungsvertrag verbindlich festgeschrieben worden war. Würde das Verfassungsgericht eingreifen, dürfte dies schwere außenpolitische Schäden nach sich ziehen, hieß es bereits vor Wochen in Bonn. Der Zwei-plus-vier-Vertrag ist noch nicht ratifizert.

Von den entschädigungslosen Landnahmen waren rund 8.000 Grundstücke über 100 Hektar betroffen — rund ein Drittel der landwirtschaftlichen Fläche der ehemaligen DDR. Aber auch Betriebe der Kriegswirtschaft, Bergbau- und Schwerindustrie sowie das Eigentum von 4.000 „Kriegs- und Naziverbrechern“ wurden dem Gemeinwohl überführt. Kippen die Karlsruher Richter die Einigungsregelung und den GG-Paragraphen 134, bedeutet das nicht nur das Aus aller LPG — auch der Staatshaushalt würde um weitere Milliarden belastet. „Jeder Eingriff in dieses Gefüge kann unabsehbare finanzielle Konsequenzen auslösen“, gab Justizminister Kinkel den Roten Roben zu bedenken, „sobald hier ein Stein herausgebrochen wird, gerät das ganze Gebäude ins Wanken.“

Bereits im vergangen September waren die Beschwerdeführer in einem Eilverfahren abgeblitzt, mit dem sie der Treuhand den Verkauf enteigneter Grundstücke und Betriebe untersagen wollten. Das Gericht begründete die Entscheidung mit wirtschaftlichen und außenpolitischen Folgen.