Gastkolumne: Friedensbewegung zwischen den Fronten

Es gibt Streit um die Haltung der Friedensbewegung. Es geht um Israel und Anti-Amerikanismus, um die Frage, ob es am Golf auch jetzt noch eine Alternative zum Krieg gibt. Und es geht um die Aktionsformen der Friedensbewegung. Ich kann es schlechterdings nicht ertragen, wenn jemand über die Existenzangst Israels mit lockerer Hand hinweggeht. Als ich mir zum ersten Mal eigene politische Gedanken gemacht habe, ging es um Auschwitz und Bergen-Belsen. Die Unheimlichkeit, die für mich auf einmal die Gesichter der Erwachsenen hatten, kann ich bis heute nicht loswerden.

Die Friedensbewegung mutet Israel viel zu. Wir erwarten, daß es nicht zu den Waffen greift und sich der Logik von Schlag und Gegenschlag verweigert. Wir erwarten, daß es sich mit den Palästinensern versöhnt, statt sie für das Bündnis mit dem Irak mit der endgültigen Vertreibung zu bestrafen. Mein Eindruck von den Flugblättern und Kundgebungen der Friedensbewegung ist, daß sie sich zuwenig bewußt ist, was sie da verlangt. Sie läßt es zu, daß Zweideutigkeiten aufkommen, wenn es um das Existenzrecht Israels geht. Als würde nicht Saddam Hussein Israel dieses Recht bestreiten.

Weil wir hier nicht genug nachdenken, kann die Kriegspartei in der Bundesrepublik im Moment so ungehemmt auf uns eindreschen. Ihre Demagogie gipfelt in der Behauptung, die deutschen Giftgaslieferanten und die deutsche Friedensbewegung bildeten eine gemeinsame Front gegen Israel, und der Krieg am Golf diene schlicht dem Schutz des Judenstaates.

Ich glaube, der richtige Platz für die Friedensbewegung ist zwischen den Fronten. Der Irak hat ein Nachbarland überfallen und besetzt. Es ist das offizielle Ziel der Allianz unter Führung der Amerikaner, diese Besetzung rückgängig zu machen. Dieses Ziel teilen wir. Aber wir lehnen das Mittel des Krieges ab. Und wir glauben noch immer, daß es andere Mittel gibt, den Irak zum Rückzug zu zwingen. Außerdem haben wir den Eindruck, daß die Amerikaner noch ganz andere Ziele verfolgen. Und es ist wahr: im Moment wird hauptsächlich in Bagdad gestorben und nicht in Tel Aviv. Im Moment sind es hauptsächlich die Amerikaner, die Menschenleben auslöschen und nicht Soldaten Iraks.

Die Autonomen wollen nicht zwischen den Fronten stehen. Sie schlagen der Friedensbewegung vor, an der Seite der unterdrückten Völker der Region Front gegen den US-Imperialismus zu machen. Ich bin fest davon überzeugt: wir können uns in diesem Krieg mit niemandem identifizieren, hinter niemandem verstecken, auf niemanden unsere Hoffnungen auf eine andere Welt projezieren. Wenn jemand dazu noch etwas vorzutragen hat, muß er es im eigenen Namen tun. Der alte Internationalismus und Anti-Imperialismus hat sich überlebt.

Die politische Kultur der Autonomen mit ihrer Intoleranz und Dialogunfähigkeit macht dem großen Rest der Friedensbewegung hauptsächlich Angst. Das Bedürfnis, radikal gegen diesen Krieg zu streiten, muß auf große Aktionen des zivilen Ungehorsams hinauslaufen, so wie sie 1983 in Bremerhaven und an den Bombenzügen geübt wurden und nicht auf läppisches Kriegen- Spielen mit der Polizei.

Auf dem anderen Flügel sieht es genauso finster aus. Die SPD mausert sich nach kurzem Zögern zur Kriegspartei. Der Kriegssteuer soll zugestimmt werden und die Alpha-Jets können nun doch in der Türkei bleiben. Bündnistreue ist angesagt. Die Bremer Lagerhaus-Gesellschaft wird nicht angetastet und die Fraktion bleibt auf Linie. Die SPD ist eingeknickt, weil sie die internationale Isolation fürchtet und weil sie nicht im Ernst einer zivilen und nicht-militärischen Außenpolitik verpflichtet ist. Sie unterwirft sich der Logik des Krieges. Das Wagnis, einem kriegsentschlossenen und rücksichtslosen Regime wie dem Irak mit zivilen Mitteln entgegenzutreten, macht nur Sinn, wenn es eingebunden ist in die Entschlossenheit, die tieferen Kriegsgründe zu beseitigen: Den schamlosen Gegensatz von Arm und Reich auf dieser Welt, die Freßsucht der Industrienationen an den Schätzen dieser Erde und die Entschlossenheit des weißen Mannes, diesen Planeten eher zugrunde zu richten, als sich selber zu beschränken. Davor schreckt nicht nur die SPD zurück.

Ich glaube, die Friedensbewegung wird die nächsten Monate nur überstehen, wenn es ihr gelingt, das realistische Bild einer pazifistischen Außenpolitik für den Nahen Osten zu entwerfen. Wir müssen das Kunststück vollbringen, unsere Aktionen nicht abreißen zu lassen und trotzdem Platz für diese Diskussion zu schaffen. Robert Bücking