My Wonderful War

■ Ein Kriegsgewinnler berichtet

Eigentlich wollte ich nur eine schöne, ruhige Woche haben. Nach drei Monaten Berlin, nach Regen, Smog und Hausbrandmief plagte mich ein Bedürfnis nach Sonne, Meer und frischer Luft. Ich hatte den Hals voll mit Bratwürsten und Bouletten und schwere Entzugserscheinungen nach Humus, Falafel und meinen eigenen vier Wänden. Außerdem hatte ich noch ein Ticket, das Ende Januar verfallen wäre. Also flog ich nach Israel. Zufällig war es die Woche vor dem Ablauf des Ultimatums.

Von den äußeren Umständen abgesehen, war es der ideale Zeitpunkt. Ein historischer Moment stand bevor, einen Platz im Flieger gab es sofort, und die Abwesenheit von Touristen im Lande machte sich überaus angenehm bemerkbar: überall freie Parkplätze, sogar im Zentrum von Jerusalem und an der Strandpromenade in Tel Aviv. In den Cafés wurde man höflich und aufmerksam bedient. Und je näher das magische Datum des 15. Januar heranrückte, um so mehr wandelten sich die Israelis von einer Horde ungehobelter Barbaren zu manierlichen, umgänglichen und hilfsbereiten Menschen. Ein Krieg müsse wohl unmittelbar bevorstehen, schrieb die Jerusalem Post am 15.1., es sei ein Gefühl „gespannter Zusammengehörigkeit“ zu spüren, und außerdem „werden wir wieder nett zueinander“.

Ich raste kreuz und quer durchs Land, besuchte Freunde, die ich lange nicht gesehen hatte, besorgte mir eine Gasmaske, so wie man einen Regenschirm mitnimmt, damit es nicht regnet, und fand es sehr erholsam, eine Weile von Problemen der deutschen Einheit wie des deutsch- jüdischen Verhältnisses verschont zu werden. Meine deutschen Freunde freilich müssen meinen Trip irgendwie mißverstanden haben, als eine Art Kamikaze-Aktion mit ungewissem Ausgang. Malte rief an und erkundigte sich, ob ich mich schon rasiert hätte, die Gasmaske würde bei meinem Bart nicht funktionieren. Franz telefonierte, es würden jetzt alle Flüge von und nach Israel eingestellt. Stephan meldete aus Deutschland, Syrien habe die Anti-Irak-Koaliton verlassen und sei nun bereit, gegen Israel zu kämpfen. Andere, von denen ich seit Jahren nichts gehört hatte, teilten mir mit, daß sie an mich denken würden. Eines Abends kam ich von einem opulenten Essen mit Gad nach Hause zurück, hörte den Anrufbeantworter ab und spürte einen kurzen Stich in der Herzgegend: „Lieber Henryk, ich wollte dir nur sagen, wir haben dich sehr gern“, es war Peggy Parnass, die mich noch einmal aus der Ferne umarmen wollte. Wieder andere, mit denen ich seit Jahren auf „no speaking terms“ war, hielten die Zeit zur Aussöhnung für gekommen. Freimut Duve, der ebenfalls nach Israel gekommen war, um Freunde zu besuchen bzw. sich von ihnen zu verabschieden, rief an, um mir zu sagen, wie gut ihm meine letzten Kommentare in der taz gefallen hatten. Weshalb hatten wir uns eigentlich verkracht? Egal, es kam nicht mehr darauf an.

Als Freudianer würde ich sagen, daß ich den sekundären Krankheitsgewinn abkassierte. Soviel Aufmerksamkeit, soviel Zuneigung, soviel Anteilnahme wären mir unter normalen Umständen nie entgegengeströmt. Es gefiel mir gut, daß meine Freunde nicht nur an mich dachten, sondern sich auch um mich sorgten. Ich war, ohne mehr zu riskieren als eine Verwarnung wegen falschen Parkens, ein echter Kriegsgewinnler. Als ich am Tag nach Ablauf des Ultimatums in die Bundesrepublik zurückflog — übrigens mit einer halbleeren El-Al-Maschine — hatte ich nur ein Problem: Wie sollte ich meiner Mutter, die mich in New York gewähnt, schonend beibringen, daß ich acht Tage in Israel verbracht hatte?

Am Flughafen in Köln wartete eine Redakteurin von Stern TV auf mich, am Abend wurde ich in ein Studio nach Düsseldorf gefahren. Ich sollte mit Abdallah Frangi diskutieren, aber der war inzwischen unterwegs nach Tunis zum Begräbnis der ermordeten PLO-Funktionäre. An Frangis Stelle kam ein irakischer Exiljournalist, ein Gegner von Saddam Hussein, wie es hieß. Der meinte, Saddam sei kein Kriegstreiber, er habe doch nur „halb Israel“ die Vernichtung angedroht. Um welche Hälfte es sich handeln würde, konnte der Kollege nicht sagen. Am nächsten Tag klingelte mich Rias TV Stunden vor Sonnenaufgang aus dem Schlaf. Ich raste ins Bonner Studio, verlor ein paar Sätze über die Stimmung in Israel am Vorabend des Krieges, der eben angefangen hatte, und über die seltsame Moral der deutschen Friedensbewegung, der weder zum Massenmord an den Kurden noch zur gewaltsamen Einnahme Kuwaits durch den Irak etwas eingefallen war. Am Nachmittag rief mich Sonja vom WDR an, ich solle gegen 20 Uhr ins Studio A kommen, da werde eine große Sondersendung über den Krieg am Golf gemacht, ich sei doch gerade erst aus Israel zurück... Mit mir warteten dann rund 20 weitere „Experten“ in der Cafeteria auf ihren Auftritt. Die Sendung war eine einzige Katastrophe, nichts klappte, Leitungen kamen nicht zustande oder brachen zusammen, es wurden tausende von Zuschaueranrufen angenommen und nicht beantwortet; die Moderatoren Scharlau und Pleitgen, die in den USA nicht mal die Ergebnisse der Baseball- Spiele aufsagen dürften, befragten sich gegenseitig über die Lage am Golf. Die beiden kamen mir vor wie die zwei Alten in der Muppet-Show, die von ihrer Loge aus die Vorstellung kommentieren. Nach der Sendung stand Hans-Jürgen Wischnewski fluchend im Flur, nie wieder würde er sich auf so etwas einlassen, diese Amateure sollten erstmal ihr Handwerk lernen. Vielleicht ist es doch besser, dachte ich, wenn sich die Deutschen am Golfkrieg nicht direkt beteiligen.

Am nächsten Morgen saß ich noch vor Sonnenaufgang wieder im Bonner Rias-TV-Studio, die ersten Raketen waren auf Tel Aviv gefallen, und ich mühte mich um eine Erklärung, ob und wann Israel Vergeltung üben würde. Am Nachmittag fuhr ich von Köln nach Mainz. Petra Kelly, der Bremer Friedensforscher Dieter Senghaas und ich diskutierten live im SWF-Radio über den Krieg und die Reaktionen der deutschen Friedensbewegung. Wir waren uns einig, diese Friedensbewegung ist dumm und blöd, kann Ursache und Wirkung nicht auseinanderhalten.

Am Abend flog ich von Frankfurt nach Berlin, auf Einladung von SAT 1. Im Interconti, wo ich einquartiert wurde, schaute ich pausenlos CNN, zwischendurch rief ich Freunde in Israel an, um sie meiner Solidarität zu versichern. Am Samstag ging der Krieg am Golf weiter, ich hingegen hatte frei, schlief mich aus, war mittags bei Mövenpick und nachmittags im Grunewald. Am Sonntag morgen war ich Studiogast beim Rias TV. Rüdiger Lentz, ein Lichtblick unter den deutschen TV-Moderatoren, machte ein Stundenprogramm, in dem es um die Lage am Golf und die deutschen Waffenexporte in den Irak ging. Zwei Stunden später saß ich im Berliner SWF-Studio, um wieder mit Dieter Senghaas, der in Bremen zugeschaltet war, zu diskutieren. Danach fuhr ich zu Gerda und Michael, um mir ein frisches Sakko für den abendlichen Auftritt bei Talk im Turm in SAT 1 zu holen, live aus dem Dachgarten des Interconti: Wie soll der Krieg beendet werden, und wie soll es nach dem Krieg weiter gehen? Ich weiß es auch nicht und verlege mich aufs Kalauern. „Warum sind Sie so zynisch, Herr Broder?“, fragt mich die schöne junge Moderatorin, die ihren Beitrag zur Beendigung des Krieges leisten möchte. Nach der Sendung will sie von mir wissen, warum ich noch immer einen deutschen Paß habe, obwohl ich in Israel lebe, das wäre doch „nicht konsequent“. Es leben doch auch viele Türken mit türkischen Pässen in der Bundesrepublik, sage ich. Das sei doch was anderes, meint sie. Schon möglich, sage ich, jedenfalls möchte diesmal ich entscheiden, wann ich ausgebürgert würde...

Am Montag will das Morgenecho des SFB ein Interview mit mir haben. Ich ziehe einen Pullover über das Nachthemd und bin zum Frühstück wieder im Interconti. Mittags fliege ich von Berlin nach Augsburg, da wartet schon eine Liste mit Terminen und Einladungen auf mich: Diskussion im SFB-Fernsehen, Interview im NRD-Fernsehen, Telefon-Interview mit 'La Stampa‘, 'Rowohlt aktuell‘ will einen Beitrag für ein Golfbuch haben, die 'Gewerkschaftlichen Monatshefte‘ einen Artikel über „die Zeit danach“.

Das hätte ich nie gedacht: So ein Krieg ist, selbst in der Etappe, eine ziemlich anstrengende Sache. Man verbringt ganze Nächte vor dem Fernseher, bleibt im Verkehr stecken, weil die Friedensdemonstranten den Weg blockieren, und kann nicht mal zwischendurch ins Kino, weil man einen Raktenangriff oder eine Einladung zur Talk-Show verpassen könnte. Wird Zeit, daß der Krieg bald aufhört.

Henryk M. Broder