Kreuzberger frieren für den Golfkrieg

■ Das Spreewaldbad wird weniger beheizt, denn der unfreiwillige Sparkurs zwingt die Berliner Bezirke zu Streichungen/ Auch die Stellen für Jugendprojekte werden gekürzt/ Vor allem Kinder, Jugendliche und alte Menschen sind betroffen

Kreuzberg. »Wir können keine Spezialbetten für pflegebedürftige alte Menschen mehr kaufen«, erläutert Ingeborg Junge-Reyer, Kreuzbergs Sozialstadträtin, wie sie den jüngst verordneten Sparkurs für die Berliner Bezirke umsetzt. »Wir lassen die Bettwäsche in den Heimen seltener waschen und eine Wohnung nicht mehr renovieren, wenn nach dem Tod einer Rentnerin jemand Neues einzieht.« Ein Finanzloch von sechs Milliarden Mark klafft im (West)- Berliner Haushalt, nachdem der nun auch für Ost-Berlin reichen muß. Dazu kommen weitere vier Milliarden Mark Defizit, um die Miet- und Energiesubventionen für den Ostteil der Stadt zu bezahlen, sowie womöglich weitere drei Milliarden Mark für Altschulden aus dem Plattenbau. »Die Lage ist dramatisch«, warnt Kreuzbergs Bürgermeister König.

Zunächst einmal müssen die Bezirke und die Senatsverwaltungen 20 Prozent ihrer disponiblen Ausgaben einsparen — da sind dieses Jahr insgesamt 300 Millionen Mark. Kreuzberg werden aus seinem Gesamtetat von 700 Millionen Mark 25 Millionen gestrichen. Der größte Brocken, 22 Millionen Mark, wird bei der Instandhaltung öffentlicher Gebäude gekürzt. Das heißt nicht nur, daß keine Schule mehr renoviert werden kann. »Wir werden etwa einen geplanten behindertengerechten Eingang zu einem Seniorenheim nicht bauen können«, meint Junge-Reyer. Sieben geplante Kindertagesstätten, die der Finanzsenator zugesagt hatte, liegen auf Eis. Dabei warten 3.500 Kinder auf einen Kita-Platz. Aber auch andere Bereiche müssen bluten. So überlegt sich das Bezirksamt, die Wassertemperatur im Prinzen- und im Spreewaldbad — jetzt 24 Grad — zu senken. Ausflüge für Kindergruppen in die Berliner Umgebung werden gestrichen. Am Mittagessen für Kita-Kinder muß ebenso gespart werden wie an den Schulbüchern für die Älteren. Bei einigen Jugendausbildungsprojekten wurden die Mittel für 30 Ausbildungsplätze storniert. Sogar einem Streetworker-Projekt, das sich um Jugendgangs kümmert, wurden Stellen gekürzt.

Nicht gestrichen werden dürfen feste Ausgaben. Dazu gehören Gehälter, aber auch Ausgaben für Wohngeld oder Sozialhilfe, weil die Bürger darauf einen Rechtsanspruch haben. Allein für Sozialhilfe gibt Kreuzberg 80 Millionen Mark im Jahr aus. »Aber es kann passieren, daß eine schwangere Sozialhilfeempfängerin keinen Umstandsmantel mehr bezahlt bekommt«, sagt König.

So wie Kreuzberg geht es allen West-Bezirken. Vorwürfe richtet König nur zum Teil an den Senat, bei dem er ein Sparkonzept mit einem klar definierten Zeitrahmen vermißt. Schuld sei vor allem die Bundesregierung, die West-Berlin das Ostberliner Haushaltsdefizit aufbürde, statt mit Finanzhilfe einzuspringen. Gleichzeitig verschwende Bonn aber Milliarden für den Golfkrieg. »Sicher sieht es in den östlichen Bezirken noch schlechter aus. Aber das Ziel der Bundesregierung ist die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West. Die können damit ja nicht gemeint haben, West-Berlin auf das Ostberliner Niveau herunterzufahren«, sagt König. Eva Schweitzer