Vor einem Jahr noch völlig unbekannt

■ Neue im Kabinett IV: Christine Bergmann, Bürgermeisterin und Senatorin für Frauen und Arbeit

Schöneberg. »Mit mir wollen Sie sprechen? An mir ist aber doch gar nichts Interessantes...« Die Dame, die sich so mit Bescheidenheit schmückt, ist im Berliner Politgeschäft eine Senkrechtstarterin und eine Viertelstunde vor dieser Äußerung zur protokollarisch dritthöchsten Persönlichkeit des Landes gewählt worden. Christine Bergmann, 51 Jahre alt, wurde in der vergangenen Woche mit dem weitaus besten Stimmenergebnis zur Bürgermeisterin und Senatorin für Frauen und Arbeit gekürt. 183 Abgeordnete, also sechs mehr, als CDU und SPD jetzt zusammen im Parlament aufbieten können, gaben der ehemaligen Präsidentin der Stadtverordnetenversammlung ihre Stimme.

Die Bescheidenheit von Christine Bergmann ist nicht gespielt. Die promovierte Pharmazeutin, seit Dezember 1989 in der SPD, ist im Kabinett der mit allen Wassern gewaschenen Vollprofis — mit ihrem Ost-Kollegen Thomas Krüger — immer noch eine Ausnahme. Auch nach gut einem Jahr in der Politik hat sie noch nichts von den karriereversessenen Parteitaktikern an sich — obwohl es ihr Wunsch war, Bürgermeisterin zu werden. Noch lieber als das neugeschneiderte Ressort für Frauen und Arbeit hätte sie das Gesundheits- oder Sozialressort erhalten. Soziales blieb aber bei Ingrid Stahmer, Gesundheit mußte an die CDU abgegeben werden. Bis zum letzten Moment war unklar, ob die SPD die Ostpolitikerin tatsächlich zur Bürgermeisterin vorschlagen würde — ihre Vorgängerin Stahmer kämpfte bis zuletzt um den Bürgermeistersessel.

Ja, sie freue sich, strahlt Christine Bergmann nach der Wahl, aber es gebe auch so viel Arbeit und so viele Probleme... Noch ist nicht einmal geklärt, in welches Gebäude ihre Verwaltung überhaupt ziehen soll. Für die SPD war sie doppelt wichtig: Sie ist eine Frau, und sie kommt aus dem Ostteil der Stadt. Die vor einem Jahr noch völlig Unbekannte machte sich als Parlamentspräsidentin im Roten Rathaus rasch einen Namen. Schneller als viele andere erlernte sie die Spielregeln der parlamentarischen Demokratie und leitete die oftmals chaotischen Sitzungen gewissenhaft und fair. Als die Statdverordnetenversammlung zum letzten Mal tagte, war bei ihrer Abschiedsrede auch ein wenig Trauer in der Stimme: »Jetzt fängt die Arbeit doch eigentlich erst an.« Rasch kristallisierte sich heraus, daß die gebürtige Dresdnerin in der Berliner SPD auch künftig etwas zu sagen haben würde. Im September 1990, auf dem Vereinigungsparteitag der Sozialdemokraten, wurde sie in den Parteivorstand gewählt, und schon vor der Wahl am 2. Dezember galt sie als sichere Anwärterin auf einen Senatorenposten. Im Bezirk Hellersdorf holte sie sich ein Direktmandat fürs neue Berliner Abgeordnetenhaus. Christine Bergmann zählt zum linken Flügel der Partei, ohne dogmatisch zu sein; der Kontakt zu den Basisgruppen der Sozialdemokraten im Osten war und ist ihr wichtig.

Mit der Zusammenlegung der bisher getrennten Bereiche Frauen und Arbeit will die SPD in Berlin Akzente setzen.

Während der rot-grünen Ära bildeten Arbeit, Verkehr und Betriebe ein Ressort, die Frauen waren beim AL-Ressort Jugend und Familie angesiedelt. In der großen Koalition möchte sich die SPD die Frauenpolitik auf die Fahnen heften und insbesondere im Ostteil der Stadt Punkte sammeln. Dort, wo Frauen von der deutschen Einheit durch massenhafte Entlassungen und Abbau von Sozialleistungen unmittelbar und härter getroffen werden als im Westteil der Stadt, soll ein politischer Schwerpunkt liegen.

Vor einem hofft Christine Bergmann in Zukunft endlich gefeit zu sein: vor Verwechslungen mit Sabine Bergmann-Pohl (CDU), Ex- Volkskammerpräsidentin, die jetzt auf den Posten einer parlamentarischen Staatssekretärin abgeschoben worden ist. Nicht einmal die Berliner Medien — diese Zeitung, es sei reumütig erklärt, eingeschlossen — waren bis zur letzten Woche sicher in der Namensgebung. Christine Bergmann heißt weder Sabine noch Ingrid noch -Pohl und ist mit der CDU-Politikerin weder verwandt noch verschwägert. Einzige Ähnlichkeit mit der Unionsfrau: Kurzgeschnittene, blonde Haare. Kordula Doerfler