Keine strippenden Hausfrauen im OK

■ Offene Kanäle dienen vor allem Vereinen als Plattform zur Selbstdarstellung Gestern befaßte sich die SPD-Medienkommission in Bonn mit der Zukunft des BürgerInnenfernsehens

Während in Deutschlands wildem Osten die öffentlich-rechtlichen Anstalten und privaten TV-Anbieter ihre Claims abstecken, erwärmen sich die gesamtdeutschen Sozialdemokraten für ein in der alten Bundesrepublik bereits eingeführtes, aber vergleichsweise randständiges „Medium der Dritten Art“: den Offenen Kanal (OK). Der Engholm-Kommission lag für die gestrige Sitzung in Bonn ein Beschlußentwurf vor, den der medienpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Mainzer Landtag, Klaus Jürgen Lais (Neustadt/Weinstraße) verfaßt hat. In dem Papier preist Lais — einer der Mitbegründer des ersten Offenen Kanals in der BRD — die Vorzüge des lokalen, nur über Kabel empfangbaren „Bürgerfernsehens“ als Instrument einer demokratischen Kommunikationskultur und als integrierender Faktor in der Kommune. In diesem Medium könnten die BürgerInnen („weit überwiegend Arbeitnehmer“) in eigenen Worten und Bildern ihre Anliegen darstellen.

In der Wertschätzung des Offenen Kanals darf sich Lais einig wissen mit der katholischen Bischofskonferenz, evangelischen Landeskirchen und beschlußlagengläubigen Gewerkschaftszirkeln, die sich schon länger als mehr oder minder glühende Anhänger solcher jedermann verfügbaren Sende- und Produktionsmöglichkeiten zu erkennen gegeben haben. Auch die CDU hat in Gestalt ihres Medienexperten Dieter Weirich ein Bekenntnis zum „Bürgerfernsehen“ abgelegt; der Offene Kanal, so Weirich, sei ein „Faktor urbaner Kultur mit belebender Wirkung“. Derartiger Enthusiasmus vermochte freilich kaum jene Kritiker zu beeindrucken, die Offene Kanäle beim politisch flankierten Einbruch der (kapitalkräftigen) Privatfunker ins öffentlich-rechtliche Freigehege nur als beschwichtigendes Alibi bewerteten, als das „Zuckerstückchen“, wie Uli Kamp, einer der OK-Pioniere beim Kabelpilotprojekt Ludwigshafen/Vorderpfalz, die Rolle des Offenen Kanals freimütig charakterisiert: „Hier, Leute, habt Ihr die Bürgerbeteiligung, jetzt ärgert Euch nicht zuviel über die Verlage und die Banken.“

Die Angst vor der eigenen Courage, die manche politischen Luntenleger des 84er „Urknalls im Medienlabor“ befiel, nämlich die Horrorvision vom Chaotenprogramm, erwies sich als unbegründet. Die strippende Hausfrau mittleren Alters, die ein Türkenkind prügelt und dabei die Internationale singt, drängte nicht in den Offenen Kanal. Statt dessen bedienen sich bevorzugt Vereine dieser Plattform zur Selbstdarstellung, was Lais in seinem Plädoyer, warum Sozialdemokraten Offene Kanäle fordern und fördern sollten, ebenfalls als Pluspunkt herausstreicht. Einen Sendeplatz findet aber auch jener automobile Werktätige, der seine tägliche Fahrt zum Arbeitsplatz mittels einer abgefilmten Bordsteinkante dokumentiert. Von politischer Bildung, wie sie Lais sich wünscht, bleibt da nicht viel; gleichwohl sieht er schon einen Wert darin, wenn ZuschauerInnen aus ihrer passiven Rolle fallen und selbst zur Videokamera greifen.

Der rheinland-pfälzische Medienpolitiker leugnet nicht, daß ein wesentliches Motiv des SPD-Vorstoßes auf das OK-Terrain parteitaktischem Kalkül entspringt: Das Feld soll nicht einfach den anderen Parteien überlassen bleiben. Lais weist in dem Beschlußentwurf darauf hin, daß die Offenen Kanäle „auf stetig wachsenden Zuspruch bei der Bevölkerung stoßen“. Die Statistik gibt ihm recht. In Rheinland-Pfalz gibt es derzeit Offene Kanäle in Ludwigshafen, Neustadt, Schifferstadt, Worms, Trier, Koblenz, Rodalben/ Pirmasens; demnächst wollen gemeinnützige OK-Vereine in Speyer, Kaiserslautern und Zweibrücken auf Sendung gehen. In Nordhrein-Westfalen sind Offene Kanäle in Dortmund (Fortbestand fraglich), Duisburg, Meckenheim und Essen eingerichtet. „Bürgerfernsehen“ gibt es außerdem im Saarland (Saarbrücken), in Schleswig-Holstein (Kiel) sowie in den Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin. Aber auch in Sachsen gibt es eine „Initiative Landesmediengesetz“, die die Einrichtung Offener Kanäle befürwortet.

Einer Expansion, die das „Bürgerfernsehen“ zu einem echten, die Beteiligung beflügelnden Kommunikationsinstrument macht, setzen die Etats der Landesmedienanstalten allerdings Grenzen. Die technische Erstausstattung für einen Offenen Kanal (Kameras, Schnittplatz, Studio) kostet rund 150.000 D-Mark und an Leitungskosten müssen übers Jahr etwa 30.000 D-Mark an die Bundespost gelöhnt werden. Lais ist deshalb auch daran gelegen, daß neue Geldquellen zum Sprudeln gebracht werden. Der Abgeordnete, Fernsehgucker von Mandats wegen, hält es weder für anstößig, noch der politischen Hygiene für abträglich, wenn Städte und Gemeinden die finanzielle Unterstützung Offener Kanäle in den Katalog freiwilliger Aufgaben übernehmen, „als Teil der kommunalen Kulturförderung“. Eine solche Lösung favorisieren auch der versierte OK-Theoriebildner Uli Kamp (nebenbei auch Vorsitzender des Bundesverbandes Offene Kanäle) oder der Neustadter Regierungspräsident Paul Schädler, der seit Beginn des „medienpolitischen Urknalls“ in der Ludwigshafener Landeszentrale für private Rundfunkveranstalter (LPR) als Vorsitzender der Anstaltsversammlung amtiert. Die Befürchtung, daß das Bürgerfernsehen zu einem Bürgermeisterfernsehen verunstaltet werden könnte, ist nach Ansicht von Kamp unbegründet.

Ob es auf der gestrigen SPD-Sitzung zu einer Beschlußfassung kam, war bis zum Redaktionsschluß nicht zu erfahren. Michael Wendel