Der Prophet nur auf Platz elf

Wie eine Umfrage im muslimischen Indonesien die Gemüter erregte — und auch wiederum nicht 180 Millionen Indonesier leisten sich ein laizistisches Nebeneinander verschiedener Religionen  ■ Aus Jarkarta Dorothee Wenner

„Don't touch SARA.“ Diese geheimnisvolle Losung ist eine Benimmregel für Journalisten in Indonesien oder: eine ziemlich ernstgemeinte Empfehlung, Tabuthemen als solche zu respektieren. SARA setzt sich zusammen aus den Anfangsbuchstaben der indonesischen Worte für Religion, Ethnien, Rasse und Sozialwesen. Der „verantwortungsbewußte Journalist“ meidet diese Themen und erspart es dem Zensor, in Erscheinung treten zu müssen. Dieser gängigen Praxis zum Trotz wurde vor kurzem ganz offiziell verkündet, die Zensur solle nun aufgehoben werden und überhaupt sei das totalitäre, zentralistische Regierungssystem „altmodisch“ und „unangemessen im Hinblick auf die soziale Dynamik des Landes“.

Durch solche Äußerungen macht sich Suharto immer mehr zur Sybille: Der alternde Präsident gibt seinem Volk derzeit viele Rätsel auf. Wenige Wochen nach den demokratisch anmutenden Absichtserklärungen wurde nämlich der Vertrieb der 'International Herald Tribune‘ verboten, — wegen eines Artikels über die unternehmerischen Umtriebe der Präsidentenfamilie. Scheinbar paradox auch, daß in Jakarta Ende letzten Jahres ein politisch brisantes Theaterstück zur Premiere zunächst nicht und ein paar Tage später — ohne weitere Begründung — auf einmal doch aufgeführt werden durfte. Und dann war da die überaus brisante 'Monitor‘-Affäre: die Illustrierte gleichen Namens (eine indonesische Mischung aus 'Bunte‘ und 'Stern‘) hatte einer merkwürdige Popularitätshitliste veröffentlicht. Den ersten Platz belegte Präsident Suharto, auf Platz zehn schaffte es der Herausgeber von 'Monitor‘, Arswendo Atmowiloto, gefolgt vom Propheten Mohammed auf dem, die Muslims im Land beleidigenden, elften Platz.

Weil sich immerhin 90 Prozent der 180 Millionen Indonesier zum Islam bekennen, Arswendo und der riesige Gramedia-Verlag (wo der 'Monitor‘ erscheint) dagegen katholisch sind, waren theoretisch alle Voraussetzungen für ein Remake der „Rushdie-Affäre“ gegeben. Aber Indonesien ist nicht der Iran: Deswegen gibt es den 'Monitor‘ zwar nicht mehr, aber das Gramedia-Hochhaus steht noch unversehrt an seinem Platz, obwohl ein paar aufgebrachte Muslims es eigentlich niederbrennen wollten, — und Arswendo wartet im Gefängnis auf seine Verhandlung nach zivilem Recht.

Nach Westlogik führt der Islam in den Fanatismus

Im Unterschied zu den drei anderen SARA-Themen (dazu zählen nach wie vor die Konflikte um West-Papua und Ost-Timor) versagen unsere gängigen Erklärungsmodelle zu Vorgängen in der „Dritten Welt“ ziemlich bald, wenn sie auf den Komplex „Religion“ in Indonesien angewendet werden. Zwar gerät auch die indonesische Führung im Zuge des Golfkrieges unter den Druck erregter Muslims und mißbilligt die massiven US-Luftangriffe auf den Irak, doch zugleich verurteilt sie auch die Annexion Kuwaits durch Saddam Hussein.

Daß hiesiges Differenzierungsvermögen in puncto muslimischer Glaube oftmals aussetzt, wird während des Golfkriegs mit jeder hetzerischen Islamdokumentation à la Peter Scholl-Latour und jeder Tagesschau nur noch deutlicher. Wenn in den 20 Uhr Nachrichten zum Beispiel ein Korrespondent syrische Demonstrationen mit Floskeln wie: „Ihr Glaube ist die Triebkraft für den Kampf“ kommentiert, so hat sich die „seriöse“ Berichterstattung schon bedenklich dem irrationalen Stil der 'Neuen-Post‘ angeglichen. Dort ist der Islam längst zur „Macht des Bösen“ geworden, die nach Chomeini jetzt ein noch gefährlicheres Monster hervorgebracht hat. In der Logik der abendländischen Angst vor dem Islam scheint Fanatismus seine natürliche Ausdrucksform. Der Krieg wird als Enthüllung seines wahren Wesens heraufbeschworen, denn „er (Saddam) forderte alle Moslems, ...die im Ausland leben, zu Terroranschlägen auf.“ ('Neue Post‘) Der Unterschied zwischen Muslimen und Terroristen wird in den westlichen Medien immer geringer.

Indonesien ist da ein Gegenbeispiel. Dort driftete der religiöse Aufruhr während der 'Monitor‘-Affäre nicht in die fundamentalistische Sackgasse ab, obwohl vereinzelt die Todesstrafe für Arswendo gefordert wurde. Daß sich die Wogen bald wieder glätteten, ist nicht zuletzt Abdurrahman Wahid zu verdanken. Er ist ein Muslim der spezifisch indonesischen Ausprägung und wird von strenggläubigen Konservativen auf dem Land ebenso geschätzt wie von engagierten Feministinnen in Jakarta, — als Intellektueller und Vordenker eines überaus zeitgemäßen Islam. Während der 'Monitor‘-Affäre bezog Wahid lautstark Position gegen die fundamentalistische Minderheit, die versuchte die Gunst der Stunde zu nutzen. Statt sich für ein Lizenzverbot von 'Monitor‘ auszusprechen, nahm Wahid die Gelegenheit wahr, für uneingeschränkte Pressefreiheit in Indonesien zu plädieren. Natürlich, erzählt Wahid, er sei auch sehr verärgert gewesen über die journalistische Dummheit Arswendos, — aber viel mehr hätte ihn das Verhalten der Leute schockiert, die sonst immer als muslimische Intellektuelle auftreten, plötzlich aber Blutrache und Zensurmaßnahmen forderten.

„Solche Leute sind offensichtlich keine Intellektuellen. Wie könnten sie sonst solche blödsinnigen Forderungen stellen? Sie haben ja auch zum Boykott des Gramedia-Konzerns aufgerufen. Zu Gramedia gehören Supermärkte, Hotels, aber auch Buchläden und elf Tageszeitungen, darunter die einflußreichsten. Da ist ein Boykott doch reiner Wahnsinn! Ich habe die indonesischen Muslims öffentlich gebeten, von dem Boykott abzusehen und weiterhin die Zeitungen zu lesen.“ Auf diesen Aufruf hin wurde Wahid von muslimischen Hardlinern heftig angegriffen. Doch das ist ihm egal: „Die Mehrheit steht schließlich hinter mir und nicht hinter diesen Scharfmachern. Wo immer ich jetzt hinkomme, sogar in Malaysia, bedanken sich alle möglichen Leute bei mir. Sie sagen mir, daß sie sich schämen für das, was manche der muslimischen Intellektuellen gefordert haben. Die Menschen hier wünschen sich, daß der Islam eine Religion des Friedens, der Liebe, der Verbesserung und des Mitgefühls für die Armen ist. Und plötzlich soll diese Religion Zerstörung und Haß bedeuten? Nein, wir akzeptieren das nicht.“

Abdurrahman Wahid ist Vorsitzender einer der beiden muslimischen Massenorganisationen. Wahids Nahdahtul Ulama (NU), die zur Zeit etwa 20 Millionen Mitglieder zählt, ist überaus einflußreich, obwohl parteipolitisch nicht gebunden . Die NU wurde 1926 mit dem Ziel gegründet, die ökonomische und soziale Position der Muslims in Indonesien gegenüber den holländischen Kolonisatoren zu stärken. Neben genossenschaftlichen Aktivitäten wurde Bildung und Ausbildung dabei als zentrales Instrument begriffen. Man baute „Pensantren“, religiös ausgerichtete Internatsschulen. Die indonesischen Muslims haben diese Schulen nie als ausschließliche Alternative zur westlichen Erziehung begriffen, eher als Ergänzung, als Möglichkeit, modernes Wissen mit traditionellen und religiösen Werten nach eigenen Vorstellungen zu vereinbaren. Dazu gehörte auch, daß die NU von Anfang an die Schulausbildung von muslimischen Mädchen für genauso wichtig hielt wie die von Jungen. Die Auffassung, daß der Koran von den Gläubigen ihrer Zeit und ihrem Kulturkreis entsprechend intepretiert werden muß, ist sicher das auffallenste Charakteristikum eines Islam-Verständnis, wie es zum Beispiel Wahid für richtig hält.

„Wir haben die permanente Aufgabe, die Heilige Schrift zu re-interpretieren. Das gilt für alle möglichen Bereiche, auch für die Frauenpolitik. Ich bin der festen Überzeugung, wenn sich die Situation der Frau in unserer Gesellschaft verbessert hat, dann nicht nur durch die Arbeit der säkularistischen Gruppen, sondern genauso, weil die religiösen Organisationen die Mädchen und Frauen heute dazu ermutigen und ihnen dabei helfen, sich besser ausbilden zu lassen. Meine Schwester ist ein gutes Beispiel für diese Veränderungen: unser Großvater war noch so eine Art Khomeini. Seine Enkelin trägt heute Jeans und leitet eine große Autokarrosserie-Fabrik! Eine Frau wie sie ist bei uns keine Ausnahme mehr.“

Im Unterschied zu unseren sterilen, protestantischen Gotteshäusern oder irgendwelchen S/M-Altären, wie sie zuweilen in bayerischen Kapellen zu finden sind, umfängt den zufälligen Besucher indonesischer Moscheen eine eher freundliche Atmosphäre. Wenn die Gebetsteppiche ausgerollt sind, dürfen darauf Nickerchen gemacht werden. Ganz bequem im Liegen wird dort auch Zeitung gelesen, geraucht oder mit Bekannten und Freundinnen die Mittagspause verplaudert. Als offizieller Gast wird man manchmal sogar in der Moschee bewirtet, mit Kuchen und scharf gewürzten Fleischklöpsen zum Beispiel, die auf rosa Papptellerchen von ein paar Männern verteilt werden, während sich die Frauen bemühen, beim Essen ihre geblümten Kleider nicht allzu hoch übers Knie rutschen zu lassen. Es wird parliert, photographiert und mit den Kindern gespielt, und man erahnt bei solchen Zusammenkünften, warum eine Moschee im Dorf jeder Kneipe an Attraktivität überlegen ist: sie ist das gesellschaftliche Zentrum, ein hang-out, wo sich Alltag und Religiösität völlig unaufgeregt vermischen und zu jenem Synkretismus werden, für den insbesondere die Kultur der Insel Java so berühmt ist.

Der Islam verträgt sich mit dem Hinduismus

Der Islam, wie er heute von der Mehrzahl der indonesischen Muslims praktiziert wird, hat sich in einer ungewöhnlichen Mischung aus Antikolonialismus, Fortschrittsglauben und gleichzeitigem Bewußtsein für kulturelle Traditionen etabliert. Das läßt sich historisch erklären, denn die Händler, durch die sich der Islam seit dem 15. Jahrhundert in Indonesien ausbreitete, waren Anhänger des Sufismus, der islamischen Mystik. Diese Glaubensrichtung ließ sich ohne weiteres mit dem indonesischen Hinduismus und Animismus vereinbaren und wurde viel eher als eine Bereicherung des religiösen Lebens wahrgenommen denn als Bedrohung. Was den Islam für viele von irgendwelchen hinduistischen Fürsten ausgebeuteten, politisch schon damals attraktiv machte, war das Nicht-Vorhandensein einer Priesterkaste zwischen Allah und dem Gläubigen. Hier liegt wohl auch die Erklärung dafür, wenn einem heute, im offiziell strikt anti-kommunistischen Indonesien manchmal zugeflüstert wird, daß viele Reiche im Land Angst vor den Muslims hätten, weil sie wissen, wie schnell grün (= die Farbe der Mulims) zu rot werden kann. Während des Zweiten Weltkriegs haben sich die indonesischen Muslims im Widerstand gegen die japanischen Besetzer engagiert.

Später, als Indonesien seine Unabhängigkeit erkämpft hatte, verzichtete die Mehrzahl der Muslims auf die Gründung eines „darul islam“ (theokratischer „Islamstaat“) und akzeptierten die „Pancasila“ als verbindliche Staatsideologie“. Die Pancasila verpflichtet jeden Indonesier im ersten von fünf Grundprinzipien, sich zu einer Religion zu bekennen, zu welcher, wird aber bewußt offen gelassen. Ohne diese von Rechts wegen verordnete religiöse Toleranz wäre die nationale Einheit des riesigen Vielvölkerstaates wohl niemals durchzusetzen gewesen. Bei allen daraus resultierenden Problemen, die zuweilen wie eine Vorwegnahme der aktuellen Konflikte in der Sowjetunion scheinen, sind in der neueren indonesischen Geschichte Toleranz und Islam von einander nicht zu trennenden Begriffe.

Abdurrahman Wahid: „Für mich ist der Islam kvor allem eine integrative Kraft. Ich habe die letzten zwanzig Jahre damit zugebracht, mich für zwei Ziele einzusetzen und ich wäre sehr glücklich, wenn ich denen noch näher kommen könnte, bevor ich sterbe: das ist zum einen die Sicherheit aller Nicht-Muslime in Indonesien, sie sollen sich hier genauso zu Hause fühlen wie wir. Ich glaube, wenn sich der Islam dem Schutz der ethnischen, kulturellen und religiösen Minderheiten verschreibt, trägt er sehr viel zur nationalen Entwicklung Indonesiens bei. Und zum zweiten möchte ich, daß sich solche Muslime, die sich durch die Kolonialherrschaft in Europäer verwandelt haben, wieder auf die eigentlichen Werte des Islam besinnen. Sie sollen ja nicht so werden wie ich — ich bete fünfmal am Tag und habe, obwohl ich ein Jahr in Europa gelebt habe und beim Oktoberfest war, noch nie einen Tropfen Bier getrunken. Ich möchte den ,gemäßigten‘ Muslimen niemals die Türen unserer Moscheen verschließen.“

In selbstkritischer Erinnerung an eine Zeit, da man hierzulande dem Orient weniger feindselig begegnete als heute, ein Schlußzitat:

Wenn man auch nach Mekka triebe/

Christus' Esel, würd' er nicht/

Dadurch besser abgericht,/

Sondern stets ein Esel bliebe.

(J.W. Goethe: Westöstlicher Divan)

„Aasgeier! Warum laßt Ihr uns in der Islamischen Welt unsere Zukunft nicht selbst bestimmen?“

Demoaufruf von Berliner Türken

am 10. Tag des Golfkriegs