: Zweites München für Hussein?
■ Über moralische Zweideutigkeit der eindeutigen Friedensposition DEBATTE
Zweihunderttausend Friedensdemonstranten haben am Wochenende eindeutig festgestellt, daß sie nicht antiamerikanisch sind. Sie demonstrieren nicht gegen das amerikanische Volk, sondern gegen die „Fahrlässigkeit“ der amerikanischen Politik, wie es Bischof Forck formulierte. Ganz gleich, wogegen protestiert wird, gegen die „Fahrlässigkeit“ oder die unveränderte imperialistische Option der amerikanischen Politik: Die Moraltheologie der Friedensbewegung geizt nicht mit einer generösen Unbedenklichkeitsbescheinigung. Das moralische Dilemma ist längst gelöst; schuldig oder unschuldig, das läßt sich offenbar so klar voneinander trennen wie Lego-Bausteine.
In Israel, in den USA und anderswo wächst zwar der Zorn über die deutsche Friedensbewegung. Und in der Friedensbewegung wächst wiederum die Empörung über diesen Zorn. Man ist konsterniert, daß die so eindeutige Entscheidung der Deutschen für Frieden, das heißt genauer gegen den Krieg im Ausland nicht rundum Begeisterung und Zustimmung auslöst. In einem Milieu, in dem Betroffenheit zur ersten Bürgerpflicht erhoben ist, fühlt sich kaum jemand betroffen von den moralischen Vorwürfen gegen die Friedensbewegung. Daß der Überfall auf Kuwait selbst bei den Deutschen so wenig Empörung auslöste; daß Saddam Husseins Aggression weniger Entsetzen provozierte als der Angriff der Streitkräfte der Allianz — diese Vorwürfe prallen ab.
Die Friedensbewegung ist nicht radikal pazifistisch
Zwar weiß man, daß ein drohender Gasangriff auf Isreal an etwas erinnert, woran man sich als Deutscher erinnern muß. Aber die Rhetorik vom totalen Krieg — was ist der heilige Krieg denn anderes als der totale Krieg? — die Bereitschaft Saddam Husseins, die eigene Bevölkerung zu opfern, die Drohung mit der Wunderwaffe, das alles bewirkt hierzulande keinen historischen Schock. Die These von Hussein als dem Hitler in der Region, das Thema München 1938 und Appeasement-Politik — das alles steht in Deutschland nicht im Zentrum der Auseinandersetzung. Solcherlei historische Erinnerungen machen uns nicht betroffen.
Gewiß, es gibt die achtenswerte Position des radikalen Pazifismus, ein welthistorischer Fundamentalismus angesichts der Zerstörungswut des Menschengeschlechts, angesichts der modernen Massenvernichtungswaffen. Eine Position der Trauer, der Verzweiflung, der Opferbereitschaft. Einige setzen dafür in der irakischen Wüste ihr Leben ein. Aber dieser Pazifismus muß in letzter Konsequenz auch Frieden mit den Diktaturen sagen. (Gesagt wird das allerdings nicht.) Viele nehmen in dieser Haltung an den Friedensdemonstrationen teil. Aber die deutsche Friedensbewegung selbst ist keineswegs radikal pazifistisch. Sie versteht sich als politische Bewegung, die politisch eingreifen will und politisch argumentiert. Also fragt sich: Was sind die politischen Ziele der Friedensbewegung im Golfkrieg, der stattfindet, was ist ihre politische Grundannahme?
Unentwegt wird die Fortsetzung des Embargos, die Möglichkeit einer Nahost-Friedenskonferenz beschworen. Die Tatsache, daß Saddam Hussein nicht einmal durch eine symbolische Geste andeutete, von Kuwait zu lassen, zählt nicht. Es zählt auch nicht, daß es nicht der US- Imperialismus, sondern die UNO war, die zu Sanktionen sich bereiterklärte. Das wurde in der übrigen Welt als Fortschritt angesehen. Es wird nicht einmal die Frage erörtert, ob über die multinationalen Streitkräfte und über den Druck der UNO- Resolution hinaus eine politische Kraft denkbar ist, die mit einem Minimum an Wahrscheinlichkeit Hussein zum Rückzug bewegen könnte. Waffenstillstand jetzt wird gefordert. Aber gibt es nur das geringste Anzeichen, daß Hussein die Waffenpause nicht nutzen wird, um seine Waffen wieder instandzusetzen? Wenn es kein Anzeichen für ein Einlenken gibt, was unterscheidet dann die Forderung nach Waffenstillstand etwa von einer Idee, derzufolge 1938 nach Hitlers Einmarsch in der Tschechoslowakei ein zweites München zur „Lösung“ der Polenfrage oder 1939 nach der Eroberung Polens ein Waffenstillstand zur Förderung der Besinnung für wünschenswert erklärt worden wäre?
Die Forderung nach einem Waffenstillstand ist in Wirklichkeit die Forderung nach der Beendigung des Krieges. Dann muß man aber den Mut haben zu sagen, daß dieser Diktator seine Massenvernichtungsmittel behalten darf, weil sie so schrecklich sind, und ein kleines Land eben Pech hat, weil es in der Reichweite dieser Waffen liegt. In welcher Welt werden wir aber dann aufwachen, wenn das Frieden sein soll.
Langandauernder Krieg, Ausweitung des Krieges, Ölverseuchung, Brände, die die Welt bedrohen, die direkte Androhung eines Gasangriffs auf Isreal? Es gibt kein Argument für die apokalyptische Realität. Aber der Frieden jetzt, dämpft er die Bereitschaft Husseins, diese Apokalypse zu entfesseln? Das einzige Zeichen von Hoffnung ist gegenwärtig die Desertion irakischer Piloten. Aber werden sie auch desertieren können, wenn die Waffen schweigen. Und welche Garantie gibt es für Isreal, nachdem sich die PLO mit Haut und Haaren Hussein ausgeliefert hat? Nachdem die Palästinenser bereit sind, sich mit vergasen zu lassen, wenn nur die Juden vergast werden? „Gerade weil wir als Deutsche in Auschwitz schuldig geworden sind, möchten wir alles tun, daß das Giftgas in den Händen Saddam Husseins nie gegen Israel zur Anwendung kommt“, erklärte Bischof Forck in Bonn. Aber „in den Händen“ Husseins soll es bleiben dürfen, das Giftgas? Sollen die Israelis ihr Leben davon abhängig machen, daß wir „alles tun“? Wieviel moralische Stumpfheit ist eigentlich nötig, um mit solchen Garantien umsichzuwerfen?
Tertium non datur
Parteinahme mit dem US-Imperialismus also? Ist Vietnam, ist My-lai vergessen? Nein. Aber wer die Kontinuität des US-Imperialismus beschwört, der sollte die eigene Kontinuität nicht vergessen. Die Antivietnam-Kriegsbewegung war eine Bewegung für Sieg im Volkskrieg, eine Bewegung auch, die es sich ersparte, gegen den Massenmörder Pol Pot auf die Straße zu gehen. Reicht das gute alte Weltbild vom US-Imperialismus aus, jetzt etwas zu klären? Bislang ist die Völkergemeinschaft mitden arabischen Staaten in einer Front. Das gilt auch dann, wenn man unterstellt, daß die USA innerhalb der Allianz andere Kriegsziele, die Unterjochung der gesamten Region im Auge haben. Bislang ist die durch die UNO legitimierte Allianz eine politische Realität und nur der stupide Antiimperialismus kann es rechtfertigen, darüber hinwegzusehen. Das Schreckensszenario eines Krieges der arabischen Nation mit den Industrieländern droht, durch den Krieg sowohl als auch bei einem Waffenstillstand. Es ist eine historische Drohung. Aber bislang, d.h. nach dem Kriegsbeginn, hat sowohl Israel auf den Gegenschlag verzichtet als auch arabische Länder anerkannt, daß Israel seine Existenz verteidigen darf. Eine Spur der Vernunft. Wer jetzt Waffenstillstand fordert, muß zumindest die Wahrscheinlichkeit nachweisen, daß diese kleine Chance sich erhöht oder er muß — um es zu wiederholen — offen erklären, daß es richtiger ist, Saddam Hussein das Erreichen seines Kriegsziels zuzugestehen: die Herrschaft über Kuwait und den — de facto legitimierten — Besitz an Massenvernichtungsmitteln. Tertium non datur, in diesem Falle. Aber es scheint, daß das Kriegsziel der Friedensbewegung hierzulande ist, moralisch sauber zu bleiben. Klaus Hartung
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen