Soziales Netz mit großen Löchern

■ Soziale Lage bleibt gespannt/ Sozialsenatorin erwartet »kritische Umbruchsituation«/ Obdachlose und Flüchtlinge besonders betroffen

Berlin. Wieviel soziale Fürsorge die Stadt in Zukunft tatsächlich leisten kann, konnte auch das gestern von der Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) vorgestellte Arbeitsprogramm nicht enthüllen. Weder zu den Auswirkungen der vom Senat verfügten Haushaltssperre, die in diesem Jahr Einsparungen in Höhe von 46 Millionen Mark im Gesundheits- und Sozialbereich bedeuten, noch zu künftigen Plänen mochte sich die Senatorin verbindlich äußern. In jedem Fall ausgeschlossen sei eine Realisierung der Sperre bei gesetzlichen Leistungsansprüchen wie der Sozialhilfe. Darüber hinaus werde sie die Mittel für die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West »immer wieder einklagen«, lautete der häufig strapazierte Standardsatz der Senatorin.

Man müsse jedoch auch eine Debatte darüber führen, »wie man sozialverträglich sparen kann«. Dennoch wolle sie in ihrem Ressort »möglichst viele Projekte retten«. Dabei sei jedoch zu überprüfen, inwieweit diese notwendig oder nur »Berliner Luxus« seien. Von der Höhe der Gelder, die Bonn für den Ostteil der Stadt bewillige, hinge auch ab, ob diese nach dem Gießkannenprinzip verteilt oder auf bestimmte Einrichtungen konzentriert würden. Ohne solides soziales Fundament jedoch werde in der Umbruchphase der Vereinigung erst gar kein Aufschwung entstehen. Auch auf die Bundesregierung käme ein Verlust an Ansehen im In- und Ausland zu, wenn der soziale Frieden in der Hauptstadt ernsthaft in Gefahr gerate, drohte Stahmer mit Blick auf Bonn.

Bisher stehen für 18 von 40 in Ost- Berlin geplanten Sozialstationen die Mittel bereit. Unterschriftsreif sei auch eine Vereinbarung mit Kassen und Verbänden über die Finanzierung häuslicher Krankenpflege. Drei Millionen stünden bereit, um Arbeitslosen versicherungspflichtige Arbeitsmöglichkeiten zu bieten. Viel schwieriger sei es, den baulichen Nachholbedarf an Einrichtungen in Ost-Berlin zu bewältigen. Bei einer auf 10 Jahre veranschlagten Frist würden dafür jährlich 384 Millionen Mark benötigt. Um diese Summe lockerzumachen, soll laut Stahmer mal wieder der ominöse »Fonds Deutsche Einheit« strapaziert werden.

Eine »kritische Umbruchsituation« im sozialen Bereich könne in dieser Legislaturperiode jedoch nicht ausgeschlossen werden. Dabei verwies die Senatorin explizit auf die unter anderem durch die von Bonn geplante Kostenumlegung auf die Mieten verursachte, zunehmend drohende Obdachlosigkeit. Bei der humanitären Lösung von Flüchtlingsproblemen — in diesem Monat kamen allein 500 jüdische Flüchtlinge nach Berlin, davon seit dem 15. Januar 97 aus Israel — dürfe es keine Berliner Alleingänge, sondern müsse es einvernehmliche Entscheidungen von Bund und Ländern geben. »Wir können nicht unbeschränkt mittellose Menschen in unsere Gesellschaft einbeziehen.«

Die Senatorin bedauerte, daß sie mit der Bildung der Großen Koalition den Bereich Gesundheit abgeben mußte. Als »herben Verlust« bezeichnete sie die damit verbundene Trennung des unter Rot-Grün realisierten Pflegereferats. maz