High-Tech-Krieg als Kolumbus-Ei

Frankreichs Rüstungsindustrie lebt in der besten aller Welten: französische Raketen zerstören französische Flugzeuge/ Schon gestoppte Rüstungsprogramme werden wieder anlaufen  ■ Aus Paris Alexander Smoltczyk

Frohlocken bei Frankreichs Sprengköpfen: „Soeben wird eine neue Abschreckung geboren. Die nötigen Waffen existieren: Cruise Missiles, lasergesteuerte Bomben, Apparate, die sich automatisch nach Radarsignalen ausrichten [...] Um den internationalen terroristischen Gelüsten eines Diktators zu begegnen, ist diese Ausrüstung in Zukunft — die Golfkrise zeigt es — unendlich viel wirksamer als die illusorische Drohung der totalen Vernichtung.“ So jedenfalls Marineoberst Jean-Louis Dufour über den „sauberen Krieg“ am Golf.

Dank der strategischen „Chirurgie“ der alliierten Streitkräfte hoffen Militärs und Rüstungsfirmen auf einen Weg aus der Sackgasse, in die sie durch das Ende des Kalten Krieges geraten waren.

Im vergangenen Jahr waren die großen Rüstungsfirmen wie Dassault an den Rand des Ruins geraten: die Aufträge aus dem Verteidigungsministerium wurden spärlicher, die Kunden aus der Dritten Welt (außer Saddam Hussein) mußten ebenfalls sparen, die Bürger wollten die Notwendigkeit neuer Super-Mirages und ähnlicher Programme nicht mehr einsehen.

Auf einmal ist alles anders. Die TV-Nation ist über die Vorzüge einer „Patriot“-Rakete im Vergleich zu „Scuds“ und „Tomahawks“ bestens ins Bild gesetzt, weiß um die Reichweite von Cruise Missiles und die ballistischen Probleme von Chemie-Geschossen. Ein Krieg, so lernte der aufmerksame Citoyen über Nacht, muß nicht mehr mit Blut und Tränen verbunden sein. Dank der Rüstungstechnologie seien präzise, quasi schmerzfreie Schläge möglich. Und überhaupt verhalte sich der General von heute zu den Kriegern von gestern „wie ein Chirurg zu einem Metzgergesellen“ (Serge July in seiner 'Liberation‘).

Frankreichs Rüstungsfirmen leben in der besten aller Welten: Am Golf werden dieser Tage französische Waffen eingesetzt — um französische Waffen zu zerstören. Lasergesteuerte „AS 30 L“-Raketen (Aerospatiale, Thomson) vernichten Exocet-bestückte „Mirage F1“-Bomber (Aerospatiale, Dassault) oder gleich ganze irakische „AS 30“-Arsenale — und dabei hat der Landkrieg noch nicht einmal begonnen. Dank des „Wüstensturms“ können die Industrien heute einer Fortschreibung ihrer gefährdeten Entwicklungsprogramme sicher sein. So signalisierten es auch die Börsenbewegungen der ersten Kriegswoche: Dassault plus 12,3 Prozent, Matra plus 13,8. „Frankreich könnte es für nötig erachten“, so Oberst Dufour, „ein eigenes Antiraketen-Raketensystem anzuschaffen, dazu ein System, um mit Leichtigkeit, Tausende Kilometer entfernt von Paris einen Staat zu treffen, der beispielsweise ein Terrorattentat auf eines seiner Linienflugzeuge verübt hat.“

Erweist sich der Golfkrieg wirklich als Kriegsform der Zukunft, dann steht ein Rüstungsexporteur wie Frankreich mit einem hochentwickelten und staatsgepäppelten militärtechnologischen Komplex vor rosigen Zeiten. Frankreichs militärtechnologische Avantgarde ist bereits im Einsatz. Der französische Aufklärungssatellit „Spot“ hat stereoskopische Zielbilder geliefert, und selbst die US-Air-Force verwendet die Spezialbomben „Mistral“ und „Durandal“ aus der staatseigenen Rüstungsschmiede Matra. Zehn Staaten sollen bereits „Mistrals“ nachbestellt haben.

Frohlocken auch in anderen Sektoren. So sollte noch vergangenes Frühjahr das gerade entwickelte hubschraubergestützte Radarsystem „Orchidee“, weil mit zwei Milliarden Francs in Friedenszeiten zu teuer, dem Rotstift des Finanzministers zum Opfer fallen. Alles passé: Jetzt blüht der Prototyp der „Orchidee“ in Saudi-Arabien, unverzichtbarer Bestandteil einer alliierten Offensive, weil sie in Echtzeit unstörbare Bilder liefern kann. Ein Wunderwerk im totalen Kommunikationskrieg aus den Laboratorien von Thomson und Dassault Electronique.

Über die technologischen Meriten einer anderen Waffe made in France werden die Generale allerdings bald eher stöhnen, dann nämlich, wenn ihre eigenen Fregatten von den an den Irak gelieferten französischen Exocet-Raketen versenkt werden, wie einst die „Sheffield“ im Malvinen-Krieg. Die Exocet ist nicht mit einem patriotischen Sprengkopf ausgestattet wie die Generäle.