DIE OLYMPIASIEGERIN

■ von Herbert Achternbusch

»Deutschland hat dem Hitler seine ganze Liebe gegeben, jetzt hat es keine mehr. Deutschland ist für Hitler gestorben«, sagt Achternbusch im »Komantschen«. Hitler wird als Popanz hervorgezogen, um das neue »Deutschland« am Golfkrieg zu beteiligen. Dann wird er schnell wieder weggesteckt nicht ohne zuvor noch versichert zu haben, daß »von einer Singularität der nationalsozialistischen Vernichtungsmaßnahmen« schon deshalb die Rede sein dürfe und müsse, »weil die Ausrottung relativ kleiner und für fremd erklärter Gruppen einen abstoßenderen Charakter trägt als die quantitativ umfassendere sowjetische Klassenliquidierung.« (Ernst Nolte, FAZ vom 24.1.)

Achternbusch ist von Hitler besessen. Wenn er Deutschland sagt, denkt er Hitlerdeutschland. Starrsinnig beharrt er auf Hitler. Vielleicht ist das in einer Zeit, in der Name nur noch bemüht wird, um die Vergangenheit zu vergessen, in der 6 Millionen vergaster Juden dazu benützt werden, eine militärische »Normalisierung« zu legitimieren, besonders wichtig. Wie der böse Wolf erzählt Adi einem Polizisten: »Ich war der letzte Getreue vom Führer ... Hanselmeier, sagte er, ich kann nicht mehr.« Eine endlose Schlange von Häftlingen zieht vorbei. In einer anderen Szene fragt Adi einen Jockey: »Wie hießt dein Pferd?« »Hitler.« »Hitler? Auf den habe ich schon einmal gesetzt und verloren. Das war Sabotage. Aber wir haben noch einmal Dusel gehabt. Diesmal wird Hitler gewinnen.« Was man im Erschrecken dabei denkt, ist vielleicht gar nicht so entscheidend; daß man denkt, ist wichtig.

»Achternbusch ist der Klassiker des antikolonialistischen Befreiungskampfes auf dem Territorium der BRD«, schreibt Heiner Müller. In der »Olympiasiegerin« heißt es: »Welt ist ein imperialer Begriff. Früher ist hier Bayern gewesen. Jetzt herrscht hier die Welt ... Bayern ist eine Kolonie von der Welt.« Gegen die Großkultur setzt Achternbusch die Lokalkultur, die regionale Geschichtsschreibung. Die DDR ist inzwischen auch eine Kolonie der westlichen Welt. So ist es nur logisch, daß die Off-Kinos der FNL vermehrt Achternbusch-Filme zeigen.

Die Geschichte der »Olympiasiegerin« nachzuerzählen ist wie bei allen Achternbuschfilmen fast unmöglich: Der Filmer geht zurück bis zu seinem Geburtstag, 1938, um neu geboren zu werden. Er irrt durch München und sucht sich seine Eltern selbst aus, wählt den trinkenden Zahnarzt Adi zum Vater, die verhinderte Olympiateilnehmerin Ilona, »die schönste Frau der Welt«, zur Mutter. Achternbusch spielt Vater, Kind und manchmal auch die Mutter. »Die vertrackte und verspielte, an Stimmungswechseln reiche Selbstreflexion eines empfindsamen Provokateurs«, sagt das katholische Filmlexikon.

Wenn man zurückgeht, läuft der Countdown anders herum. Am Ende des Films steht steht der Anfang. Dazwischen sieht man viele Wecker. »Was ist grün und stinkt - Die Polizei.«

Es gibt keine Geschichte mehr. »Denn nichts schreit mehr nach Gestaltung. Die Hochhäuser nicht: Sprengt uns! Denn in allem ist schon der Krieg drin! Das ist der Druck der Zerstörung, dem das Gesetz der Unterbrechung weichen mußte. Verflucht mit mir die normalen Wünsche! Aber das Buch ist einer roten Damenunterhose gewidmet. Ausziehen, denn das Werden kennt keine Sicherheit.« (Vorwort zur »Olympiasiegerin«). In der Unsicherheit dominiert die unkontrolliert-kontrollierte Rede (»jede Form ist abnorm«) seiner ProtagonistInnen, eine Art Kopfentleerung, die das nach außen stülpt, was zuvor innen war, die aber auch wieder unterbrochen wird, durch Leitmotive, durch strenge Bilder, durch Kunstfertigkeiten, die manchmal nur am Rande der Unschärfe und im Hintergrund stattfinden. Wie ein alter Kirchenbaumeister, der die größte Sorgfalt noch an Skulpturen verschwendet, die irgendwo versteckt im Schatten liegen und nur gottgefällig sind, baut Achternbusch manche Bilder auf. Während er zum Beispiel mit einem Polizisten redet, läuft ganz oben im Hintergrund das Ziffernblatt einer Uhr aus. »Zum Schluß ist's ein schwarzes Loch, und vorher war's glaub ich, viertel nach zwölf«, erklärt der Filmer im Interview. dk

20.00 Uhr im »fsk«