Neue Ermittlungen wegen Ramstein

■ Nach taz-Bericht: Deutsche und italienische Stellen suchen nach möglichen Zusammenhängen zwischen Ramstein-Unglück von 1988 und dem mutmaßlichen Abschuß einer Linienmaschine 1980

Rom/Mainz (taz) — Die Mitarbeiter des italienischen Staatsanwalts Priore, an sich eingesetzt für die Aufklärung des mutmaßlichen Abschusses einer DC-9-Linienmaschine über der Mittelmeerinsel Ustica (81 Tote) im Juni 1980, haben derzeit eine zusätzliche Aufgabe zu bewältigen: Sie suchen den gerichtlichen Abschlußbericht über den Zusammenstoß mehrerer Flugzeuge der italienischen Kunstflugstaffel „Frecce tricolore“ während einer Flugvorführung in Ramstein am 27. August 1988: 49 Menschen starben damals an Ort und Stelle, weitere 21 in den Wochen danach an den Folgen, mehr als 400 Menschen wurden schwer verletzt.

Hinter dem Report sind auch der linksunabhängige Abgeordnete Sergio Di Julio und der grüne Senator Marco Boato her, Mitglieder der Parlamentskommission zur Aufklärung der Attentate und des Terrorismus in Italien (Commissione stragi). Und sehen möchte ihn, „nachdrücklich“, auch der für Ramstein zuständige Zweibrücker Staatsanwalt Norbert Dexheimer.

Auslöser der Suchaktion war eine taz-Recherche vom vergangenen Freitag, in der erstmals massive Zweifel an der sofort ausgegebenen Version eines reinen Pilotenfehlers formuliert wurden. Wie sich herausgestellt hat, waren zwei der zu Tode gekommenen „Frecce“-Mitglieder wenige Tage vor dem Unglück ins Visier der Ermittler in Sachen Ustica-Absturz 1980 gekommen: Am 14.August 1988 beschlagnahmte Fluglisten weisen sie als Piloten aus, die 1980, zusammen mit anderen, wenige Minuten vor dem Ustica-Desaster in derselben Zone wie die DC-9 geflogen waren. Da es im Umfeld dieser Katastrophe bereits zahlreiche Vernebelungsversuche gab (siehe taz vom 25. 1. 1991) und mittlerweile auch mehrere Todesfälle wertvoller Zeugen untersucht werden, ist nicht mehr auszuschließen, daß der „Frecce“-Zusammenstoß die Folge eines Attentats war — möglicherweise eine Manipulation, deren Wirkung auf den Überführungsflug von oder nach Italien berechnet war.

Daß deutsche Behörden, um der Sache nachzugehen, regelrecht bei den Italienern betteln müssen, hat seinen Grund im Nato-Truppenstatut (Nato-TS). Anders als bei Straftaten von Zivilisten, gilt bei Militärpersonen nicht das „Tatort“- sondern das „Entsenderort“-Prinzip: Artikel VII, Abs. 3a (ii) räumt dem Entsenderstaat das „Vorrecht der Gerichtsbarkeit“ ein, falls „strafbare Handlungen“ vorliegen, „die sich aus einer Handlung oder Unterlassung in Ausübung des Dienstes ergeben“.

Nach dem Ramstein-Desaster gab es insgesamt vier getrennte Verfahren: 1. das „Todesermittlungsverfahren“ wegen der möglichen Verantwortlichkeit ziviler deutscher Stellen; 2. Verfolgung einer Strafanzeige gegen den damaligen Bonner Verteidigungsminister Scholz wegen möglicherweise mangelnder Sicherheitsvorkehrungen; 3. gegen den gastgebenden US-Kommandanten von Ramstein, Brigadegeneral Boese; 4. gegen die unglücksverursachende Staffel „Frecce tricolore“.

Sowohl die USA als auch Italien machten von ihrem Nato-Vorrecht Gebrauch. Die amerikanischen Dienststellen informierten nach Abschluß ihres Verfahrens die deutschen Kollegen von ihrem Ergebnis: keine Verantwortlichkeit amerikanischer Staatsbürger. Die Italiener schwiegen sich aus — bis heute. Ihr Luftwaffenattaché in Bonn, Brigadegeneral Attilio Piana, der am 22.September 1988 mitgeteilt hatte, Italien werde von seinem Nato-Recht Gebrauch machen, bestätigte am 21.Oktober 1988 den Empfang der Ermittlungsakten: „Ich wäre Ihnen dankbar“, schrieb der damalige Zweibrücker Behördenchef Sattler, „wenn Sie mich über den Ausgang des Verfahrens bei den italienischen Behörden unterrichten würden.“ Höflich versprach Piana, der Bitte nachzukommen, doch ein Abschlußbericht ist bis heute nicht eingelaufen. Die deutschen Ermittler getrauten sich allerdings auch nicht, nachzufragen — „das könnte von Italien als unhöflich angesehen werden“. Seit der taz-Veröffentlichung ist das anders: Nun erscheint der Staatsanwaltschaft auch ein Gespräch ihres Chefs mit dem US-Verbindungsmann zur US-Airbase Ramstein, Motz, in anderem Licht: „Aufgrund eines Gesprächs mit Herrn Motz“, so ein Akentvermerk vom 2. Februar 1990, „ist mit einer Nachricht der italienischen Militärbehörden in dieser Sache nicht zu rechnen.“

Die italienische Botschaft reagiert derzeit gereizt auf Nachfragen. Presseattaché Marco Marsili weist jeden Verdacht auf einen Zusammenhang von Ramstein mit Ustica von sich; Auf die Frage, ob eine Manipulation etwa der Geräte in den Frecce-Flugzeugen möglich sei, gibt aber auch der von ihm zitierte „internationale“ technische Bericht keine Antwort. US-Sprecher Douglas Moore von der Airbase Ramstein gibt sich ebenfalls sicher: „Es gibt keinen Zweifel, daß Ramstein ein Unfall war“, sagt er, und er sagt es gleich zweimal hintereinander, mit besonderer Betonung. Der Vorfall sei „gründlich untersucht worden“: „Einer der Piloten hat eine Fehlkalkulation gemacht.“ Könnte die auf manipulierte Geräte zurückzuführen sein? „Nein, menschlicher Irrtum.“ So jedenfalls habe es die italienisch-deutsch-amerikanische Expertenkommission festgestellt. Eine unabhängige Kommission? Moore räumt geradeheraus ein: „Keine Untersuchung wird von unabhängigen Leuten durchgeführt, wenn Militärmaschinen darin verwickelt sind.“

Die Mainzer Landesregierung, von der taz befragt, fühlt sich — die Grünen stellen bereits unbequeme Fragen im Parlament — offenbar zwar sehr unbehaglich, aber vor allem „nicht zuständig“. So zumindest sucht sich Jürgen Dietzen, Pressesprecher von Innenminister Rudi Geil (CDU), aus der Affäre zu ziehen. Dietzen reduziert die Kompetenz seines Hauses auf „Rettungseinsätze und Entschädigungen“. Ansonsten versteckt er sich hinter dem Nato-Statut: „Wir Rheinland-Pfälzer haben da nicht zu untersuchen.“ Staatsanwalt Dexheimer ist da anderer Ansicht: Nachdrücklich hat er vergangenen Mittwoch den Abschlußbericht von den Italienern angefordert. „Wollen doch zumindest sehen“, sagte er zur taz, „ob die eventuell zu einem anderen Ergebnis gekommen sind als die Militärkommission.“ Er wird sich noch eine Weile gedulden müssen, auch wenn die Parlamentarier der „Commissione stragi“ mittlerweile versprochen haben, für die Aufhebung aller Geheimhaltungsstempel zu sorgen: Bis Donnerstag ist es den Zuarbeitern der italienischen Ustica-Ermittler noch nicht gelungen, herauszufinden, wer da wann und wo die Sache zu Ende bearbeitet hat — und ob dies überhaupt jemals in juristisch vertretbarer Form geschehen ist. Werner Raith/

Joachim Weidemann