Zwölf Jahre Haft für RAF- Aussteiger

■ Münchener Richter: Verurteilter Lotze „kein klassischer Kronzeuge“/ BAW legt Revision ein

München (taz) — Gegen eine seltene Einheitsfront aus Bundesanwaltschaft (BAW) und Verteidigung hat das Bayerische Oberste Landesgericht den RAF-Aussteiger Werner Lotze gestern zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Damit gingen die Münchener Richter unter ihrem Vorsitzenden Brießmann noch drei Jahre über die Forderung der Anklagebehörde hinaus. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe legte daraufhin umgehend Revision gegen das Urteil ein. Erstmals in einem RAF-Prozeß ruft die Anklagebehörde damit zugunsten eines Angeklagten die nächste Instanz an. Das Gericht verurteilte den geständigen Lotze wegen Mordes, vierfachen Mordversuches sowie schwerer räuberischer Erpressung. Ohne Anwendung der Kronzeugenregelung, erklärte der Vorsitzende, hätte der im Juni 1990 in der damaligen DDR festgenommene Lotze mit zweimal „lebenslänglich“ und einer mindestens 18jährigen Haftstrafe rechnen müssen. Daß Lotze vor seiner Festnahme zehn Jahre lang mit seiner Familie in der DDR gelebt hatte, wurde ihm zum Verhängnis. Nach so langer Zeit könne er kein „klassischer Kronzeuge“ sein, sagte Brießmann. Maßstab für die Anwendung der Regelung sei die feststellbare Bedeutung der Aussagen für die Verhinderung von Straftaten oder die Festnahme von Mittätern. Einer „historisch interessanten“ Aufklärung, wie sie Lotze geliefert habe, komme weniger Gewicht zu. Außerdem sei es nicht Aufgabe des Gerichts, „Gnade walten zu lassen, sondern Recht zu sprechen“. Lotzes Anwalt Hoffmann sagte, es sei die „Chance für ein Signal vergeben“. Der Präsident des Bundeskriminalamts, Zachert, erklärte gegenüber der taz, unter „rechtspolitischen Gesichtspunkten“ wäre ihm ein milderes Urteil lieber gewesen. SEITEN 7 UND 10