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„Sollen wir den Kontrollbeamten auch noch durchfüttern?“

EG-Kommissar MacSharrys Vorschläge für eine neue Agrarpolitik stoßen auf wenig Gegenliebe/ Wer zahlt die Einkommenseinbußen der Landwirte?  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

Bauer Janssen schmaucht vergnügt an seiner Bernsteinpfeife. Er hat Feierabend — seinen BesucherInnen zuliebe. Denn eigentlich ist „Feierabend ein Fremdwort bei uns“, betont seine Frau Erika. Trotz all der Maschinen, die auf dem Hof herumstehen? „Tja, die braucht man schon“, sagt Janssen, „sonst wär' die Arbeit hier überhaupt nicht zu schaffen“.

Lohnen sich die Ausgaben für den Fuhrpark wenigstens? „Tja, das ist so 'ne Sache...“ Dem zögernden Bauer kommt seine Frau zu Hilfe: „Also, verhungern tun wir nicht.“ Sie macht die Buchhaltung und kennt die Finanzlage des kleines Hofes im Niedersächsischen. „Wir kommen so hin“, brummt der Landmann. Trotz all der Subventionen, die die EG und die Bundesregierung an die Landwirte verteilen? „Da haben wir doch nix von“, sagt er plötzlich laut und derb und vergißt gleich, an seiner Pfeife zu ziehen. „Die in Bonn und Brüssel helfen sich doch gegenseitig beim Bauernlegen!“ Allein in ihrem Dorf hätten in den letzten Jahren acht Bauern aufgegeben. Die restlichen zwölf bestellen jetzt auch deren Äcker und Wiesen. „Aber so kann das doch nicht weitergehen“, schimpft Janssen, „zum Schluß gibt es nur noch Agrarfabriken“.

In der Tat: Den bäuerlichen Kleinbetrieben, die Bundeslandwirtschaftsminister Ignaz Kiechle und seinen Kollegen im EG-Ministerrat angeblich so am Herzen liegen, geht es gemeinschaftsweit an den Kragen. Zur Zeit gibt es noch etwa elf Millionen Betriebe in der EG, doch jedes Jahr machen rund 250.000 dicht. Seit dem Zweiten Weltkrieg sind allein in der Bundesrepublik über eine Million Höfe mit einer landwirtschaftlichen Nutzungsfläche bis zu 20 Hektar eingegangen. Die Zahl der Großbetriebe ab 50 Hektar hat sich im selben Zeitraum hingegen fast verdreifacht. Trotz gegenteiliger Rhetorik war diese Entwicklung jahrzehntelang Ziel bundesdeutscher wie auch europäischer Agrarpolitik.

Die Landwirtschaft ist der größte Tierquäler

Resultat dieses Größenwahns: Die EG ist größter Agrarexporteur auf dem Weltmarkt, und von den Einzelstaaten liegt das Industrieland Bundesrepublik hinter den USA, Frankreich und den Niederlanden auf Platz vier der Exportrangliste. Der unschöne Nebeneffekt: Die Landwirtschaft ist zum größten Umweltverschmutzer und Tierquäler noch vor Industrie und den KonsumentInnen aufgestiegen. Die verzweifelten VerbraucherInnen fragen sich außerdem, was sie denn noch essen sollen, wo doch die Lebensmittel vor Chemikalien strotzen.

Denn um den Weltmeistertitel zu ergattern, mußte ordentlich gedopt werden. Daß sich die Bauern die Düngemittel und Pestizide der chemischen Industrie auch leisten können, dafür sorgen neben verschiedenen staatlichen Beihilfen die EG- Subventionen. Fast 70 Mrd. DM oder rund 60 Prozent des EG-Haushalts machen die Brüsseler Eurokraten jedes Jahr locker, um den Spitzenplatz gegen die Konkurrenz in den USA, Australien und der Dritten Welt zu verteidigen.

Schließlich sollen die von den EG- Bauern produzierten Weinseen, Fleischberge und Getreidehalden auch versilbert werden. Da die angehäuften Mengen den Eigenbedarf jedoch bei weitem übersteigen, werden die Produkte „made in the EEC“ auf den Weltmärkten zu Schleuderpreisen verscherbelt. Den Preisunterschied von zusammen 20 Milliarden DM pro Jahr übernimmt großzügig die Brüsseler Kasse.

Daß mit solchermaßen konkurrenzfähig gemachten Gütern Märkte in traditionellen Agrarländern wie Argentinien zerstört werden, dämmert den EG-Agrariern erst, seitdem ihnen die vereinigte Front der Welthändler bei den Gatt-Verhandlungen Ende letzten Jahres auf die Zehen stieg. Ungehalten sind die Gatt-Manager auch über die von den Eurokraten verhängten Importzölle, mit denen die Preise der eingeführten Waren auf das in der EG übliche Preisniveau angehoben werden.

In diesem Jahr noch mehr Überschüsse

Doch nicht das endgültige Aus der „GATTastrophe“, wie Umweltschützer die zur Zeit in Genf wieder anlaufenden Gatt-Verhandlungen nennen, beunruhigt die Kommissare. Vielmehr bereitet ihnen die auch für dieses Jahr prognostizierte Zunahme der Überschüsse Kopfschmerzen. Weil diese das Budget über alle Maßen belasten, bastelt EG-Agrarkommissar Ray MacSharry nun schon seit Wochen an einem Reformplan für die berüchtigte „gemeinsame Agrarpolitik der EG“. Um noch rechtzeitig vor dem EG-Agrarministerratstreffen Anfang nächster Woche mit einem Vorschlag aufwarten zu können, legten die 17 Kommissare, die ihre Entscheidungen im Kollektiv fällen, Donnerstag abend sogar noch eine Sonderschicht ein.

Zwar gibt es bereits seit 1988 den Versuch, die Agrarpolitik zu reformieren. Doch bislang scheiterte dieses Vorhaben am Widerstand der Agro-Lobby, einer überaus mächtigen Allianz von Großbauern, Chemie- und Maschinenfirmen sowie Lebensmittelmultis. Als Kompromiß wurden damals automatische Preiskürzungspolitiken und Flächenstillegungsprogramme ausgehandelt.

Die aber führten nur dazu, daß auf den verringerten Flächen mit noch mehr Chemieeinsatz noch größere Überschüsse produziert wurden — ein einträgliches Geschäft für die Agro-Lobby. Schließlich ist die EG verpflichtet, die dank überhöhter Preise angeregte Überproduktion zu festgesetzten Garantiepreisen abzunehmen. Resultat dieser Politik: Nur eine Minderheit von Bauern profitiert von den Subventionen. Zu 80 Prozent fließen sie statt dessen in die Taschen der Großbauern, der Besitzer der Lagerhallen und der Exportfirmen, die die Produkte weltweit losschlagen.

Zaubermittel mit kleinem Haken

Daß dank der EG-Agrarpolitik nicht in, sondern an der Landwirtschaft verdient wird, sei ein Skandal. Dies, so verspricht der Kommissar mit dem irischen Akzent, soll jetzt anders werden. Er will eine umweltschonende Produktion fördern, die Überschüsse abbauen, Exportsubventionen einsparen und dem Bauernsterben Einhalt gebieten. Drastische Preissenkungen bis zu 50 Prozent einerseits und direkte Einkommensbeihilfen andererseits sind die Zaubermittel. Letztere sollen vor allem den kleinen Bauern zugute kommen.

Der Haken an dem Programm: Es würde den EG-Haushalt noch stärker als bisher belasten. Wohlwissend, daß er damit Hochexplosives angemischt hatte, setzte MacSharry seinen Vorschlag bereits letzte Woche in Umlauf, noch bevor die Kommissare Gelegenheit hatten, eine gemeinsame Position dazu zu entwickeln. Entsprechend brüsk waren die Reaktionen: Seine Kommissarskollegen Andriessen aus Holland, Brittan aus Großbritannien und Christophersen aus Dänemark lehnten ab. Schützenhilfe erhielten sie auch von dem vorgeblichen Kleinbauernfan Kiechle. Der Allgäuer macht sich ohnehin seit der deutschen Einheit für die gigantischen Agrarfabriken in der ehemaligen DDR stark.

Die Reaktion der vier Kommissare ist durchaus nicht uneigennützig: In ihren Ländern und Regionen konzentriert sich die Masse der EG- Großbetriebe. Wohl deswegen hatte Andriessen ih einem Brief an MacSharry „ernsthafte Bedenken an einigen der vorgegebenen Ziele (möglichst viele Höfe)“ angemeldet. Einleuchten wollte ihm auch nicht, daß MacSharry der in Irland dominanten Fleischindustrie beträchtlich mehr Produktionsbeihilfen zukommen lassen möchte.

Außerdem würde der Reformplan seiner Meinung nach eine „riesige Bürokratie nötig machen“. Doch Andriessens Hauptargument waren die zusätzlichen 12 bis 16 Milliarden DM, die das Projekt kosten könnte. Weil die Agrarminister ähnliche Reaktionen ankündigten, schlug MacSharry nun Donnerstag abend einen Kompromiß vor. Es sollen die 1984 eingeführte Milchquoten und der Interventionspreis für Butter reduziert werden. Das gleiche soll mit dem Interventionspreis für Rindfleisch passieren, obwohl der damit nur an den bereits bestehenden Marktpreis angepaßt wird. Außerdem wird der Getreidepreis drastisch gesenkt. Im Ausgleich dafür soll den kleineren Höfen das Mindereinkommen erstattet werden.

„Ohne Zahlen kann man nicht diskutieren“

Ob in voller Höhe, wie es MacSharry vorschlug, steht ebensowenig fest wie die Höhe der Ausgleichszahlungen für die Großbetriebe und die Preiskürzungen im einzelnen. Auf jeden Fall will man an den von Kiechle unermüdlich propagierten Flächenstillegungsprogrammen, die von den meisten Bauern abgelehnt werden, festhalten. Zusammen mit der EG plant das Bundeslandwirtschaftsministerium nun aber, die „stillgelegten“ Flächen für die — äußerst umstrittene — Produktion nachwachsender Rohstoffe einzusetzen. Konkrete Zahlen wollte man gestern in der Kommission noch nicht nennen, sie sollen in den nächsten Wochen nachgeschoben werden. Erst einmal wartet man auf die Reaktion im Rat. Kiechle hatte diese jedoch letzten Montag schon vorweggenommen: „Ohne Zahlen kann über den Vorschlag doch gar nicht ernsthaft diskutieren“.

Dies sieht auch Bauer Janssen so. Punkt sechs, wie stets, steht das Abendessen auf dem Tisch. „Diese ewigen Diskussionen“ — kopfschüttelnd schlürft er seine Suppe. „Reform der EG-Agrarpolitik? Daß ich nicht lache! Da kommt doch nix raus.“ Und seine Frau bringt ihren Ärger fremdwortgewandt auf den Punkt: „Der Agrardirigimus trickst sich nur wieder einmal selber aus.“ Doch der Vorschlag, die Bauern für eine umweltschonendere Produktion zu bezahlen? Auch darauf hat sie eine Antwort parat: „Das läuft doch auf einen Kontrollbeamten pro Bauern hinaus, den wir dann auch noch durchfüttern müssen.“

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