Der neue „Boche“

■ Von Zinsen und Zinseszinsen und anderen Widerwärtigkeiten

Kann uns ja eigentlich egal sein. Jetzt, wo wir eins sind und nicht mehr nach Pendants suchen müssen wie ein halbes Huhn. Sollen die anderen ruhig reden. Da hat die Bundesbank also den Zins erhöht, um einen halben Punkt. Weil die Mark das Mark des Deutschen ist, sein Sollen, Sein und Streben, und deswegen stabil bleiben muß. Koste es, was es wolle. Und notfalls gegen den Rest der Welt. Karl-Otto Pöhl hatte sich neulich in New York bei dem Treffen der sieben Reichen noch einsichtig erklärt und versprochen alles zu tun, um den Preis des Geldes weltweit niedrig zu halten, damit es zu keiner Hochzinsrezession komme, wie Anfang der Achtziger. War natürlich nur ein Scherz von Karl-Otto. Denn die Bundesbank läßt sich von niemandem was vorschreiben. Von niemandem! Außer, wenn der deutsche Kanzler seine voreilige Währungsunion haben will.

Erstaunlicherweise fanden „unsere Freunde“ den Alleingang der Bundesbanker gar nicht witzig, zumal weder Waigel noch Pöhl es für nötig erachteten, ihre europäischen Kollegen vorzuwarnen. Frankreich, die USA und seit neuestem auch Großbritannien versuchen, ihre Zinsen niedrig zu halten, um den rezessiven Effekten des Krieges entgegenzusteuern. Da sträubt sich am Wochenende selbst der bedächtigen 'Le Monde‘ die Feder. Sie zögert nicht, vom „deutschen monetären Isolationismus“ zu schreiben und schließt resigniert: „Es steht fest, daß Deutschland sich zuallererst für Deutschland interessiert.“ Deutschland, Deutschland über allem, über Europa sowieso.

Dem Pfälzer kann das natürlich alles egal sein. Auch wenn es überall plötzlich heißt: „Le Boche nouveau est arrivé“ — und das nicht nur an Pariser Bistrotresen. Denn der Zins-Teutonismus ist kein isoliertes Phänomen. Dank Rhema-Labortechnik sind „Gaskammer“ und „Zyklon B“ wieder gebräuchliche Termini geworden, wenn es gilt, bundesdeutsche Aktualität zu beschreiben. Die französische Presse hat ausführlich über diese schlüsselfertige Obszönität berichtet. Daß Frankreich selbst auch Waffen an den Irak geliefert hat, ist kein Gegenargument. Eine französische Mirage ist nun mal keine deutsche Gaskammer. Seither wird anders wahrgenommen, was sich in der Bundesrepublik regt. Die Friedensbewegung zum Beispiel. Für französische Beobachter hat sie, kaum geboren, ihre Unschuld schon verloren.

Ein gewisser Ton ist derzeit zu hören, in Leitartikeln und Gesprächen, ein Ton, auf den geachtet werden muß. Da erscheint ein Phantombild: der neue Boche, der sich mit seiner Mark vom Krieg freikauft und auf beiden Seiten mitverdient, ansonsten aber munter die eigenen deutsch-deutschen Wege geht und seine Kids den anderen moralisch etwas vorschreiben läßt ... Aber all das kann uns, wie gesagt, eigentlich egal sein. Hauptsache: der häßliche Deutsche ist wieder wer. Alexander Smoltczyk, Paris