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Bundeswehr soll auf UN-Friedensmission

■ In Sachen Nato-„Bündnisfall“ erwägt die SPD sogar, vors Bundesverfassungsgericht zu gehen

Einheiten der Bundeswehr sollen sich in Kürze an Friedensmissionen der UNO beteiligen dürfen. Bundesjustizminister Klaus Kinkel (FDP) befürwortete am Wochenende ebenso wie Außenamtschef Hans- Dietrich Genscher (FDP) eine schnelle Änderung des Grundgesetzes, um der Bundeswehr die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen zu verschaffen. „Die Ereignisse am Golf zeigen“, so Kinkel, „daß wir uns sehr rasch zu einer Grundgesetzänderung entschließen müssen.“ Ein entsprechender Entwurf soll noch vor der Sommerpause dem Bundestag zur Beratung vorgelegt werden. Kinkel rechnet dabei auch mit der Zustimmung der SPD.

Verschärft hat sich der Streit um ein mögliches Eingreifen der Bundeswehr in der Türkei im Rahmen des sogenannten „Bündnisfalles“. Die SPD forderte die Bundesregierung erneut auf, das Parlament über den Bundeswehreinsatz entscheiden zu lassen, falls die Türkei vom Irak angegriffen werde. Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Herta Däubler-Gmelin erklärte in Bonn, es sei ausschließlich die Sache der Volksvertretung, „über Krieg und Frieden zu entscheiden“. Sie bekräftigte nochmals die Absicht ihrer Fraktion, notfalls beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu klagen.

Führende Verfassungsrechtler haben die Erfolgsaussichten einer solchen Klage mittlerweile sehr unterschiedlich eingeschätzt. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Benda, stellte sich hinter den Standpunkt der Bundesregierung, wonach das Parlament bei einer Ausrufung des Bündnisfalles nicht zustimmen müsse. Er warnte davor, Bündnis- und Verteidigungsfall zu vermischen. Die Mitwirkung des Bundestags mit Zweidrittelmehrheit sei nur im Verteidigungsfall nach Artikel 115 a des Grundgesetzes notwendig.

Unter Berufung auf die gleichen Grundgesetzvorschriften kommt der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht, Helmut Simon, aber zum gegenteiligen Ergebnis. Für einen Klageerfolg der SPD spreche „sehr viel“. Die gesamte Karlsruher Rechtsprechung zeige, daß wesentliche Entscheidungen vom Parlament verantwortet werden müssen: „Und eine wesentlichere Entscheidung als eine Verwicklung in einen Krieg kann es gar nicht geben.“ Der Nato- Vertrag sehe darüber hinaus keinen automatisch eintretenden Bündnisfall vor „und insbesondere keine Pflicht zum automatischen militärischen Beistand“. Der innerstaatliche Entscheidungsweg sei zwar „nicht eindeutig“ im Grundgesetz festgelegt. Aber über den Artikel 24 GG lasse sich ableiten, daß ein Einsatz der Bundeswehr im Bündnisfall möglich ist. Und „wenn die Türkei angegriffen wird, tritt der Bündnisfall ein“, meinte Simon. Die Entscheidung über den Bundeswehreinsatz könne dann aber nur der Bundestag treffen. Einen Kurswechsel leitete am Wochenende auch der FDP- Vorsitzende ein. Otto Graf Lambsdorff erklärte, er habe seinen Standpunkt in der Frage, wann Deutschland der Türkei als Nato-Partner militärisch beistehen müsse, geändert. Der Bündnisfall trete nicht nur beim Angriff von irakischen Bodentruppen ein, sondern auch, wenn Bagdad mit Raketen die Türkei angreife. Man könne nicht nach Raketen und Bodentruppen differenzieren, sagte er und wies darauf hin, daß die US- Militärflughäfen in Frankfurt, Wiesbaden und Ramstein von essentieller Bedeutung für die Luftkriegführung der Amerikaner im Golfkrieg seien. Wolfgang Gast

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