: Gerhart Hauptmann — ein Dichterfürst für alle Anlässe
■ Das Erbe von Gerhart Hauptmann in Erkner: Ein gesamtdeutsches Museum — made in DDR — für ein garantiert ideologiefreies Nationalheiligtum
Erkner. Hunderte von Enten und ein paar Schwäne schwimmen zwischen dicken Eisschollen auf Dämeritzsee und Flakensee herum. Darüber bricht sich gleißend hell das Licht der Wintersonne. An manchen Stellen ist die Eisdecke geschlossen. Aber sie trägt nicht. So ein eisig kalter Wintertag muß es in Erkner auch 1887 gewesen sein, als der Schiffbaumeister Zieb mit Ehefrau und zweijährigem Kind eine Schlittenfahrt über den See unternahm und einbrach.
»Die Hilferufe waren markerschütternd«, notierte unter der Überschrift »Provinzielles« das 'Fürstenwalder Tageblatt‘ am 14. Februar 1887, »doch kam die Hilfe zu spät und konnte man den braven und sonst hier angesehenen Mann mit Frau und Kind nur als Leichen dem nassen Element entreißen.« Ganz Erkner geriet über diese Tragödie in »große Aufregung und Trauer«. Den ortsansässigen, noch wenig bekannten Dichter Gerhart Hauptmann inspirierte das Unglück zur Frühnovelle Fasching.
Blut im Hustenauswurf brachte Hauptmann (1862-1946) 1885 in die idyllisch gelegene Gemeinde am Stadtrand von Berlin. Eine lebensbedrohliche TBC sollte in der guten Landluft auskuriert werden. Heutzutage wäre dies ein zweifelhaftes Unterfangen. Wenn man von der Endstation der S-Bahn über die Karl- Marx-(Haupt-)Straße zur Villa Lassen, dem Gerhart-Hauptmann-Museum geht, wünscht man sich ob der Kohleheizungen und Trabi-Ausdünstungen eine Sauerstofflasche. Im Winter stinkt Erkner.
Doch dem Dichter bekam der Aufenthalt. Im Parterre der Villa Lassen mietete sich der 23jährige mit Ehefrau Marie ein, blieb vier Jahre, zeugte drei Söhne, schuf zwei Novellen (Bahnwärter Thiel) und das Drama Vor Sonnenaufgang — und lernte in der dörflichen Enge die Originalfiguren seines späteren Welterfolges Der Bibelpelz kennen: Mutter Wulffen war eine Erkneranerin.
Die Villa Lassen hat im Gegensatz zu halb Erkner den Krieg überstanden. Nach Jahrzehnten als Kneipe, Ersatzschule und mit anderen Nutzungsarten wurde sie 1987 — mittlerweile umgeben von schaurigen Plattenwohnblocks — zum Gerhart- Hauptmann-Museum nebst Originalwohnräumen, Gedenk- und Forschungsstätte. Ein Anbau beherbergt nun jenen Teil des Hauptmannschen Erbes, der in der DDR geblieben war. Präsentiert werden in fast menschenleeren Räumen die Zeugnisse eines Klassikerlebens in angenehmer Atmosphäre, chronologisch am Werk orientiert — und mit unverhohlener Bewunderung für Hauptmann. Vor allem aber vornehm unpolitisch...
Eine Dichterehrung, die so ähnlich auch in sämtlichen anderen deutschen Staatsgebilden vom Kaiserreich bis zur neuen Republik hätte stattfinden können. Denn an dem letzten großen Dichterfürsten im operettenhaften Sinne kam nie einer vorbei. Kaiser Wilhelm nicht, dessen Reich der lebende Klassiker 1912 mit einem der ersten Nobelpreise zu mehr Glanz verhalf, Lenin nicht und die Weimarer nicht, deren Bildungsbürgertum den Überdichter als deutsches Nationalheiligtum verehrten. Und auch die Nazis nicht: Wie ein Schulbub muß sich der Bildungsbürger Goebbels gewunden haben, als mitten im Weltkrieg 1942 der 80. Geburtstag anstand — ein Datum, das man, so der Propagandaminister in einem Brief an Reichskulturchef Rosenberg, »im Hinblick auf das europäische Ansehen nicht übergehen kann«. Goebbels Notlösung: Pro deutscher Bühne »nicht mehr als eine Neuinszenierung eines seiner Werke«. Auch die Sowjets kamen nicht an Hauptmann vorbei: Quer durchs zerbombte Reich durften die sterblichen Überreste des Dichters nebst Bibliothek, Schriften und Sammlungen in einem eigens zusammengestellten Sonderzug vom schlesischen Agnetendorf (heute: Jagniatków) nach Berlin reisen. Und die noch gar nicht gegründete DDR nahm das Erbe bildungsbeflissen sofort an: Wilhelm Pieck sprach 1946 bei der Beisetzung auf der Insel Hiddensee — Hauptmanns Sommerresidenz — den Abschiedsgruß und gelobte untertänigst die »Verpflichtungen zur Verbreitung seines Werkes«.
Gerhart Hauptmann hat es allen leicht gemacht. Sowohl jenen Bösen, die in ihm den großbürgerlichen, selbstherrlichen Dichterfürsten mit ausgeprägtem Opportunismus und bräunlichen Flecken sehen wollen, als auch jene Hauptmannianer, die ihr Monumentalgemälde vom hehren, unbefleckten deutschen Klassiker malen wollen. Die seit DDR-Zeiten unveränderte Ausstellung führt die große Debatte über den politischen Menschen Hauptmann nicht. Sie liefert aber Spuren. Die Suche beginnt bei jener Lücke in der übervollen Lebenslauftafel, die die 30er Jahre markiert. Gleich daneben im Werkverzeichnis gibt es keinerlei Stockung. Lediglich die Themenauswahl ändert sich ins Antike und ins Private hinein.
»Ein grauslich ekelhaftes Gemisch von Kot, Blut und Tränen«, nahm der Großliterat 1933 wahr, und befand vornehm, daß der »politische Kampf der Völker im Inneren und nach außen« ihn abstoße. Hehrer Wunsch: »Eine Erimetage für stille Arbeit ist heute mein einziges Ziel und wäre es meinetwegen eine Klosterzelle.« So karg kam's aber doch nicht. Hauptmannsche Verse wurden weiterhin in seinen schlößchenartigen Residenzen mitten im Reich geschmiedet und bis zum Kriegsende eifrigst gedruckt. Thomas Kuppinger
Das Museum ist derzeit dienstags, mittwochs, freitags und sonntags von 10-18 Uhr und donnerstags von 14-18 Uhr zu besichtigen.
Ab 1. März täglich außer montags von 11-17 Uhr.
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