Das Echo der eigenen Vergangenheit

■ Hans Magnus Enzensberger über Saddam Hussein, Adolf Hitler, die Irakis und die Deutschen

Berlin (taz) — „Die Deutschen waren die Irakis von 1938 bis 1945.“ Zu diesem provokanten Schluß kommt der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger in einem Essay, das diese Woche im 'Spiegel‘ zu finden ist. Und: Saddam Hussein wolle, was auch Adolf Hitler gewollt habe — ein Ende mit Schrecken. Die Rede von Saddam als einem Nachfolger Hitlers, meint Enzensberger, treffe also den Kern der Sache — der allerdings berühre die deutsche Geschichte direkt: „Jeder Vergleich zwischen Hitler und Saddam zieht notwendigerweise einen zweiten nach sich zwischen den Massen, die sich dem einen und dem anderen als Schlächter und Schlachtopfer zur Verfügung stellen.“

Diese zweite Parallele hält Enzensberger für ebenso zwingend wie unangenehm. „Nichts könnte den Deutschen von heute ferner liegen, als sich in den arabischen Massen wiederzuerkennen. Eine solche Einsicht würde jeder rassistischen Deutung des Konflikts den Boden entziehen. Außerdem brächte sie verborgene Kontinuitäten ans Licht, Restbestände des Faschismus, an die niemand erinnert werden möchte.“ Denn: So wie beide Tyrannen entschlossen waren, gegen die ganze Welt anzutreten, so konnten beide „in die Geschichte nur dadurch eintreten, daß ganze Völker ihr Kommen herbeiwünschten. Ihre Macht wächst nicht aus den Gewehrläufen, sondern aus der grenzenlosen Liebe und Opferbereitschaft ihrer Anhänger.“ Und wer, fragt Enzensberger, könne besser verstehen als die Deutschen, was heute in der arabischen Welt passiert? „Jedes zweite Interview, das zwischen Rabat und Bagdad gemacht wird, müßte ihnen wie ein Echo ihrer eigenen Stimmen in den Ohren dröhnen. ,Wir wollen weitermarschieren, bis alles in Scherben fällt.‘...Wer erinnert sich nicht an den frenetischen Jubel, mit dem diese Parolen aufgenommen worden sind und mit dem Tausende die berühmte Frage beantwortet haben: ,Wollt ihr den totalen Krieg?‘“

Zum Scheitern verurteilt seien deshalb auch alle Versuche, die irakische Entschlossenheit zum Untergang mit kulturellen, gesellschaftlichen oder religiösen Hypothesen zu erklären — ebenso wie die Bemühungen „einer ganzen Generation von Gelehrten“, Hitler auf den „Sonderweg“ der Deutschen, ihren eigentümlichen Charakter, ihre vermeintlich anders geartete Kultur zurückzuführen. Das Fortleben des Todesrausches ganzer Völker, das Wiederauftauchen von „Feinden der Menschheit“ wie Hitler und Saddam beweist nach Ansicht Enzensbergers nur eines: „Wir haben es nicht mit einer deutschen, nicht mit einer arabischen, sondern mit einer anthropologischen Tatsache zu tun.“

Auch bei den Bedingungen dafür, daß ein solcher „Feind der Menschheit“ auftauchen kann und Anhänger findet, sieht der Essayist Parallelen: „Wenn ein Kollektiv keine Chance mehr sieht, seine — reale und imaginäre — Erniedrigung durch eigene Anstrengungen wettzumachen, bietet es seine ganze psychische Energie auf, um unermeßliche Vorräte an Haß und Neid, Ressentiments und Rachsucht anzulegen.“ Diese Energie setzt der Führer zu seinen Zwecken ein. „Er operiert nicht mit Argumenten, sondern mit Emotionen, die jede Logik aus den Angeln heben. Daran scheitern alle Versuche, ihn ideologisch zu interpretieren oder gar zu widerlegen.“ Das Fazit: „Es ist ein fataler Irrtum, Hitler oder Saddam Überzeugungen zuzuschreiben.“

Insofern gibt Hans Magnus Enzensberger in seinem letzten Absatz den Pazifisten recht, wenn sie sagen, angesichts von Saddam Hussein habe die Politik versagt. Wie sollte sie auch anders? „Keine denkbare Politik, wie klug, wie umsichtig sie auch wäre, kann es mit einem solchen Feind aufnehmen. Er bekommt am Ende immer, was er will: den Krieg.“ Über den Krieg, der jetzt im Golf stattfindet, sagt Hans Magnus Enzensberger nichts. Er denkt schon über die Zeiten nach Saddam nach: „Der Preis für die Entfernung Saddam Husseins von der Erdoberfläche wird astronomisch sein...“ Doch nach diesem Ende mit Schrecken geht für den Autor der Schrecken ohne Ende weiter. „Es ist absehbar, daß in Zukunft andere Völker ihren und unsern Henkern zujubeln werden. ... Woran Hitler und Saddam gescheitert sind, am Endsieg, das heißt an der Endlösung — ihrem nächsten Wiedergänger könnte sie gelingen.“ Karen Pfundt