Melillas Moslems unterstützen den Irak

Politisch-religiöse Zweiteilung der Gesellschaft in der spanischen Enklave im Maghreb  ■ Aus Melilla Antje Bauer

„Vor dem Ausbruch der Golfkrise war Saddam Hussein hier gar nicht gut angesehen, denn er war ein Vertreter der westlichen Interessen im Golf. Doch jetzt ist er der Pfeiler im Kampf gegen die imperialistische und zionistische Expansion“, erklärt Abdurrahman Mohammed. Er ist Führungsmitglied von Terra Omnium, der radikalsten der zahlreichen Organisationen in Melilla, die die Interessen der 20.000 Moslems in der Stadt vertreten wollen.

Melilla, 60.000 Einwohner, auf dem afrikanischen Kontinent gelegen, jedoch spanisches Territorium, teilt sich in diesen Monaten politisch: Christen und die kleine Gemeinschaft der Juden befürworten zum Großteil den Krieg der multinationalen Truppen am Golf, während sich die Moslems einhellig mit dem Irak solidarisieren. Vor zehn Tagen war bei einer Kundgebung gegen den Krieg eine israelische Fahne verbrannt worden und hatte die kleine jüdische Gemeinschaft der Stadt in Unruhe versetzt. Antisemitische Parolen waren an Häuserwände der verschlafenen Kleinstadt gesprüht worden.

Melilla: Beispiel für Zusammenleben

Zu allem Überfluß ist in den letzten Tagen eine Horde Journalisten vom spanischen Festland angereist, um der moslemischen Gemeinschaft den Puls zu fühlen. Die öffentliche Aufmerksamkeit, die sich plötzlich auf Melilla richtet, findet vor allem der Delegierte der spanischen Regierung in Melilla, Manuel Cespedes, beunruhigend. „Es sollte nicht vergessen werden, daß Melilla täglich modellhaft das Zusammenleben der unterschiedlichen Gemeinschaften hier übt“, mahnt er auf einer Pressekonferenz. „Es gibt kein Anzeichen dafür, daß es hier mehr Konfliktstoff gäbe als in irgendeiner anderen spanischen Stadt.“ Für alle Fälle sind jedoch die Kontrollen an den vier Grenzposten der Stadt verstärkt worden.

Der Golfkrieg ist ständiges Thema

Auch wenn offiziell Ruhe herrscht und das Leben in der Stadt seinen normalen Gang zu gehen scheint, ist der Golfkrieg vor allem unter den Moslems ständiges Thema. Die meisten von ihnen besitzen die spanische Staatsangehörigkeit, doch die augenblickliche Situation macht ihnen deutlich, daß ihr Herz für die marokkanischen Verwandten auf der anderen Seite der Grenze schlägt, die in diesen Tagen für den Irak und gegen die Entsendung marokkanischer Truppen an den Golf demonstrieren. Die Aktionen der Moslems in Melilla selbst stoßen nur auf geringes Interesse: An einer Demonstration gegen den Golfkrieg am vergangenen Samstag beteiligten sich nur etwa 1.000 Demonstranten.

Doch der Generalstreik, der am vergangenen Montag in Marokko stattfand, wurde in Melilla mit großer Aufmerksamkeit beobachtet. „In diesem Krieg werden Köpfe rollen“, prophezeit Abdurrahman, „im Maghreb wird es neue Regierungen geben. Der Generalstreik in Marokko — wenn der vor der Golfkrise ausgerufen worden wäre, hätte es Tote gegeben. Und jetzt hat König Hassan II. nachgeben müssen. Wann hat man das schon gesehen? Und dabei ist erst seit zwei Wochen Krieg.“

Die Spekulationen über das Schicksal Hassans II. Sind für die Moslems von Melilla von höchster Bedeutung. Denn wenn Hassan stürzte und Marokko eine islamische Republik würde, würden viele von ihnen gerne auf ihren spanischen Paß verzichten. Das sieht offenbar auch die spanische Regierung so: Sie ließ einen Plan zur Evakuierung der Spanier im Maghreb ausarbeiten. Für alle Fälle.