Kriegshetze Friedenshetze

Damit wir uns richtig mißverstehen: Ich bin für diesen Krieg am Golf  ■ Von Wolf Biermann

„Soldaten sehn sich alle gleich

— lebendig und als Leich“

(aus dem Lied Soldat, Soldat, 1964)

„Ich warf mein bißchen

Menschenleben

In Mutlangen vor einen Truck

Der US-Army, ich bin eben

Auch einer von dem

Friedenspack...“

(aus dem Lied Mir selbst helfen

kann ich nicht, 1986)

„Weil Feigheit vor dem wahren

Freund mich lähmt

weil Kühnheit vor dem falschen

Feind mich foppt

weil man mit Tränen kein Tyrannen

zähmt

und weil kein Lied die Amokläufer

stoppt...“

(aus dem Lied Melancholie, 1990)

Mehr als diese drei Lieder weiß ich auch nicht. Ich sollte sie einfach vorsingen und ansonsten Gitarre spielen, es ist ja alles gesagt. Aber ich fürchte, wir würden aneinander vorbeisingen, sogar bei Hänschen klein ging allein oder We shall overcome auf der Demo in Bonn. Gewiß nicht alle, aber die meisten Friedenskämpfer in der Bundesrepublik waren seit der Ostermarschbewegung scharfsichtig auf dem einen und blind auf dem anderen Auge. Von einer Handvoll Stasi-Spitzel und DKP-Agenten ließen sie sich in all den Jahren des Kalten Krieges an einer unsichtbaren Kette wie ein Tanzbär dirigieren. Nun ist die Kette zwar zerrissen, aber die Hand, die sie hielt, ist abgefault. Und nun tapsen die Bärenkinder immer noch das naive Tänzchen und glotzen wie Heines romantischer Atta Troll in die böse Welt.

Auch ich glotze entsetzt in die Glotze und denke: Schade um uns Menschlein. Der dritte Weltkrieg beginnt, und, wie es im Liedchen heißt: „Die Erde wird ein öder Stern wie andre öde Sterne.“ Also Frieden! Frieden ohne Wenn und Aber! Jeder Krieg ist ein Verbrechen, auch der gerechte.

Und dann fällt mir die Nazizeit 1938 ein

Aber dann fällt mir die Nazizeit ein. Vier Friedenskämpfer haben 1938 das Münchner Abkommen besiegelt: Chamberlain, Daladier, Mussolini und Hitler — ein lehrreiches Gruppenfoto. Als Hitler dann gemeinsam mit Stalin Polen überfallen und annektiert hatte, wurde in den USA darüber gestritten, ob man in den Krieg gegen Nazideutschland eingreifen sollte. Zwei Sorten Amerikaner waren gegen den Krieg: die amerikanischen Nazis („The German Bund“) und die KP der USA. In ihrer Zeitung 'Daily Worker‘ denunzierten die moskaugetreuen Kommunisten Roosevelt als Kriegstreiber mit Messer im Maul.

Diese Allianz zwischen echten Rechten und falschen Linken gibt es auch heute. Faschist Le Pen verteidigt den Überfall auf Kuwait, er sagt, es gehöre zum Irak wie Elsaß-Lothringen zu Frankreich. Die deutschen Reps vergleichen Saddams Griff nach dem Erdöl mit großdeutschen Ansprüchen auf Tirol und Schlesien. Der ehemalige SS-Mann Schönhuber ist besorgt, daß deutsche Soldaten für den „american way of live“ verheizt werden könnten.

In Frankreich fragten die linken Friedenskämpfer 1938: Mourir pour Danzig? — und die Antwort war klar: Nein! Laßt doch dem Herrn Hitler das bißchen Österreich und Tschechoslowakei und Polen... Füttert das Raubtier, dann beißt es uns nicht. Darf man vergleichen mit damals? Ist heute alles anders, vielleicht weil die Waffen furchtbarer geworden sind und weil das Leben der Menschheit auf dem Spiel steht? — Ihr lieben Friedensfreunde, dieses Leben steht sowieso auf dem Spiel, auch ohne Krieg. Ihr selbst verbraucht zuviel von dem Öl, um das es den Gangstern geht, ihr selbst freßt der hungernden Welt die Haare vom Kppf.

Ich fahre Auto wie ihr, heize mit Öl, esse gut und rase mit euch in die Umweltkatastrophen. Ein Fuß drückt aufs Gaspedal, der andere auf die Bremse. Aber ich kaue in diesen Tagen auch die Losungen auf den Demos in Deutschland und kriege das große Kotzen. Lieber pazifistisch gesinnter Leser, liebe friedensbewegte Leserin, damit wir einander von Anfang an richtig verstehn: Ich bin für diesen Krieg am Golf. Sie müssen ja nicht weiterlesen. Noch schlimmer: Ich hoffe, daß dieser Krieg das westöstlich zusammengekaufte Waffenarsenal zur Vernichtung Israels ganz und gar zerstört.

Von den Friedensdemonstranten hörte ich auch ein gutes Argument: Hätte man nicht lieber geduldig auf die Wirkung des Embargos warten sollen? Mag sein. Aber ich glaube es nicht. Allein durch den befreundeten Totfeind Iran konnte Saddam Hussein alles ins Land holen, was er für zivile und militärische Zwecke brauchte. Das Beispiel Südafrika lehrt uns, wie langsam ein Embargo Wirkungen zeigt. Nehmen wir optimistisch an, es hätte in zehn Jahren gegriffen — in drei Jahren hätte der Irak die Atombombe gehabt. Dramatisch in die Enge getrieben durch die Ächtung der halben Welt, kopflos durch Versorgungsschwierigkeiten in einem Land, das zu achtzig Prozent von Lebensmitteleinfuhren lebt, und angefeuert durch seine Anhänger in allen arabischen Staaten, hätte Saddam Hussein Israel mit einer einzigen Bombe verdampfen können.

Die Schrecken des Krieges kenne ich von 1943

Die Schrecken des Krieges kenne ich nicht nur aus Filmen und Büchern. Wer mir die „desastres de la guerre“ predigen will, kommt zu spät. 1943 war ich mitten im Feuersturm von Hamburg. Phosphorübergossene Menschen brannten wie Fackeln. Manche warfen sich von der Brücke ins Wasser, und wenn sie wieder auftauchten, brannten sie weiter. Wenige überlebten den Bombenteppich im Arbeiterviertel Hammerbrook. Wir irrten durch das Inferno. Ein Wunder rettete mich: Es war die Tatkraft meiner Mutter. Sie nahm mich auf dem Rücken und schwamm mit mir durch den Kanal aus dem Feuer ins Offene. Kennst du die geschmolzene Uhr von Hiroschima? In Hammerbrook ist meine kleine Lebensuhr stehngeblieben. Seit dieser Nacht unter dem britischen Bombenteppich vom Dienstag, dem 27., auf den 28. Juli, bin und bleibe ich sechseinhalb Jahre alt. Süderstraße/Nagelsweg/Ausschleger Weg. Brennende Dächer flogen durch die Luft wie Drachen. Vierzigtausend Tote. Weltenende. Nichts ist vergessen, keine Feuersäule, kein abgeworfener Tannenbaum, keine verkohlte Leiche am Kantstein, kein Schrei und kein zerfetztes Gesicht.

„Und weil ich unter dem gelben

Stern

In Deutschland geboren bin

Drum nahmen wir die englischen

Bomben

Wie Himmelsgeschenke hin...“

Liebe Inge Aicher-Scholl. Was würde Ihre ermordete Schwester Sophie zu diesem Krieg sagen? Soll man einen Hitler machen lassen um des Friedens willen? Gewiß erinnern Sie sich daran, wie wir vor fünf Jahren in Mutlangen auf dem Asphalt saßen, gegen die Cruise Missiles. Ich seh' noch die gewaltigen Trucks der US-Army auf uns zurollen. Und wie die deutschen Polizisten uns dann wegschleppten. Und wie der Richter in Schwäbisch Gmünd unsre kleine Schar in Fließbandverfahren wegen „Nötigung aus niedrigen Motiven“ verurteilten. 3.000 Mark Strafe. Das ging mir am Arsch vorbei und war, dachte ich, eine gute Investition in den Weltfrieden. Aber was heute?

Modische Palästinensertücher und kein Wort für Israel

In den Nachrichten sehe ich die Bilder von Friedensdemonstrationen vor US-Air-bases. Die meisten Losungen sind antiamerikanisch, als wären die USA der Aggressor. Modische Palästinensertücher und kein Wort für Israel. Man kommt sich vor wie auf der falschen Beerdigung. Die Tränen fließen aus Menschenaugen über Krokodilsleder. Die Friedensbewegung konnte die Aufrüstung des Irak durch deutsche Firmen nicht verhindern, schlimm genug. Aber jetzt möchte sie die Zerstörung der ABC-Fabriken und Raketen aufhalten, mit denen Saddam&Co Israel vernichten wollen. Was Hitler seine Leute in jahrelanger blutiger Handarbeit üben ließ: die Ausrottung des jüdischen Volkes, das wird Saddam Hussein jetzt auf einen Streich mit einem Knopfdruck versuchen.

Wollt ihr den totalen Krieg?, fragte Goebbels.

In den Geschichtsbüchern steht, was Eure Großväter Hitlers hinkendem Gehirnauskratzer im Berliner Sportpalast entgegenjauchzten: Jaaaa!!!! Wer mich aber heute fragt: Willst du den totalen Frieden? — dem sage ich nein danke.

Krieg, das weiß man, da schlagen sich junge Männer gegenseitig tot, die einander gar nicht kennen und die einander nichts taten. Sie tun dies auf Befehl von alten Männern, die sich sehr wohl kennen und die in der Regel sehr alt werden. Die Idee ist drollig und wurde oft gedacht: Man sollte lieber die kriegsgeilen Politiker und Generäle mit Messer und Gabel in einer Arena aufeinander loslassen. In alten Zeiten gab es das: Anstelle des Heeres kämpfen die beiden Anführer gegeneinader. Lang ist's her!

Aber was heißt schon lange her. Vorgestern bissen wir einander noch auf den Bäumen und balgten uns auf dem Affenfelsen. Gestern kämpften wir Steinbeil gegen Lanze. Vor einer Stunde stach Odysseus dem Kyklopen Polyphem mit einem glühenden Pfahl das eine Auge aus. Vor einer halben Stunde erledigte David Goliath mit einer Steinschleuder. Dann die Pfeile der Armbrust, sie durchschlugen die Ritterrüstungen wie bloße Haut. Grad erst vor einer Minute wurde das Schießpulver erfunden und vor einer Sekunde die Atombombe. Lang ist's her.

Der Fortschritt in der Menschheitsgeschichte ist eine Schnecke, schleimige Blutspur, hegel-marxistisches Dogma. Fortschritt unaufhaltsam, rasend schnell, und geht nach hinten los. Fortschritt — ein blindes Mischmonster aus Löwe, Maulwurf und Drache im Krebsgang. Chimäre Fortschritt, vernünftiges Hirngespinst der Aufklärung und trotz alledem unsere einzige Hoffnung.

Wir erleben in diesen Zeiten einen zynischen Beweis für den Fortschritt der Geschichte. Juden sitzen 45 Jahre nach Auschwitz zu Haus in ihren gemütlichen Gaskämmerchen hinter Plastikfolie und Tesa-Klebstreifen, das ist Fortschritt. Sie warten in Tel Aviv und Jerusalem mit deutschen Gasmasken über der Judennase auf den Moment, wo das Giftgas von oben eingeworfen wird. Das ist der Fortschritt: Diesmal ist es kein SS-Mann, der das körnige Zyklon-B von Hand aus einer IG-Farben-Dose durch den Luftschacht einschüttet. Heute warten die jüdischen Menschenkinder auf das moderne Saringas, auf Tabungas und auf das gefürchtete Senfgas, eingeworfen durch den jordanischen Luftkorridor mit einer sowjetischen Scud-B-Rakete.

Und wie damals in dem Duschraum: Die Juden wehren sich nicht. Sie harren und hoffen wie in der Nazizeit auf das Kriegsglück der Alliierten. Aber auch hier eine kleine Variation: Die Opfer sind bis an den Goldzahn bewaffnet. Ist das Fortschritt? Israel hat die Atombombe und könnte noch im Sterben in einem Vergeltungsschlag Saddam Hussein und seine kriegsbegeisterte Bande mit in den Abgrund reißen.

Fortschritt, eine Spirale vom Urknall zum Endknall. Alles wiederholte sich und immer anders. Die Ausrottung war den Juden sowohl von Hitler als auch von Saddam Hussein offen angekündigt. Damals wie heute kam die Drohung von einem blutigen Emporkömmling, einem Tyrannen, Demagogen und Machtparanoiker. Aber auch hier ein Fortschritt: Man muß nicht mehr mutmaßen. Der Autor von Mein Kampf war bis 1933 nur eine Großfresse, und keiner konnte wissen, ob er sein blutiges Gerede dann auch wahr macht. Saddam Hussein aber ist ein gestandener Massenmörder. Er überfiel den Iran und schickte Millionen Menschen in den Tod. Er vergaste aus Gründen strategischer Zweckmäßigkeit einen Teil seiner eigenen Zivilbevölkerung: die Kurden. Er zerfetzte mit seiner sowjetischen Artillerie Abertausende iranischer Kindersoldaten, die Chomeini gegen ihn in die Schlacht geschickt hatte. Die Kinder trugen alle um den Hals einen Plastikschlüssel für die Tür ins Himmelreich.

Aus Erfahrungen dieser Art kommt solch ein Satz: „Ich kann drei, ja sechs Millionen Tote hinnehmen, das stehe ich durch.“ Stimmt, er steht es durch: neunzig Meter unter der Erde in einem atombombensicheren Bunkersystem, Modell „Neue Heimat“, gebaut von Baufirmen des DGB.

Oder ganz anders. Vielleicht hat der Kriegsheld längst seinen Bart abgeschnitten und lebt mit Familie in der Schweiz als Herr Salman Russel in einer Villa am Zürisee. Ein Lebensabend unter einer Sonne, die nie untergeht: seine Nummernkonten. Er führt den Hund im Nobelviertel Erlenbach spazieren, während seine diversen Doubles im Irak die Amerikaner foppen, genau wie die Raketenattrappen.

Ich fand jetzt eine ganzseitige Anzeige der Firma PDS/Linke Liste. Da sieht man, dick schwarz umrandet, ein Dokumentationsfoto. Ein Meeresstrand ist zu sehen. Ruhige See, schwache Brandung, ablandiger Wind. Im Mittelpunkt dümpelt, hinten auf Grund gesetzt, eine Art Schiff, ein verlassenes Landungsboot für Mannschaften und Panzerfahrzeuge. Die Landeklappe zum Strand hin hängt runtergelassen an Drahtseilen. Auf dem Strand sieht man drei tote Soldaten. Sie liegen da in voller Kampfmontur in perspektivisch idealer Anordnung. Zwei auf dem Bauch, der Mittlere liegt auf dem Rücken. Beim näheren Hinsehen ist erkennbar, daß das linke Bein des Toten im Vordergrund halb in den Ufersand eingespült ist. Das bedeutet, die Leichen liegen zumindest schon seit ein paar Stunden da und wurden von Wellen überleckt, als noch Flut war. Vielleicht hatten die Leichen auch vordem im Wasser getrieben und waren dann von stärkeren Wellen an den Strand geworfen worden.

Ihre Körperhaltung sieht entspannt aus, die Beine leicht angewinkelt. Der Arm des Mittleren liegt breit vom Körper ab, den Strand hoch, in einer Christus-Haltung. Handfläche nach vorn, wie hingehalten zum Annageln ans Kreuz. Die Finger dieser Hand bilden, wie im Kinderschlaf, eine leicht offene Faust. Seine Füße sind übereinandergelegt, auch wie für den Nagel.

Ja, alle drei Soldaten liegen da wie Schlafende. Der Mann im Vordergrund liegt mit dem Gesicht unter dem Stahlhelm. Die Sonne knallt ihm von Süden her unter dem Helmrand in die freiliegende Gesichtshälfte. Der Tote müßte einen Sonnenbrand kriegen. Die Sonne steht offenbar sehr steil an einem wolkenlosen Himmel, denn die Schatten sind kurz und scharf. Es muß gegen Mittag und es muß Sommer sein. Der Strand verläuft also in nordsüdlicher Richtung, klar, es könnte sich um die Küste des Atlantiks handeln.

Der Stahlhelm ist kein wehrmachtsdeutscher Kochtopf, dieses Fabrikat würde ich wiedererkennen. Kenner könnten an den Salatschüsseln leicht sehn, ob es amerikanische oder britische Soldaten sind, die da den großen Schlaf schlafen. Und es muß ein schmaler Strand gewesen sein, denn oberhalb des Kopfes des vorderen Toten erkennt man schon wellengewaschenes Wurzelwerk von irgendwelchen Sträuchern. Kurz: Es könnte sich um ein Foto von der Landung der Alliierten in der Normandie handeln.

Am 6. Juni 1944 errichtete eine Armada von 6.400 Landungsfahrzeugen unter dem Feuerschutz von Schlachtschiffen und Flugzeugen den ersten Brückenkopf gegen die Wehrmacht in Frankreich. Man weiß, die Landung war hervorragend geplant und bestens durchgeführt worden, dennoch gab es furchtbar viele Opfer auf seiten der Angreifer.

Ich habe es gar nicht eilig mit meiner politischen Schlußfolgerung, sie ist sowieso nicht welterschütternd. Schaun wir uns in Ruhe die drei Toten an. Dank der Zensur sehen wir in diesen Tagen sowieso keine aufreizenden Bilder von den Opfern des Krieges in der Glotze. Das bißchen Platz muß sein, das bißchen Zeit in diesen hektischen Tagen.

Fortsetzung

in der morgigen Ausgabe