Atommüllschieber vor Gericht

Heute beginnt der Prozeß gegen die Atomspediteure der Hanauer Firma Transnuklear  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — Ein Eierkocher war die „kleinste Einheit“, mit der die Atommülltransporteure der Firma Transnuklear (TN) im hessischen Hanau die Mitarbeiter ihrer Kunden in Atomanlagen quer durch die Republik und im europäischen Ausland beglückten. Größere Geschäfte, weiß Oberstaatsanwalt Albert Farwick, erforderten größere „Aufwendungen“: Vom kostenlosen Bordellbesuch bis zur Luxusjacht reichten in den 80er Jahren die Angebote an die Männer an den Pforten und in den Abteilungen für Rechnungswesen der AKWs. Die nahmen dankend an. Im Gegenzug gestatteten sie der Hanauer Klitsche, falsch deklarierte Atommüllfässer europaweit hin- und herzukarren und Gelder dafür auf Schwarzkonten zu deponieren. Ein Kraftwerktechniker der Preussen-Elektra aus Hannover, der bei den Ermittlungen der Hanauer Staatsanwaltschaft als Empfänger von Schmiergeldern in Höhe von 600.000 DM identifiziert worden war, warf sich 1987 vor einen Zug. Ein TN-Manager, für die Staatsanwaltschaft einer der „großen Drahtzieher“ im Transnuklear- Skandal, schnitt sich in der Untersuchungshaft die Pulsadern auf.

Seine Kollegen aus den Jahren der großen Sause bei Transnuklear, vor allem der damalige TN-Geschäftsführer Peter Vygen und seine Abteilungsleiter Christ, Knackstedt und Bretag müssen sich ab heute vor dem Landgericht Hanau verantworten — für Verstöße gegen das Atomgesetz und zahlreiche Bestimmungen des Strafgesetzbuches. Auf rund 1.000 Seiten Anklageschrift hat die Staatsanwaltschaft akribisch zusammengetragen, was in den Jahren 1987/88 peu à peu an skandalträchtigem Gebaren der TN-Verantwortlichen ans Licht der Öffentlichkeit drang und in der Folgezeit parlamentarische Untersuchungsausschüsse in Wiesbaden, Bonn und Brüssel beschäftigte: Da wurde hochradioaktiver Atommüll in mittelaktiven Abfall umdeklariert und von TN ins belgische Mol und nach Schweden verschoben. Da vagabundierten Tausende falsch deklarierter Fässer auch mit plutoniumhaltigem Atommüll durch die Republik oder wurden — ohne Rücksicht auf Sicherheitsbestimmungen — bei der Transnuklear selbst oder auf dem Betriebsgelände diverser Atomkraftwerke zwischengelagert. Rund 700 von etwa 2.000 illegal deponierten Fässern, die von der TN zur Entsorgung angenommen worden waren, wurden seinerzeit von der Staatsanwaltschaft im Zuge der Ermittlungen gegen TN und andere sichergestellt.

Wieviele Millionen verschoben und/oder veruntreut wurden, weiß Ankläger Farwick offenbar auch nach fast dreijährigen Ermittlungen nicht genau zu sagen. Ungeklärt blieb bis heute auch der Vorwurf, deutsche Unternehmen hätten atomwaffentauglichen Spaltstoff illegal an Bombeninteressenten in Pakistan und anderswo geliefert. Den Verbleib von rund 5 Millionen Mark Schwarz- und Bestechungsgeldern glaubt die Staatsanwaltschaft dagegen nachweisen zu können. Nach Informationen aus dem Umfeld der Transnuklear aus dem Jahre 1988 soll allerdings alleine der durch Suizid in der U-Haft aus dem Leben geschiedene „Drahtzieher“ (Farwick) aus dem TN-Management etwa 15 Millionen DM an Schwarzgeldern zusammengerafft haben.

Der TN-Skandal war der „moralische Supergau für die Atomindustrie“, wie der BUND-Bundesvorsitzende Hubert Weinzierl damals anmerkte. Und im Rahmen der Untersuchungsausschüsse in Bonn und Wiesbaden wurde der Beweis erbracht, daß die Sicherheitsphilosophie der bundesdeutschen Atomwerker auf einer Fiktion basierte. Selbst Umweltminister Klaus Töpfer mußte auf dem Höhepunkt des TN- Skandals konstatieren, daß das „hohe Sicherheitsdenken“ der deutschen Nuklearindustrie in einem „Wust aus Bestechung und Korruption“ untergegangen sei.

Auf Druck der hessischen CDU/FDP-Landesregierung, wechselte die TN-Mutter Nukem Mitte 1988 das gesamte Management ihrer Tochter aus — doch auch die NUKEM selbst, die mehrheitlich der „noblen Frankfurter Firma Degussa“ (Wallmann) gehörte, war nicht mehr zu halten. Der Weltkonzern Siemens übernahm den gesamten Hanauer Nuklearkomplex. Die TN wurde aufgelöst und die NUKEM zum „Siemens Brennelementewerk“ umfirmiert. Das Atomtransportgeschäft der TN hat inzwischen eine Tochterfirma des Bahnspediteurs Schenker (Nuclear Cargo & Service) übernommen. In Belgien wurden die Mitarbeiter der Firma Smet Jet, die in der Konditionierungsanlage in Mol den hochradioaktiven Abfall in ein einfaches Bitumengemisch für schwachradioaktiven Müll einschweißten, schon vor Jahresfrist zu saftigen Freiheitsstrafen verurteilt.