Landgewerkschaftsführer in Brasilien ermordet

Rio de Janeiro (taz) — Nach der Ermordung von Expedito Ribeiro de Souza, Anführer der Landgewerkschaft in der Stadt Rio de Maria im brasilianischen Amazonas-Bundesstaat Pará, hat die Bevölkerung Angst. Der 43jährige ist das achte derartige Todesopfer innerhalb von dreizehn Monaten in der Region.

Ribeiro, Dichter und Mitglied der brasilianischen KP, war zwar nicht so berühmt wie Chico Mendes. Doch hat auch er seinen eigenen Tod vorausgesehen: „Eines Tages kommt der Tod, er kommt überraschend, ohne feste Uhrzeit, er kommt mit dem Säbel oder dem Messer und tötet eins, zwei, drei oder gleich eine ganze Herde“, schrieb er 1984.

Statt mit dem Säbel kam der Mörder mit dem Gewehr. Drei Revolverschüsse durchbohrten Expedito in der Nacht zum Sonntag den Rücken, nur 200 Meter von seinem Haus entfernt, wo er mit seiner Großfamilie wohnte. Der Mord brachte die Bevölkerung der 30.000-Einwohner- Stadt Rio de Maria auf die Barrikaden. Handel und Banken blieben am Montag, dem Tag der Beerdigung, geschlossen. Während der Todesmesse forderten über 1.000 Menschen vor der Kirche Gerechtigkeit.

Ob diese Forderung erfüllt wird, ist fraglich. Rio Maria bekam 1989 einen eigenen Amtsgerichtsbezirk zugesprochen, doch bis heute ist in der für ihre Gewalt berüchtigten Gemeinde kein einziger Mörder verurteilt worden. Die Glaubwürdigkeit des Richters José Candido de Moraes ist dahin, seitdem er sich unmittelbar nach seiner Ankunft vor zwei Jahren zu einem Grillfest im Haus des stadtbekannten Killers Neném Simao einladen ließ.

Die örtliche Polizei verdächtigt den Großgrundbesitzer Geraldo de Oliveira Braga, für das Verbrechen verantwortlich zu sein. Doch seit April 1990, als gegen den Besitzer zweier Facendas ein Haftbefehl wegen Mordverdachts an zwei weiteren Gewerkschaftlern ausgeschrieben wurde, ist Geraldo de Oliveira spurlos verschwunden. Für die Verfolgung des mutmaßlichen Täters verfügt die Polizei lediglich über einen verrosteten Golf.

Ein Hilfegesuch beim Gouverneur des Bundesstaates Pará wurde abgeschmettert: Bei dem Mord handele es sich um eine Bundesangelegenheit. Doch Bundesjustizminister Passarinho fühlt sich nicht zuständig. „Nur wenn uns ein formaler Antrag der Regierung Pará vorliegt, können wir eingreifen“, erklärte er. Passarinho, der im Oktober 1990 von Präsident Collor in sein Amt berufen wurde, war während der Militärdiktatur zwischen 1964 und 1985 Gouverneur von Pará und wurde durch rigorose Verfolgung von Oppositionellen bekannt. Angeblich weiß er auch jetzt nichts davon, daß sein Amtsvorgänger im Ministerium für Expedito Ribeiro persönlichen Schutz angeordnet hatte. Astrid Prange