: Öko-Golf oder Abschlachtprämien für Autos
Auf dem Berliner Umwelttechnologiekongreß „Utech 91“ diskutierten Stadtplaner, Ökologen und Autohersteller über die Zukunft der Stinkerflotte/ In einem waren sich alle einig: Die Zukunft gehört dem Stau/ Kritik an Kat-Kosmetik ■ Aus Berlin Manfred Kriener
„Der Zusammenbruch der Innenstädte ist kein Horrorszenario, sondern das, was wir jetzt zu erwarten haben“ — dieses Zitat stammt nicht vom Vorsitzenden der Bürgerinitiative „Rostige Speiche“, sondern vom Sprecher des Deutschen Städtetages, Folkert Kiepe. Das mag manchen überraschen. Noch erstaunlicher ist, daß solch düsteres Zukunftsbild heutzutage nur noch allgemeines Kopfnicken auslöst. Vom VW-Manager bis zum schwäbischen Verkehrsamtsleiter waren sich diese Woche auf dem Umwelttechnologiekongreß Utech 91 im Berliner Kongreßzentrum alle einig: Nur der Stau hat noch Zukunft. Um so heftiger wurde dagegen um die richtige Abwehrstrategie gegen den Verkehrsinfarkt gestritten. „Abschlachtprämien für Autos“ verlangten die einen, den „Öko-Golf“ die anderen.
Winfried Bernhardt, Zukunftsseher des VW-Konzerns, hatte die neuesten Zahlen im Koffer: Das Jahr 1990 war das wärmste seit Beginn der systematischen Wetterbeobachtung von 1880. So gesellt sich zum Verkehrsinfarkt der Klimakollaps. Auf der gemeinsamen Intensivstation herrscht dicke Luft, die von gesamtdeutsch inzwischen 40 Millionen Kraftfahrzeugen verursacht wird. Diese ansehnliche Stinkerflotte verbraucht jährlich 48.000.000.000 Kilogramm Mineralöl, und wenn man diese Zahl mit 3,2 multipliziert, dann weiß man exakt, wieviel vom Klimakiller CO2 aus den Auspufftöpfen dampft. Da wird selbst einem Automanager schwindelig. Was also tun?
VW setzt auf „Öko-Polo“ und „Öko-Golf“. In der Wolfsburger Zukunftswerkstatt hat man den Spritverbrauch für diese Modelle auf drei und fünf Liter gedrosselt. Und man will neue Energieträger nutzen: Methanol aus Chinagras und anderen schnellwachsenden Pflanzen und vor allem Rapsöl. Bis zu 20 Prozent Rapsöl könne man dem Rohöl zusetzen und daraus einen hochwertigen Brennstoff mit weniger CO2-Ausstoß destillieren. Die Bundesrepublik als Rapsplantage? Riesige düngergedopte Öl-Felder als neue Tankstellen? Hinweise auf die großen Umweltprobleme solcher Lösungen und auf das vollständige Scheitern der brasilianischen Biobenzinprogramme fehlten allerdings in dem Zukunftsentwurf. Trotzdem: In den USA läuft bereits seit Dezember ein Flottentest von VW mit einem Fahrzeug, das sowohl mit normalem Benzin als auch mit Methanol und Ethanol aus Biomasse fahren kann.
Bernhardt stellte außerdem einen Elektrohybridantrieb als weiteres „Ökokonzept“ vor. Bei mäßigen Geschwindigkeiten in der Innenstadt soll dieses Auto selbständig auf einen Elektromotor umschalten und den Verbrauch an fossilem Kraftstoff damit auf 2,5 Liter senken. Auch ein „Citystromer“ genanntes, komplettes Elektromobil gehört zum VW- Zukunftsprogramm.
Ansonsten proklamiert der Autokonzern den Ausbau von Park-and- ride-Anlagen. Als „Erlebnis-Parkcenter“ ausgestattete riesige Parkplätze am Stadtrand sollen die Autofahrer ködern. Von hier aus sollen sie dann Richtung City auf die öffentlichen Verkehrsmittel umsteigen. Ein solcher Parkplatz soll schon bei der Anfahrt vom Auto aus durch „digitalen Mobilfunk“ zu reservieren sein.
Heiner Monheim, Verkehrsplaner aus Nordrhein-Westfalen, hält nichts von den VW-Konzepten. „Noch 'n Kat, noch 'n Öko und noch einen“, polemisierte er gegen den Versuch, die notwendige Entmotorisierungspolitik durch grüne Kosmetik aufzuhalten. Sein Rat an VW: Rechtzeitig auf andere Produkte umsteigen. Da schluckt der Manager.
70 Jahre lang sei Verkehrspolitik stillschweigend als Autopolitik betrachtet worden. Jetzt stehe man vor den Folgen einer grotesken Autofixierung. Monheim, der seine Thesen in blendender Rhetorik vortrug, ging an die planerischen Wurzeln. Jede Straße, die künftig gebaut werde, solle nicht nur ihren Gas-, Wasser-, Strom- und Müllanschluß nachweisen, sondern auch den an den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Solange der ÖPNV eine freiwillige Kür bleibe, lasse man die Finger davon, „weil man doch nur Verluste einfährt“. Ins Bild paßt, so Monheims Zahlen, daß hierzulande acht von zehn Industriegebieten ohne Schienenanschluß konzipiert werden, um hinterher über die LKW- Seuche zu jammern. Monheim sieht in der heutigen Verkehrspolitik die Überreste der Reichsgaragenordnung von 1930. Auch wenn kein einziger Parkplatz mehr vorhanden sei, dürfe sich heute jeder Mensch ungehindert gleich zehn Autos kaufen. Der Einstieg in eine Mengenpolitik beim Autokauf und ein Ende der staatlichen Belohnungen seien deshalb die Gebote der Stunde. Der Tatsache, daß ein Drittel aller Autos jährlich weniger als 5.000 Kilometer fährt und die meisten 23 von 24 Stunden stehen, stellte Monheim die ersten Versuche von Auto-Splitting in Nachbarschaftsinitiativen gegenüber. Das müsse der Staat belohnen.
Der Düsseldorfer Verkehrsplaner sieht ein Umdenken auch beim ÖPNV. Die Tunnelorgien mit millionenschweren U-Bahnen seien passé. Oberirdische Schienensysteme mit Vorfahrtsrechten auf allen Straßen und schnellen Taktzeiten seien die Alternative. Monheims Zuspitzung: Wir brauchen Abschlachtprämien für PKWs. Allein in NRW rollen so viele Autos wie auf dem gesamten afrikanischen Kontinent.
Monheims These, daß der Verkehrsinfarkt kein Problem der Ballungsräume ist, sondern auch in Klein- und Mittelstädten um sich greife, wurde von Folkert Kiepe gestützt. In einer Stadt wie Mainz müßten jährlich sechs Hektar neue Parkplätze geschaffen werden. Ausgerechnet die Wirtschaft schlage jetzt Alarm, weil diese kostbaren Flächen für Gewerbegebiete benötigt werden. Die Sperrung der Innenstädte für Autos in den nächsten Jahren steht für Kiepe fest.
Zum Schluß die neuesten Prognosen, die Uli Höpfner vom Heidelberger IFEU-Institut vortrug. Danach steigt der PKW-Verkehrsanteil von derzeit 62 Prozent (1988) auf 82 Prozent (2000). Der Energieverbrauch der Autoflotte nimmt im selben Zeitraum gesamtdeutsch um 27 Prozent, der Ausstoß des Klimakillers CO2 um 26 Prozent zu. Aber keine Sorge: 60 Prozent aller Kisten, die dann im Stau stehen, haben einen Kat und sind „umweltfreundlich“.
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