Neue Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit
: Arbeitsmarkt im Osten — ein Jammertal

■ Die Zahl der Arbeitslosen in den neuen Bundesländern ist auf eine neue Rekordmarke geklettert. „Wir stehen vor einem Beschäftigungstal“, kommentierte BfA-Präsident Franke die aktuelle Statistik. Im Westen expandiert indes die Beschäftigung ungebrochen stark.

Was jetzt passiert, das haben wir schon immer erwartet“ — Heinrich Franke, Präsident der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit (BfA) schrecken die Meldungen von Bundesarbeitsminister Norbert Blüm von einem baldigen Zusammenbruch des Arbeitsmarkts in den fünf neuen Bundesländern nicht. Die Ex-DDR stehe zwar vor einem „Beschäftigungstal“, dessen Ausmaße noch nicht absehbar seien, aber Franke bleibt optimistisch. Zusammen mit Initiativen der Wirtschaft werde eine „aktive Arbeitsmarktpolitik“ aus diesem Tal herausführen. Seine Zuversicht wird auch nicht durch die Aussicht getrübt, daß am 30. Juni 1991 die Kündigungsschutzbestimmungen für die ehemalige DDR auslaufen und die Arbeitslosigkeit dort noch verstärkt hochschnellen wird. Dann nämlich läuft eine noch von der DDR-Volkskammer verabschiedete Regelung aus, wonach Betriebe, denen die Arbeit ausgeht, ihre Beschäftigten zunächst auf Kurzarbeit setzen können.

Daß die Talsohle noch nicht erreicht ist, beweisen die monatlichen Zahlen vom Arbeitsmarkt. „Die gegenläufige Entwicklung auf den Arbeitsmärkten im Westen und Osten hat sich fortgesetzt“, lautet die Standardformel des BfA-Präsidenten. Von Ende Dezember bis Ende Januar nahm die Zahl der Arbeitslosen in der ehemaligen DDR noch einmal kräftig um 115.000 auf 757.162 zu, ein Zuwachs um 18 Prozent; die aktuelle Arbeitslosenquote beträgt 8,6 Prozent (7,3 im Dezember). Nachdem in den Vormonaten der Abbau unrentabler Arbeitsplätze „vielfach zurückgestaut“ gewesen sei, werde im Januar die Unterbeschäftigung offenkundiger. Nach wie vor sind Frauen überdurchschnittlich mit 54,8 Prozent betroffen.

Auch die Zahl der Kurzarbeiter stieg im Vergleich zum Dezember noch einmal um 61.500 auf derzeit 1.855.500. Franke gab zu, daß sich hinter der Kurzarbeit „überwiegend kein kurzfristiger Beschäftigungsmangel“ verbirgt. So arbeiten mittlerweile 80 Prozent der Kurzarbeiter schon seit mindestens drei Monaten verkürzt. Für 49 Prozent fällt die Arbeit um mehr als die Hälfte aus, im Dezember waren es 41, im September erst 34 Prozent. Nach diesen Zahlen hat sich, so der BfA-Präsident, der Beschäftigungsabbau in den FNL „in letzter Zeit beschleunigt“. Das betrifft insbesondere die Industrie sowie Handel und Verkehrswirtschaft. Dort waren im November 1990 750.000 Personen beschäftigt bzw. 330.000 Personen weniger als im Vorjahr. In der Bauwirtschaft hat sich diese negative Tendenz abgeschwächt.

In der alten BRD boomt die Wirtschaft weiter

Während Franke der Anstieg der Arbeitslosigkeit in der ehemaligen DDR zu denken gibt, macht er sich bei der alten BRD keine Sorgen. Auch hier ist die Zahl der Arbeitslosen von Ende Dezember bis Ende Januar um 89.800 auf 1.874.000 gestiegen. Das entspricht einer Steigerung der Arbeitslosenquote bezogen auf alle abhängigen zivilen Erwerbspersonen von 6,8 auf 7,2 Prozent. Franke betonte, daß dieser Zuwachs „ausschließlich auf jahreszeitlichen Einflüssen“ beruhe und zudem im Vergleich zu den Vorjahren „außerordentlich gering“ sei. Die Wirtschaft im Westen boome weiter. So habe die Erwerbstätigkeit von November auf Dezember noch einmal um 67.000 auf derzeit 28,7 Millionen zugenommen. Die BfA rechnet zukünftig pro Monat mit 15.000 „Übersiedlern“ von den neuen in die alten Bundesländer. Um die Lage in der Ex-DDR in den Griff zu bekommen, bedarf es, laut Franke, entsprechender „ökonomischer, politischer und rechtlicher Rahmenbedingungen“, damit ein „kraftvoller Investitionsprozeß in Gang kommt“. Dabei sind ihm sowohl die Verkehrsstaus auf der Autobahn bei Hof, die ungelöste Eigentumsfrage, aber auch die zögerliche Inanspruchnahme der Angebote der Arbeitsämter durch die Betroffenen ein Dorn im Auge.

Für 1991 hat die Bundesanstalt 130.000 Eintritte in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) und über 500.000 Eintritte in Fortbildung und Umschulung anvisiert. Dazu müsse zum Beispiel die „Motivation der Kurzarbeiter steigen, an entsprechenden Fortbildungsmaßnahmen teilzunehmen“. Wer jahrzehntelang daran gewöhnt sei, daß andere über ihn und für ihn entscheiden, könne nur schwer umdenken.

Damit sich mehr Kommunen als ABM-Träger bereit finden, fordert Franke von der Bundesregierung eine höhere Unterstützung der Kommunen. „Da ist noch nicht allzuviel passiert.“ Derzeit befinden sich 34.409 Beschäftigte in einer ABM, das sind knapp 14.000 mehr als im Dezember. Institutionen für berufliche Weiterbildung verzeichneten im Januar nur 38.000 Neueintritte. Franke dazu: „Aller Anfang ist schwer.“

Nach Auffassung der Bonner Regierung belegen die Zahlen, so ihr Sprecher Vogel, daß in den FNL ein rascher Ausbau der beruflichen Qualifizierung und Weiterbildung notwendig sei. Gefordert seien aber auch ein stärkeres Engagement der Unternehmen und der Gewerkschaft sowie die Bereitschaft der Arbeitnehmer selbst, alle Möglichkeiten für die Weiterbildung zu nutzen. Bernd Siegler, Nürnberg