Mozart kriegt Mozartkugeln

■ »Hart aber Mozart« — eine Revue in der Kassenhalle der Freien Volksbühne

Hart aber Mozart wurde nicht von Sony gesponsert. In dieser »tragikomischen Revue« wird die Musik auf der Bühne gemacht. Vielleicht ist das der Grund, daß die Freie Volksbühne sie »frech« und »ungewöhnlich« nennt.

Mozart aus der Retorte ist erst im oberen Foyer wieder zugelassen. An die Premiere ist eine Vernissage gekoppelt mit Bildern des Berliner Malers Jean-Yves Klein und Musike von Mozart. Die Bilder sind anläßlich der Inszenierung entstanden. Beide Teile dieses Abends sind also gewissermaßen eine Doppelprojekthälfte.

Als Kommentar zur Revue in der Kassenhalle sind die Gemälde sehr gelungen. Gold und Rosa sind ihre beherrschenden Farben, sie sind überaus dekorativ und absolut flach. Sie verhalten sich zum momentanen Stand der Berliner Malerei genauso wie die Revue unten sich zum Veranstaltungskalender des Mozartjahres verhält. Beide haben zu dem, was sonst so der Fall ist, gar nichts hinzuzufügen. Was die Kinder von den Schulbänken pfeifen, präsentiert der Regisseur als brandneue Entdeckung: daß Mozart ein schweineigelnder Lustmolch war, der seinem Bäsle mit Vorliebe vom »Arsch Petschieren«, von wackeren Fürzen und vom »hinten und vorne kritisieren« — was immer letzteres sein mag — schrieb. Jener andere Mozart, der »Ritter vom Sauschwanz«, sei einer, »wie man ihn nicht kennt«, behauptet frech die Freie Volksbühne. Ganz so ist es aber nicht.

Vielmehr ist es doch so, daß heutzutage jede Klavierlehrerin über achtzig irgendwann im Laufe des Unterrichts Mozarts niedliche Verwunderung darüber, daß er schon 22 Jahre aus dem nämlichen Loch geschissen habe, ohne es zu zerfransen, wortwörtlich und lustvoll weitererzählt. Die Revue weiß außerdem, daß der kleine Mozart und seine Mutter Schwierigkeiten mit dem tyrannischen Leopold hatten und daß Constanze ein selbstbewußtes Mädel war, möglicherweise sogar etwas herrisch. Sie weiß, daß Mozart seine Opern in einem atemberaubenden Tempo komponiert hat, daß er seinen frühen Tod vorausahnte und zeitlebens an einer großen Liebessehnsucht litt. Und sie weiß, daß manche seiner großen Arien davon handeln. Deshalb werden im Laufe des Abends Nun vergiß leises Flehn, süßes Kosen und Reich mir die Hand, mein Leben und Bei Männern, welche Liebe fühlen gesungen. Die zwei Sopranistinnen und der Bariton nehmen ihre Aufgabe ernst. Sie versuchen gar nicht erst, an die Inszenierung schauspielerisch Anschluß zu gewinnen. Sie sind Stimmen und haben sich in erster Linie mit der Klavierbegleitung zu arrangieren, danach mit der Akustik der Kassenhalle. Der Rest ist ihnen schnurzegal, und das ist vernünftig. Der Rest ist nämlich eine Anhäufung von Einfällen, die sich in der Idee dieses Abends (falls es einmal eine gab) so gründlich verlieren wie die Schauspieler im weiten Feld der Kassenhalle.

Der Regisseur hat einen seltsamen Humor. Je flacher die Pointen, desto sicherer ist er sich der Gunst des Publikums. »Vatter« Leopold bekommt von Papageno eine in den Bauch geboxt. »Au«, sagt er und auf die Frage warum, antwortet ihm der Schläger: »Damit das Publikum weiß, daß wir in Augsburg sind.« Zum Wechsel nach Salzburg fällt ihm ein, Salz zu verstreuen. Und wenn der Erzbischof einen Brief schickt, dann muß er ihn hier natürlich »faxen«. Solche Kalauer werden mit unmäßigem Stolz präsentiert. Sie sind das, worauf die Revue hinauswill. Jede tiefere Komik, zu der die Schauspieler durchaus das Zeug hätten, wird vom Regisseur peinlich vermieden. Mozart kriegt Mozartkugeln in den Mund gestopft und wird mit Coca- Cola fusioniert. Gemeint ist damit aller Wahrscheinlichkeit nach die Vermarktung des Genies heutzutage. Vielleicht ist irgendwie auch Heiner Müller gemeint. »In Sachsen wird es die erste Mutter geben, aus deren Brüsten CocaMozartCola fürs nächste Wunderkind spritzt«, erklärt dunkel Mozartmutter Anna-Maria, die dafür direkt noch einmal dem Grab entsteigt. Und im übrigen ist es auch völlig wurscht, ob das Wolferl oder der Heiner gemeint ist. Wie sagte Mozart in dem berühmten Brief an seine chère Cousine? »... gemeint und geschissen ist zweyerley.« Doja Hacker

Hart aber Mozart . Eine tragikomische Revue in Sonetten, Briefen, Arien, Duetten und Kugeln. Regie und Bühne: Gerald Uhlig, DarstellerInnen: Pascal von Stocki, Gabriele Buch, Hans-Martin Stier, Paul Frulinghaus u.a. Nächste Vorstellung heute, 20.30 Uhr, in der Kassenhalle der Freien Volksbühne.