Melancholisches Pastell

■ “Die Horen“ Numero 160: Eine Zeitschrift voller armenischer Literatur

Wieder einmal stellen die „Horen. Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik“ Arbeiten von Autoren vor, deren Namen bestenfalls exotische Assoziationen hervorrufen. Oder klingelt es bei Hagop Mnzuri, Sero Chansatjan oder Raffi Kebabdjian? Wie sollte es. Ganze drei armenische Bücher sind bislang im Westen erschienen. Es gibt aber eine erstaunlich produktive Literatur in Armenien, trotz politischer Willkür und dem eisernen Besen der Zensur.

Raffi Kantian hat in aller Breite ausgewählt: Lyrik, Prosa, Essays und Kurzbiographien spiegeln die komplexe Wirklichkeit Armeniens.

Fast allen Prosatexten ist die Farbe der Melancholie beigemischt. Heimatlosigkeit, die Sehnsucht nach vertrauten Plätzen und Menschen, die Verlorenheit des Exils, die Einsamkeit des Alters und die Leiden der Deportation sind thematische Kristallisationspunkte.

Für das geplagte Armenien hat gerade die sogenannte Diaspora- Literatur besondere Bedeutung: wir begegnen den Protagonisten in Istanbul und New York ebesno wie in ländlichen Dorfgemeinschaften.

Die Erzählformen sind durchaus modern: freifließene Monologe mit übergangslosen Perspektivwechseln, Tagebuchskizzen und verknappte Dialogsequenzen großstädtischer Umgangssprache. Aber auch die ältere Generation kommt zu Wort. Dort regiert zumeist das auktoriale Erzähler- Ich in einer chronologische Ordnung.

Die Abteilung Lyrik bietet Naturbetrachtungen und romantisierende Liebesgedichte neben surrealistischen Fragmenten. Auch hier ist der Ton von Wehmut gedämpft.

Es fehlen offenbar Freiheit und Zeit, die vergangenen wie die gegenwärtigen nationalen Traumata zu verarbeiten. Aber Vorstöße in ein sprachliches Neuland, welches dem Charakter Armeniens entsprechen könnte, sind schon zu erkennen. Per Hansen

Die Horen Nr. 160, Oldenburg, 15 Mark