„Waffenstillstand“ bei der SPD umstritten

Der Beschluß des Parteirates am vergangenen Dienstag hat die widersprüchlichen Positionen der Sozialdemokraten zur Frage nach den Vorbedingungen eines Waffenstillstandes im Golfkrieg nur mühsam verdeckt/ Einig ist man sich dagegen, daß Israel nun geholfen werden muß  ■ Von Tina Stadelmayer

Bonn (taz) — Der Streit in der SPD um die Frage „Waffenstillstand sofort oder nur wenn sich Hussein aus Kuwait zurückzieht?“ ist beendet, doch der grundsätzliche Streit um die Rolle der Deutschen im Golfkreig geht weiter. Der bis Mai amtierende Vorsitzende Hans-Jochen Vogel hat vergangene Woche alles daran gesetzt, die Diskussion um den Waffenstillstand abzuwürgen. Aber den Ausschlag hat wohl Willy Brandts Häme gegeben: Ob sie dem amerikanischen Generalstab eine Resolution übergeben wollten, hatte der Ehrenvorsitzende die Verfechter eines sofortigen Waffenstillstands gefragt, und hinzugefügt: Das werde den sicher schwer beeindrucken.

So mogelten sich die VertreterInnen der Bezirke am Dienstag auf dem kleinen Parteitag, dem Parteirat, um eine Abstimmung über den strittigen Punkt herum. Sie „bekräftigten“ lediglich eine Entschließung des Parteivorstandes. Die ist so formuliert, daß sich sowohl GegnerInnen als auch VerteidigerInnen von „Vorbedingungen“ für einen Waffenstillstand darin wiederfinden. Der zuvor erbittert geführte Streit in der SPD verdeckte das Problem, das hinter der Debatte um den Waffenstillstand steckt. Es geht nicht um ein Szenario für eine Feuerpause. Es geht um die Frage: Kann ein Krieg der richtige Weg sein, um den Frieden im Nahen und Mittleren Osten wieder herzustellen? Der saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine ließ es sich nicht nehmen, die im Parteirat offiziell beendete Diskussion jetzt wieder aufzunehmen. Er sei überzeugt, „daß es menschenwürdigere, vernünftigere Mittel“ als den Krieg gab, „und immer noch gibt“, um einen Diktator „zur Raison zu bringen“ schrieb er in der Züricher 'Weltwoche‘ ( siehe Dokumentation Seite 10). Selbst wenn der Irak militärisch entscheidend geschlagen würde, „wäre dies eine Niederlage der Kultur“. Der Krieg würde als „Mittel der westlichen Politik“ dadurch wieder „salonfähig“. Lafontaine wiederholte sein Plädoyer, „alle Kampfhandlungen einzustellen und der Diplomatie eine neue Chance zu geben“.

Sein innerparteilicher Kontrahent in dieser Auseinandersetzung ist SPD-Schatzmeister Hans Ulrich Klose. Er hatte in der Frankfurter Allgemeinen geschrieben, es sei „unakzeptabel, eher peinlich“ das sofortige Einstellen der Kampfhandlungen und den Rückzug des Iraks zu fordern „ohne dabei auf die richtige Reihenfolge zu achten“. Die sieht seiner Meinung nach so aus: Erst der Rückzug, dann der Waffenstillstand. Einen KSZE-ähnlichen Prozeß könne es „mit dem Irak unter seinem gegenwärtigen Diktator Saddam Hussein nicht geben. “ Nicht zuletzt deshalb müsse „dieser Mann niedergekämpft werden“. Mit ihrem Plädoyer für einen sofortigen Waffenstillstand hätten sich die deutschen Sozialdemokraten unter den europäischen Bruderparteien isoliert.

An dieser Stelle sind die Sozialdemokraten besonders empfindlich. Und so fiel es Hans-Jochen Vogel nicht leicht, sich auf dem Treffen der Sozialistischen Internationale vergangenes Wochenende in Wien nach allen Seiten zu verteidigen. Italienische und französiche Sozialisten und die britische Labour-Partei kritisierten die SPD nicht nur wegen ihrer Forderung nach einem Waffenstillstand. Sie beklagten auch, daß keine deutschen Soldaten am Golf mitkämpfen. Hans-Jochen Vogel findet diesen Vorwurf ungerecht. In der Tat: Noch vor einem Jahr hatten dieselben Leute vor einem Wiedererstarken des deutschen Militarismus gewarnt. Vor allem ältere Genossen setzten auch in Wien immer wieder Saddam Hussein mit Adolf Hitler gleich. Der „ungenaue und verwirrende Vergleich“ (Werner Perger in der 'Zeit‘) der weltpolitischen Konstellation von 1991 mit der von 1938 hat eine unübersehbare Auswirkung: Auch die ansonsten eher friedliebenden Sozialisten fordern jetzt militant, Hussein und sein militärischer Apparat müßten „vernichtet“ werden. Standhaft verteidigte Vogel seine Position, eine Feuerpause könnte den Weg für politische Lösungen frei machen. Aber selbst von seinem Plädoyer für eine Friedenskonferenz für den Nahen und Mittleren Osten wollten die meisten Genossen nichts mehr wissen. Auch der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Norbert Gansel, hatte vergangenen Mittwoch bei einer Diskussion der Friedrich-Ebert-Stiftung einen schweren Stand. Die Gäste waren vor allem ältere Sozialdemokraten, viele jüdischen Glaubens. Sein Diskussionspartner: Der israelische Botschafter Benjamin Navon. Gansel warnte, die Nato dürfe sich von Hussein nicht zum Eingreifen povozieren lassen.

Dies hätte die Solidarisierung der arabischen Länder mit dem Irak zur Folge. Das Wagnis eines Waffenstillstandes sei jetzt geringer „als das Wagnis eines andauernden Krieges“. Eine Friedenskonferenz unter der Obhut der UNO müßte in der Region für die gerechte Verteilung von Land, Wasser, Öl und Reichtum sorgen. Dabei sollten die Sicherheit Israels, das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser, aber auch die kulturelle Autonomie der Kurden und die Situation im Libanon behandelt werden.

Navon, der Gansel heftig widersprach, bekam begeisterten Beifall. Eine Friedenskonferenz, bei der auch über die Palästinenserfrage geredet werde, müsse „zum Scheitern führen“. Weder der Libanon noch die Kurden hätten mit den aktuellen Problemen der Region zu tun. Hussein habe „durch seine Zähne gezischt“, er werde Israel mit Giftgas vernichten. Die Deutschen müßten dabei helfen, die israelische Bevölkerung zu schützen. Der Botschafter warf den Sozialdemokraten vor, sie ließen Israel im Stich. SPD-Parteirat und Vorstand hatten sich zwar für das Entsenden von Luftabwehrraketen ausgesprochen, die Lieferung von U-Booten jedoch abgelehnt. „Wenn wir unsere Wasserwege schützen wollen, kann man uns nicht helfen, weil wir in einer Leprakolonie sind, die Spannungsgebiet heißt“, donnerte Navon. Damit sprach er ein weiteres heikles Thema an: Finanzielle und militärische Hilfen für den Nahen und Mittleren Osten. U-Boote dienten nunmal nicht eindeutig der Abwehr, argumentierte Gansel. Für die meisten Sozialdemokraten sei jedoch klar, „daß die Deutschen Israel mit Abwehrraketen und Gasspürpanzern helfen müssen“. Schließlich sei Israel das Land „gegenüber dem wir eine besondere Verantwortung haben“.

Wie schwer sich die Sozialdemokraten damit tun, ihren Grundsatz „keine Waffen in Krisengebiete“ mit ihrer Verantwortung für die deutsche Vergangenheit zu verbinden, wurde auch schon bei Hans-Jochen Vogels Rückkehr aus Israel deutlich. Er habe selten so ein schlechtes Gefühl gehabt, wie vor wenigen Wochen als er mit Israelis zusammen in Tel Aviv im Schutzraum saß, berichtete der Parteivorsitzende. Es sei ein „schlimmes, beschämendes und bedrückendes Gefühl“ zu wissen, „daß dies alles notwendig ist, weil Deutsche an der Entwicklung von Gaswaffen und Raketen mitgewirkt haben“. Lafontaines Forderung, der Bundeskanzler solle zurücktreten, „weil er die schludrige Waffenexportpolitik zu verantworten hat“, will sich Vogel allerdings nicht anschließen. Zu gut weiß der ehemalige Justizminister, daß auch zu sozialdemokratischen Regierungszeiten Waffen in den Nahen und Mittleren Osten verschoben wurden.

Vogel ist auch nicht glücklich über den Beschluß des Parteirates, die SPD sei „zur Finanzierung von Kriegshandlungen nicht bereit“. Dies sei jedoch keine pauschale Ablehnung, interpretiert er denn auch die Entschließung. Der Parteivorsitzende fordert von der Bundesregierung, sie müsse genau auflisten, wofür die Allierten die Gelder verwenden wollten. Er habe zum Beispiel nichts gegen die Lieferung von Gasspürpanzern. Den Widerspruch, daß auch mit Gasspürpanzern „Kriegshandlungen“ begangen werden können, nimmt er in Kauf. Ebenso wie sein Parteifreund, der Vorsitzende des Haushaltsausschusses im Bundestag, Rudi Walther. Der weiß auch, daß es zum Auflisten der einzelnen Posten nicht kommen wird: „Die Amerikaner werden sagen, wir brauchen 8,5 Milliarden um unserer Defizit auszugleichen.“ Natürlich werde er die Milliarden für den Krieg im Ausschuß ablehnen, sagt Walther. Aber nicht weil er dagegen ist, sondern „weil es der Parteirat so beschlossen hat“.