„Druckwasserreaktoren abschalten“

■ Der bekannte japanische Atomkritiker Jinzaburo Takagi, Leiter des Tokioter „Nuclear Information Center“: Alle Druckwasserreaktoren müßten genau überprüft werden INTERVIEW

taz: Wie genau hat sich der Unfall abgespielt?

Jinzaburo Takagi: Man hat zuerst im Sekundärkreislauf Radioaktivität gemessen. Daraufhin hat die Kontrollmannschaft — und zwar acht Minuten später — versucht, langsam den Reaktor abzuschalten. Aber schon kurz darauf wurde noch viel mehr Radioaktivität gemessen, und der Druck im Reaktor fiel rasch ab, er hat sich dann automatisch abgestellt. Fast gleichzeitig hat sich das Notkühlsystem (ECCS) eingeschaltet, und viel Wasser ist in den Reaktor geflossen. Ich vermute, daß die Rohre im Dampferzeuger richtig geplatzt sind. Einen ähnlichen Unfall gab schon einmal in den USA im Januar 1982, im AKW Ginne. Aber in Japan passiert so ein Unfall zum ersten Mal, und es ist auch das erste Mal, daß sich das Notkühlsystem richtig einschaltet.

Dabei ist Radioaktivität vom Sekundärkreislauf in die Luft ausgetreten.

Ja, die Betreiberfirma hat das auch zugegeben. Der Sekundärkreislauf des Druckreaktors ist ohnehin schlecht gegen Radioaktivität geschützt, denn man ging immer davon aus, daß die nicht vom Primär- in den Sekundärkreislauf gelangen kann. In dem Moment aber, wo eine Verbindung zwischen den beiden Kreisläufen geschaffen wird, ist nicht mehr zu verhindern, daß Radioaktivität in die Luft austritt. Das ist die Schwachstelle dieses AKW-Typs. Trotzdem haben die Firma und das Ministerium immer gesagt, die Rohre könnten nie platzen — selbst wenn viele kleine Löcher auftreten.

Was hat hat man in der Vergangenheit mit solchen Löchern gemacht?

Die werden entweder verstopft oder in das Rohr wird ein anderes mit kleinerem Durchmesser hineingeschoben. Das ist natürlich keine Lösung des Problems, und wir haben immer wieder darauf hingewiesen, daß so ein Rohr leicht platzen kann. Aber die Verantwortlichen meinten, eine solche Gefahr könne man bei der regelmäßigen Sicherheitsüberprüfung rechtzeitig entdecken.

Zum Glück hat wenigstens das Notkühlsystem funktioniert.

Trotzdem wirft es ein neues Problem auf: Für die erhitzten Brennstäbe oder das Reaktordruckgefäß ist es ein großer Schock, wenn plötzlich so viel kaltes Wasser hineinfließt. Sie können dadurch leicht Risse bekommen.

Es gibt ja neben dem Unfallreaktor andere, deren Rohre möglicherweise noch stärker angegriffen sind.

Ich bin der Meinung, daß man alle AKWs mit Druckwasserraktoren sofort abschalten muß. Solange man nicht weiß, warum dieses Rohr in Mihama geplatzt ist und wie groß der Schaden woanders in den Rohren ist, könnte ein ähnlicher und noch schlimmerer Unfall jederzeit wieder passieren.

Ein Reaktor hat ungefähr 4.000 solcher zwei Zentimeter dicken Rohre, die — wenn sie löchrig werden — einfach verstopft werden. Das Ministerium setzt für jeden Reaktor fest, wieviel Prozent von ihnen verstopft werden dürfen. In der letzten Zeit ist dieser Prozentsatz immer weiter heraufgesetzt worden.

Am Anfang lag er unter 10 Prozent. Jetzt sagt das Ministerium: 20, 30 oder sogar 50 Prozent seien noch akzeptabel. Das dürfte einfach nicht erlaubt werden.

Die Betreiberfirma hat ja offenbar schon Schwächen bei zwei Reaktoren eingestanden, indem sie vorgeschlagen hat, dort den Dampferzeuger auszuwechseln. Wäre das eine Lösung?

Andere Länder wie die USA und Frankreich haben das schon praktiziert, und der einzige Nachteil ist angeblich, daß die Reparatur mehrere Monate dauert. Aber da gibt es einmal die Gefahr, daß beim Ausbau des schon ziemlich verseuchten Dampferzeugers Arbeiter der Strahlung ausgesetzt werden oder Radioaktivität nach außen dringt. Außerdem bleiben die anderen Teile des veralteten Reaktors auch nach dem Auswechseln des Dampferzeugers genauso gefährlich.

Interview: Chikako Yamamoto