: Auf dem Highway ist die Hölle los
■ Im Eiltempo sollen in Mecklenburg-Vorpommern 400 Kilometer Autobahn durchgedrückt werden/ „Alle wollen schnellen Verkehrsanschluß“
Schwerin (taz) — Ministerpräsident Alfred Gomolka (CDU) hat Großes vor mit Mecklenburg-Vorpommern: Das Land zwischen Elbe und Oder soll an die Welt angeschlossen werden, vierspurig und ein paar hundert Kilometer lang. „Am liebsten sofort“ will man mit dem Bau beginnen. Einziger Nachteil: Man weiß noch nicht, wo genau die neuen Autostradas verlaufen sollen. In der CDU-Fraktion wird eine Nord-Süd- Verbindung zur Anbindung an den skandinavischen Markt diskutiert, die von der Insel Rügen bis nach Berlin gehen soll. Allerdings gibt es über die bereits bestehende Autobahn Rostock-Berlin den (theoretischen) Anschluß nach Skandinavien, über den Hafen Rostock/Warnemünde.
Durchsetzen wird sich deswegen wahrscheinlich ein anderer Entwurf aus dem zuständigen Wirtschaftsministerium Mecklenburgs. Danach soll das Land zügig mit einer Ost- West-Autobahn ausgestattet werden. Von Lübeck aus soll die neue Autostrada quer durchs Land der „tausend Seen“ führen, über Wismar, Güstrow, Demmin und Prenzlau bis zum Anschluß an die Berliner Autobahn nach Szczecin/Polen. Darüber hinaus werden von diesem Highway einzelne Autobahn-Stichstraßen nach Schwerin beziehungsweise nach Stralsund und Rügen verlaufen. Die größte deutsche Insel bekommt damit ebenfalls einen Autobahn-Anschluß, wahrscheinlich über einen zweiten Rügen-Damm. Das beliebte Ferienziel ist durch eine Bundesstraße mit dem Festland verbunden. Die Rügen-Autobahn wurde bereits einmal vom alten SED-Regime geplant, dann aber wegen Geldmangels fallengelassen.
Nach Angaben der deutschen Bau-Industrie kostet ein Kilometer Autobahnneubau in den neuen Bundesländern rund 1,25 Millionen Mark. Bleibt es bei den vorgeschlagenen Strecken mit rund 400 Kilometern Länge, ergibt sich daraus ein Kostenvolumen von rund einer halben Milliarde Mark. Diese Kosten werden überwiegend vom Bund finanziert, was erklärt, warum die Mecklenburger so „scharf“ auf den Bau sind: Sie müssen ihn kaum bezahlen, verbinden damit aber die Hoffnung auf mehr Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft. „Es sind ja Milliardenprojekte verfügbar, man muß sie nur kriegen“, so Regierungschef Alfred Gomolka.
Daß die Autobahn-Pläne oberste Priorität besitzen, betonte Gomolka in seiner Regierungserklärung. Im Schnellverfahren soll der Bundesregierung ein Entwurf zur Streckenführung vorgelegt werden. Daß dafür die Finanzmittel aus Bonn ebenso rasch fließen werden, bezweifelt in Mecklenburg niemand. Schließlich hat das Land bereits im vergangenen Jahr als erstes der neuen Bundesländer verbindliche Zusagen in Höhe von 160 Millionen Mark für den Ausbau bestehender Fernstraßen erhalten. Zudem ist der Rostocker Jürgen Krause (CDU) neuer Bundes-Verkehrsminister.
Privater Highway als schnelle Lösung
In Bonn wird an einer neuen Gesetzesvorlage gearbeitet, die zwar offiziell noch nicht vorliegt, aber den Autobahnbau in den neuen Bundesländern generell beschleunigen soll. Zukünftig sollen „Straßen wohl problemlos durch Natur- und Landschaftsschutzgebiete geführt und die Umweltschutzverbände dazu noch nicht einmal angehört werden“, vermutet Nicola Liebert, die Verkehrsreferentin des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) für die neuen Länder: „Die bisherige westdeutsche Gesetzgebung soll damit klar ausgehebelt werden.“
Die forsche Autobahnplanung steht im Gegensatz zu einem Beschluß, den Mecklenburgs Umweltministerin Petra Uhlmann (CDU) im November letzten Jahres mit unterzeichnet hat: Darin fordern die Umweltminister aller Länder eine „Wende in der Verkehrspolitik“. Neue Verkehrskonzepte sollen entwickelt werden, „die den Autoverkehr vermindern und eine Verlagerung auf den öffentlichen Personennahverkehr“ zum Ziel haben sollen. Aber gleichzeitig bekannte Frau Uhlmann, daß neben umweltpolitischen Erwägungen die wirtschaftliche Entwicklung ihres Landes „keinesfalls behindert werden“ dürfe.
Jeder Achte ohne Arbeit
Die wirtschaftliche Lage Mecklenburgs ist in der Tat katastrophal. Das Land zwischen Elbe und Oder ist das ärmste aller Bundesländer, reich nur an unberührter Natur. Die Arbeitslosenquote liegt mit offiziell 8,8 Prozent (Dezember 1990) an der Spitze der neuen Bundesländer, lediglich Berlin als Stadtstaat liegt noch darüber. In dieser Zahl ist die umstrittene Kurzarbeiterregelung für die neuen Länder nicht erfaßt. Tatsächlich ist bereits jetzt in Mecklenburg jeder achte ohne Arbeit — Tendenz steigend. An der Küste kann der Untergang der maroden Werftindustrie vielleicht durch den Tourismus aufgehalten werden. Die Arbeitsplätze in der Landwirtschaft Mecklenburgs werden durch die EG-Regelungen weiter dezimiert werden. Ansonsten ist das Land dünn besiedelt und industriell kaum erschlossen.
Da soll der geplante Autobahnbau Abhilfe schaffen. Der Wirtschaftsminister hofft auf die „Transitfunktion“ des neuen Highways. Denn so könne sein Land zu einem modernen Handelszentrum werden. Dem Nachbarn im Westen, Schleswig- Holstein, möchte er „die Warenströme wegnehmen“ und auch aus dem Hamburger Investitionskuchen möchte er sich „ein paar Rosinen“ herauspicken. Die Autobahnpläne der Landesregierung werden dabei von allen Fraktionen grundsätzlich unterstützt, auch von der Opposition. Die PDS ist in ihrer Hochburg Mecklenburg (15 Prozent bei der Landtagswahl) zwar programmatisch für den vorrangigen Ausbau des Schienennetzes, erbringt jedoch mit ihrer Zustimmung zum Autobahnbau sogar nach eigener Einschätzung eine „Reverenz an die Autofahrer“, so der Fraktionsvorsitzende Johann Scheringer. Der Umweltschutzgedanke sei bei der Bevölkerung nicht sehr beliebt. „Die Leute wollen erst mal, daß es ihnen wirtschaftlich besser geht.“ Die oppositionelle SPD ist noch direkter an der Autobahnplanung beteiligt. Ihr Landtagsabgeordneter Klaus Gerlhoff ist zugleich Abteilungsleiter im FDP-Wirtschaftsministerium geworden und wirkt an der Planung mit. Mit Widerstand aus dem eigenen Land brauchen die Autobahnbefürworter demnach nicht zu rechnen. „Wir kriegen doch jeden Tag stapelweise Post aus den Städten und Gemeinden; alle fordern schnellen Verkehrsanschluß“, freut sich der Verkehrsexperte.
Vor Ort wird der geplante Highway von allen Seiten nach Kräften befürwortet. Für Wirtschaftsminister Lehment gibt es deshalb keinen Zweifel an der zügigen Realisierung des Autobahnvorhabens. Noch nicht einmal die „Krawall-Grünen“, freut sich der Minister, hätten sich bisher zu Wort gemeldet. Astrid Frohloff/Björn Johnson
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