Anschlag auf ‘Diario Latino'

Die einzige kritische Tageszeitung El Salvadors steht vor dem Ende  ■ Aus Managua Ralf Leonhard

Auf 'Diario Latino‘, die einzige kritische Tageszeitung El Salvadors, wurde Samstag ein Brandanschlag verübt. Die Redaktionsräume, die Druckerei und das Archiv der Zeitung in San Salvador wurden fast gänzlich ein Raub der Flammen, das Gebäude ist schwer beschädigt. Für das traditionsreiche aber hochverschuldete Blatt, das vor kurzem sein hundertjähriges Jubiläum feierte, könnte das der Todesstoß sein. Der Herausgeberrat der selbstverwalteten Publikation machte in einer ersten Reaktion die Armee und die rechtsextreme Regierung Präsident Cristianis für das Attentat verantwortlich. Nur Soldaten können sich nachts in der militarisierten Stadt ungehindert bewegen. Am Tatort wurden Lunten und ein Benzinfaß vorgefunden. Vier Wochen vor den Parlaments- und Kommunalwahlen, an denen sich auch die Linksparteien beteiligen wollen, könnte dieser Anschlag die Sympathisanten der Opposition empfindlich einschüchtern.

Kritischer Journalismus ist in El Salvador ein gefährliches Gewerbe. Im November 1980 wurde 'El Independiente‘, die damals einzige Oppositionszeitung, von der Armee ausgebombt. Über ein Dutzend Journalisten, mehrheitlich Ausländer, sind seither bei der Berichterstattung über den Bürgerkrieg getötet worden — teils durch Unfälle, teils als Opfer gezielten Mordes durch die Streitkräfte.

'Diario Latino‘ war bis vor weniger als zwei Jahren eine langweilige und völlig unscheinbare Abendzeitung, die immer mehr Leser verlor. Im Juli 1989, als die Zeitung bei der Bank bereits mit fast einer Million Dollar in der Kreide stand, verfügte die Direktion die endgültige Einstellung des Betriebes. „Wir in der Gewerkschaft organisierten Journalisten beschlossen darauf, die Zeitung in Eigenregie weiterzuführen“, erzählte vor wenigen Wochen der heutige Direktor, Francisco Valencia, in einem Interview mit diesem Korrespondenten. Unter dem neuen Redaktionskollektiv, erwachte das Blatt binnen weniger Monate aus dem Mauerblümchendasein und wurde zu einer Zeitung, die man lesen muß, wenn man informiert sein will. Die Auflage verdoppelte sich schnell auf 8.000 bis 10.000 Exemplare. Anders als die großen Morgenzeitungen 'Diario de Hoy‘ und 'La Prensa Grafica‘, die ihre Nachrichten am Schreibtisch aus offiziellen Verlautbarungen und Agenturmeldungen fabrizieren und mehr Seiten für Geburtstage und Hochzeiten der Mitglieder der Oligarchie aufwenden, als für den Nachrichtenteil, ließ 'Diario Latino‘ Dutzende von Reportern ausschwärmen, die vor Ort recherchierten. Viele davon waren engagierte Publizistikstudenten, die ihr Praktikum machten. Als die Guerilla im Oktober die Luftwaffenbasis Ilopango attackierte, mußten 2.000 Zeitungen mehr gedruckt werden, denn, so Valencia, „die Leute wußten, daß die anderen Blätter einen Teil der Wahrheit verschleiern würden“.

Es konnte nicht ausbleiben, daß Militärs und einzelne Regierungsfunktionäre 'Diario Latino‘ bald als Sprachrohr der Guerilla beschimpften. Da die Regierung und die Wirtschaft ihre Annoncen nach und nach zurückzogen, mußte die Zeitung durch bezahlte Einschaltungen der Volksorganisationen überleben. Im September des Vorjahres kamen zwei Reporter, die die Kriegsfront im Ostdepartement Morazan besucht hatten, auf der Rückfahrt bei einem mysteriösen Autounfall ums Leben.

Francisco Valencia und sein Kollektiv sind entschlossen, die Zeitung auch nach dem Attentat nicht sterben zu lassen. Sie hoffen auf solidarische Beiträge aus dem Ausland.